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BSG 29.12.2015 - B 13 R 392/15 B
BSG 29.12.2015 - B 13 R 392/15 B - Nichtzulassungsbeschwerde - Fristversäumung - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Verschulden von Hilfspersonen des bevollmächtigten Rechtsanwaltes - unverzichtbares Organisationserfordernis
Normen
§ 67 Abs 1 SGG, § 160a Abs 1 S 2 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Nordhausen, 9. November 2014, Az: S 3 R 7782/11, Urteil
vorgehend Thüringer Landessozialgericht, 1. Oktober 2015, Az: L 6 R 91/15, Urteil
Tenor
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Der Antrag des Klägers, ihm wegen der versäumten Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird abgelehnt.
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 1. Oktober 2015 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
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I. Das Thüringer LSG hat mit Urteil vom 1.10.2015 einen Anspruch des Klägers im Zugunstenverfahren auf Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit von Juni 2006 bis Mai 2015 verneint. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil, das seinem Prozessbevollmächtigten am 5.10.2015 zugestellt worden ist, hat dieser mit Schriftsatz vom 5.11.2015, beim BSG am 9.11.2015 per Telefax eingegangen, Beschwerde eingelegt.
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Mit Telefax vom 19.11.2015 hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat sein Prozessbevollmächtigter auf eine eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten K. vom selben Tag Bezug genommen und ausgeführt, der Beschwerdeschriftsatz sei von ihm am 4.11.2015 diktiert sowie am 5.11.2015 von Frau K. geschrieben und ihm zur Unterschrift vorgelegt worden. Er habe die Unterschriftenmappe "dann der Rechtsanwaltsfachangestellten wieder übergeben" und am 5.11.2015 gegen 17 Uhr die Kanzlei "mit dem Wissen verlassen, dass die Frist durch Fertigung sowie Unterzeichnung des Beschwerdeschriftsatzes erfüllt wird". Frau K. habe jedoch anscheinend eine weitere Unterschriftenmappe auf die bereits unterzeichnete, aber noch nicht endbearbeitete Mappe und beide zusammen auf seinen Schreibtisch gelegt. Ihm sei erst am 9.11.2015 (Montag) aufgefallen, dass in der zweiten Unterschriftenmappe noch der bereits unterschriebene Beschwerdeschriftsatz gelegen habe, welcher ganz offensichtlich nicht am 5.11.2015 gefaxt worden sei. Am 5.11.2015 habe er jedoch davon ausgehen können, dass auf die sonst stets zuverlässige und äußerst korrekte Rechtsanwaltsfachangestellte Verlass sei und der Schriftsatz noch an diesem Tag gefaxt werde.
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II. 1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist abzulehnen.
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Gemäß § 67 Abs 1 SGG ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist nach § 67 Abs 2 SGG binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden und innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen.
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Der Kläger hat die Monatsfrist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 160a Abs 1 S 2 SGG), welche am 5.11.2015 (Donnerstag) ablief, versäumt. Er hat die Beschwerde am 9.11.2015 (Montag) unmittelbar nach Aufdeckung der Fristversäumung durch seinen Prozessbevollmächtigten eingelegt und somit noch innerhalb der Antragsfrist (§ 67 Abs 2 S 1 SGG) nachgeholt (zum Wegfall des Hindernisses vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom 11.1.1991 - 1 BvR 1435/89 - NJW 1992, 38 - Juris RdNr 16). Gleichwohl kann ihm Wiedereinsetzung nicht gewährt werden. Denn er hat nicht glaubhaft gemacht, dass sein Prozessbevollmächtigter, dessen Verschulden er sich zurechnen lassen muss (§ 73 Abs 6 S 7 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO), unverschuldet verhindert war, die Frist einzuhalten.
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Zwar darf ein bevollmächtigter Rechtsanwalt Hilfstätigkeiten - wie hier die rechtzeitige Übersendung fristwahrender Schriftsätze mittels Telefax an das Gericht - gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Mitarbeitern zur eigenverantwortlichen Erledigung übertragen. Ein Verschulden von Hilfspersonen gilt aber als eigenes Verschulden des Rechtsanwalts, wenn die Nichteinhaltung der Frist darauf beruht, dass dieser es versäumt hat, durch eine zweckmäßige Büroorganisation - insbesondere hinsichtlich der Fristen- und Terminüberwachung und der Ausgangskontrolle - ausreichende Vorkehrungen zur Vermeidung von Fristversäumnissen zu treffen (stRspr - s BSG Beschluss vom 27.5.2008 - B 2 U 5/07 R - SozR 4-1500 § 67 Nr 6 RdNr 14 mwN; zur Rspr des BGH vgl Bernau, NJW 2015, 2004, 2006).
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So verhält es sich hier. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist nach seinen eigenen Angaben - offenkundig unzutreffend - davon ausgegangen, dass die Frist bereits "durch Fertigung sowie Unterzeichnung des Beschwerdeschriftsatzes erfüllt wird". Dass er in seiner Kanzlei irgendwelche Anweisungen zur Fristenüberwachung und Ausgangskontrolle getroffen oder dass eine solche Kontrolle tatsächlich stattgefunden hat, trägt er jedoch nicht vor.
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Ein Rechtsanwalt ist aber verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen in größtmöglichem Umfang auszuschließen; hierzu gehört insbesondere eine wirksame Ausgangskontrolle, durch die gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich rechtzeitig hinausgehen (vgl BSG Beschlüsse vom 19.5.2005 - B 10 EG 3/05 B - und vom 24.9.2014 - B 9 SB 27/14 B - jeweils in Juris mwN). Unverzichtbares Organisationserfordernis sind ausreichende Einrichtungen zur Vermeidung von Fehlern bei der Behandlung von Fristsachen (stRspr, vgl zB BGH Beschluss vom 28.11.1990 - XII ZB 19/90 - NJW 1991, 1178; BVerwG Beschluss vom 4.10.2002 - 5 C 47/01, 5 B 33/01 - FEVS 54, 390; BFH Beschluss vom 7.7.2003 - II B 5/03 - BFH/NV 2003, 1440; BSG Beschluss vom 19.5.2005 - B 10 EG 3/05 B - Juris). Wenn danach jeder Rechtsanwalt eine Ausgangskontrolle für fristwahrende Schriftsätze eingerichtet haben muss, kann dies zB derart organisiert sein, dass ein Fristenbuch geführt wird, in dem für jeden fristwahrenden Schriftsatz die maßgebliche Frist eingetragen und erst nach tatsächlich erfolgter Absendung durchgestrichen wird, sowie dass am Schluss eines jeden Arbeitstags eine Überprüfung der noch erforderlichen Erledigungen stattfindet (vgl dazu BSG Urteil vom 18.3.1987 - 9b RU 8/86 - BSGE 61, 213, 216 = SozR 1500 § 67 Nr 18 S 44; BSG Beschluss vom 19.5.2005 - B 10 EG 3/05 B - Juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 18.1.2006 - B 6 KA 41/05 R - MedR 2006, 235; s auch BGH Beschluss vom 28.11.1990 - XII ZB 19/90 - NJW 1991, 1178 f sowie Bernau, NJW 2015, 2004, 2007).
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Wäre am Abend des 5.11.2015 eine solche Fristen- und Ausgangskontrolle vorgenommen worden, so hätte auffallen müssen, dass der unterzeichnete Beschwerdeschriftsatz nicht per Telefax an das Gericht übersandt worden war, sondern noch in der nicht endbearbeiteten Unterschriftenmappe auf dem Schreibtisch des Rechtsanwalts lag; die Übermittlung hätte dann noch rechtzeitig erfolgen können. Da der Prozessbevollmächtigte des Klägers aber schon nicht vorgebracht hat, die Durchführung der erforderlichen Fristen- und Ausgangskontrolle durch organisatorische Vorgaben in seiner Kanzlei sichergestellt zu haben, scheidet mangels Glaubhaftmachung eines fehlenden Verschuldens die Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdeeinlegungsfrist aus.
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2. Die nicht fristgerecht eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
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