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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
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BSG 27.11.2014 - B 3 KR 22/14 B
BSG 27.11.2014 - B 3 KR 22/14 B - Krankenversicherung - fehlerhafte Abrechnung eines Leistungserbringers für Hilfsmittel - Rückforderungsanspruch - Zulässigkeit eines Schuldanerkenntnisses in öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen- sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde
Normen
§ 126 Abs 1 SGB 5 vom 20.12.1988, § 126 Abs 4 SGB 5 vom 20.12.1988, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 780 BGB, § 781 BGB
Vorinstanz
vorgehend SG Dortmund, 8. Februar 2012, Az: S 13 KR 1/07, Urteil
vorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 12. Juni 2014, Az: L 5 KR 702/13, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Juni 2014 wird zurückgewiesen.
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Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 106 071,59 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Der Kläger begehrt die Rückerstattung einer Zahlung in Höhe von insgesamt 106 071,59 Euro, die er aufgrund eines gegenüber der beklagten Krankenkasse abgegebenen Schuldanerkenntnisses geleistet hat.
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Der Kläger ist ein seit 1997 zugelassener Leistungserbringer für Hilfsmittel der Orthopädie-Schuhtechnik. Die Beigeladene ist seit September 2008 Inhaberin der unter dem Namen des Klägers geführten Firma, nachdem über das Vermögen des Klägers im Mai 2008 das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet wurde und der Geschäftsbetrieb aus der Insolvenzmasse freigegeben wurde. Nach Klageerhebung trat der Kläger die gegen die Beklagte geltend gemachte Forderung an die Beigeladene ab; die Abtretung wurde von der Gläubigerversammlung genehmigt.
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Im Jahre 2001 stellte die Beklagte fest, dass die vom Kläger in der Zeit von Januar 1997 bis Juni 2001 für 961 Fälle abgerechneten Kosten erheblich über den durchschnittlichen Werten für entsprechende Versorgungen lägen, und überprüfte 19 Versorgungsfälle mit dem Ergebnis, von den hierfür in Rechnung gestellten 41 930,92 DM seien 14 395,42 DM zu Unrecht abgerechnet worden.
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Am 20.7.2001 führte die Beklagte ein Gespräch mit dem Kläger, in dessen Verlauf dieser folgende Erklärung unterzeichnete:
"1.
Hiermit erkenne ich an, bei Versicherten der AOK Märkischer Kreis in zahlreichen Fällen Versorgungen von orthopädischen Maßschuhen und Zurichtungen an Konfektionsschuhen abgegeben zu haben, die den ärztlichen Verordnungen nicht entsprachen.
2.
Außerdem wurden in einer Vielzahl von Fällen Kostenvoranschläge und Abrechnungen über die Versorgungen mit der AOK vorgenommen, die den Leistungen nicht entsprachen. Den daraus entstandenen Schaden i.H.v. 184 000,-- DM bin ich bereit zurückzuzahlen.
3.
Innerhalb von 10 Tagen teile ich der AOK Märkischer Kreis die Zahlungsmodalitäten mit.
4.
Mir ist bekannt und bewusst, dass es sich dabei um äußerst schwerwiegende Vertragsverstöße handelt.
5.
Ich werde in Zukunft dafür Sorge tragen, dass Fehlabrechnungen der mir vorgetragenen Art nicht mehr vorkommen. Die AOK hat erklärt, dass ausdrücklich künftige Prüfungen der mir vorgenommenen Versorgungen vorbehalten bleiben.
6.
Ich erkenne an, dass im Falle künftiger Vertragsverstöße eine Mitteilung an alle übrigen Kassen und deren Verbände sowie der im Zug meiner Zulassung sofortige Folge sein kann; ich kann dann zu Lasten aller gesetzlichen Krankenkassen keine Leistungen mehr erbringen."
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Mit Schreiben vom 27.7.2001 unterbreitete der Kläger den Vorschlag, monatlich 3000 DM plus Zinsen in Höhe von monatlich weiteren 613,30 DM zurückzuzahlen. Daraufhin unterzeichneten die Beklagte am 6.8.2001 und der Kläger am 21.8.2001 ein "unwiderrufliches Schuldanerkenntnis gemäß § 781 BGB, Zahlungsvereinbarung und Abtretungserklärung", in dem diese Rückzahlungsmodalitäten festgehalten waren und der Kläger anerkannte, der Beklagten "184 000,-- DM aus Anlass von Fehlversorgungen und Falschabrechnungen zu schulden".
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Der Kläger zahlte zunächst die monatlichen Raten an die Beklagte, die im Einvernehmen mit dieser ab 15.9.2002 auf monatlich 1200 Euro reduziert wurden. Einem Vorschlag des Klägers aus Dezember 2005, es bei den bis dahin geleisteten knapp 60 000 Euro zu belassen, folgte die Beklagte nicht. Der Kläger stellte die Zahlungen ein, und die Beklagte nahm bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens Verrechnungen mit Ansprüchen des Klägers aus Abrechnungsfällen vor. Ausweislich einer Aufstellung der Beklagten ist noch ein Restbetrag von 861,15 Euro offen.
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Am 3.1.2007 hat der Kläger Klage erhoben und die Rückzahlung der bereits geleisteten Zahlungen sowie die Feststellung begehrt, zu weiteren Zahlungen nicht verpflichtet zu sein. Das abstrakte Schuldanerkenntnis sei wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 BGB nichtig. Der Anerkennungsbetrag sei etwa zehnmal so hoch wie der möglicherweise in Betracht kommende Schadensbetrag. In dem Gespräch sei er erstmals mit dem Vorwurf des Abrechnungsbetruges konfrontiert und von der Situation überrumpelt worden. Ein Schadensersatzanspruch scheide zudem bereits aus Rechtsgründen aus, da ihm nicht das Recht zur Nachbesserung eingeräumt worden sei; im Übrigen seien Gewährleistungsansprüche nach sechs Monaten verjährt.
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Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8.2.2012). Das LSG hat das Urteil zunächst aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückverwiesen (Urteil vom 29.11.2012). Auf die darauf erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Senat dieses LSG-Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen (Beschluss vom 19.9.2013). In dem zurückverwiesenen Rechtsstreit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 8.2.2012 zurückgewiesen (Urteil vom 12.6.2014). Es hat ausgeführt, ein Schuldanerkenntnis sei in entsprechender Anwendung der §§ 780, 781 BGB auch im Verhältnis zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer zulässig. Es habe der Festlegung und Konkretisierung eines Rückforderungsanspruchs der Beklagten und damit der Erfüllung der ihr obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgabe gedient, überzahlte Leistungen zurückzufordern. Der Kläger habe ein selbstständiges, vom zugrunde liegenden Rechtsverhältnis unabhängiges Schuldanerkenntnis abgegeben. Dieses sei nicht wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten gemäß § 138 Abs 1 BGB unwirksam. Es sei nach seiner Formulierung aus Anlass von "Fehlversorgungen und Falschabrechnungen" abgegeben worden. Dabei gehe es nicht um schlechte oder mangelhafte Leistungen des Klägers und etwaige Gewährleistungsansprüche, sondern um ein betrügerisches Verhalten. Ein auffälliges Missverhältnis zwischen den in Betracht kommenden Überzahlungen von mehr als 400 000 DM und dem Anerkenntnisbetrag in Höhe von 184 000 DM sei nicht ersichtlich.
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Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
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II. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdebegründung den Formerfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG in vollem Umfang genügt, denn die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe liegen nicht vor.
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1. Der Kläger rügt eine ungenügende Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht und damit einen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 103 SGG. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann eine Verletzung dieser Verfahrensnorm nur darauf gestützt werden, das LSG sei einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5). Nach dem Sinn der Regelung soll das Übergehen von Beweisanträgen die Revisionsinstanz nur eröffnen, wenn das LSG vor der Entscheidung durch einen Beweisantrag ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Daher muss nach der Rechtsprechung des BSG ein bereits gestellter Beweisantrag grundsätzlich in der letzten mündlichen Verhandlung ausdrücklich aufrechterhalten werden. Ist das nicht geschehen, kann ein vorher zB in einem Schriftsatz gestellter Beweisantrag grundsätzlich nicht im Rahmen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG berücksichtigt werden (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9; SozR 3-1500 § 124 Nr 3; SozR 3-1500 § 160 Nr 29; SozR 3-1500 § 160 Nr 31 sowie Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160 RdNr 18a, 18c mwN). Weitere Voraussetzung ist, dass das LSG dem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
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a) Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat der Kläger in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG keinen Beweisantrag gestellt oder einen bereits zuvor schriftlich gestellten Beweisantrag ausdrücklich aufrechterhalten. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der Antrag auf Vernehmung der Beigeladenen aus der Klageschrift vom 2.1.2007, auf den die Beschwerdebegründung Bezug nimmt, als formgerechter Beweisantrag zu werten ist.
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b) Der Kläger hat darüber hinaus auch in der Beschwerdebegründung keine Tatsachen dargelegt, die das LSG hätte aufklären sollen. Er führt lediglich aus, das LSG sei einseitig der Sachverhaltsdarstellung der Beklagten gefolgt und sogar von einem Abrechnungsbetrug ausgegangen, wovon nicht einmal die Beklagte gesprochen habe. Welche der festgestellten Tatsachen jedoch nicht zutreffen, hat er weder dargelegt, noch ist dies ersichtlich. Er verkennt, dass der Amtsermittlungsgrundsatz nicht zu Ermittlungen ins Blaue hinein nötigt. Nachdem der Kläger in der schriftlichen Erklärung vom 20.7.2001 anerkannt hatte, dass er in zahlreichen Fällen Versorgungen von orthopädischen Maßschuhen und Zurichtungen an Konfektionsschuhen abgegeben habe, die den ärztlichen Verordnungen nicht entsprachen, und in einer Vielzahl von Fällen Kostenvoranschläge und Abrechnungen nicht den Leistungen entsprochen hätten, und dass daraus ein Schaden in Höhe von 184 000 DM entstanden sei, hätte er dem Gericht aufzeigen müssen, wie dieses sich vom Gegenteil - nämlich seines stets einwandfreien Abrechnungsverhaltens - hätte überzeugen können. Der Kläger hat aber nicht einmal behauptet, es seien keine Abrechnungsfehler vorgekommen, und er hat auch keine Tatsachen angegeben, die eine solche Behauptung stützen könnten.
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Der Kläger geht vielmehr davon aus, dass die Beklagte bei dem (feststehenden) Sachverhalt aus Rechtsgründen keinen Anspruch gegen ihn hatte und daher das Schuldanerkenntnis ohne Rechtsgrund abgegeben wurde. Damit rügt der Kläger in der Sache aber keine ungenügende Sachverhaltsaufklärung, sondern eine abweichende Rechtsauffassung.
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c) Auch wenn die vom LSG festgestellten Tatsachen die Annahme eines Abrechnungsbetruges nicht rechtfertigen sollten, ist dem LSG jedenfalls kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem sein Urteil beruhen könnte. Ein möglicher Anspruch der Beklagten auf Erstattung überzahlter Leistungen kommt nicht nur bei Abrechnungsbetrug in Betracht, sondern auch dann, wenn die Abrechnungen lediglich fehlerhaft gewesen sind (zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei überzahlten Leistungen vgl zB BSG Urteil vom 18.6.2014 - B 3 KR 10/13 R - juris und BSG Urteil vom 1.7.2014 - B 1 KR 2/13 R - juris, jeweils mwN). Dieser Erstattungsanspruch der Krankenkasse bei fehlerhaften Abrechnungen und überhöhten Kostenvoranschlägen setzt nicht voraus, dass dem Leistungserbringer zuvor die Möglichkeit einer Nachbesserung eingeräumt worden ist. Ein solches Recht kommt von vornherein nur in Betracht, wenn die vom Orthopädietechniker angefertigten Maßschuhe oder Schuhzurichtungen handwerklich-technische oder funktionelle Defizite aufweisen. Darum geht es hier jedoch nicht. Der Kläger hat zugestanden, Schuhe und Zurichtungen angefertigt zu haben, die so nicht ärztlich verordnet worden waren und unkorrekte Kostenvoranschläge und Abrechnungen erstellt zu haben. Beides hat zu ungerechtfertigten Zahlungen der Beklagten geführt, die diese zurückverlangt hat. Ein entsprechender Anspruch kann der Beklagten auch zustehen, wenn diese eine konkrete orthopädietechnische Versorgung eines Versicherten genehmigt hat, dieser Genehmigung aber etwa ein manipulierter Kostenvoranschlag zu Grunde lag. Dass ihm Abrechnungsfehler unterlaufen sind, hat der Kläger weder im Jahr 2001 noch im Dezember 2005 in Frage gestellt. Anders ist sein Vorschlag, es vergleichsweise bei den bis Dezember 2005 geleisteten Zahlungen zu belassen, nicht zu deuten.
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Da das Anerkenntnis dazu diente, die näheren Umstände dieser Abrechnungsfehler nicht weiter aufklären zu müssen und auch die genaue Höhe der insgesamt eingetretenen Überzahlungen nicht ermitteln zu müssen, ist nicht erkennbar, aus welchem Grund das abgegebene konstitutive Schuldanerkenntnis unwirksam oder kondizierbar gewesen sein könnte. Es war gerade Sinn und Zweck des Anerkenntnisses, mögliche Prozessrisiken für beide Seiten auszuschließen.
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Zum Nachteil des Klägers stand bei weiteren Ermittlungen nicht nur ein möglicherweise erheblich höherer Rückforderungsanspruch der Beklagten sondern ggf sogar der Widerruf seiner Zulassung im Raum. Denn Falschabrechnungen in dem von der Beklagten behaupteten Umfang konnten ggf einen Widerruf der Zulassung rechtfertigen. Zu dem Zeitpunkt, als der Kläger das Anerkenntnis abgab, folgte die Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln noch dem sog Zulassungsmodell; § 126 Abs 1 SGB V (in der Fassung durch das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung [Gesundheitsstrukturgesetz] vom 21.12.1992, die bis 31.12.2003 galt - im Folgenden: aF) sah eine Versorgung der Versicherten nur durch zugelassene Leistungserbringer vor; die Zulassung konnte nach § 126 Abs 4 SGB V aF widerrufen werden, wenn der Betroffene keine ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten mehr gewährleisten konnte. Diesen Widerruf, hier als "Zulassungsentziehung" bezeichnet, hat der Kläger durch sein Anerkenntnis vermieden. Wenn auf der anderen Seite die Beklagte trotz fehlerhafter Abrechnungen des Klägers Rückforderungen aus Rechtsgründen möglicherweise nicht in dem von ihr damals zu Grunde gelegten Umfang hätte geltend machen können, spricht dies allein noch nicht für die Unwirksamkeit oder Kondizierbarkeit des Anerkenntnisses, solange solche Ansprüche nicht von vornherein ausgeschlossen waren. Das ist aber vorliegend nicht der Fall gewesen.
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2. Dem Urteil fehlen auch nicht die wesentlichen Urteilsgründe. Das LSG hat entscheidend darauf abgestellt, dass der Zweck des Schuldanerkenntnisses in der Beseitigung der Ungewissheit über das Ausmaß der fehlerhaften Abrechnungen und Überzahlungen und der Vermeidung weiterer Auseinandersetzungen liege. Dabei war das Gericht nicht gehalten, zu den rechtlichen Erwägungen des Klägers zum Nachbesserungsrecht und zur Genehmigung der Leistungen durch die Beklagte im Einzelnen Stellung zu nehmen, solange zumindest möglich und sogar wahrscheinlich war, dass der Kläger erhaltene Vergütungen zurückzahlen musste.
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3. Der in der Klageschrift enthaltenen Anregung des Klägers, die Beigeladene als Zeugin dafür zu vernehmen, dass er zur Abgabe der Unterschrift auf der Erklärung vom 20.7.2001 mit dem Hinweis auf ansonsten drohenden Zulassungswiderruf gedrängt worden sei, war das LSG nicht gehalten zu folgen. Schwerwiegende Vertragsverstöße insbesondere bei Abrechnungen konnten einen Widerruf der Zulassung nach § 126 Abs 4 SGB V aF rechtfertigen. Einen so zu verstehenden Hinweis enthält bereits die vom Kläger am 20.7.2001 unterzeichnete Erklärung. Dies allein führt aber nicht zu ihrer Unwirksamkeit, da in einem Hinweis auf die Rechtslage keine widerrechtliche Drohung gesehen werden kann. Der Kläger allein konnte beurteilen, inwieweit die von ihm dem Grunde nach zugestandenen Abrechnungsfehler nach Dauer und Intensität den Widerruf der Zulassung rechtfertigen könnten. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er am 20.7.2001 die Tragweite des von ihm abgegebenen Anerkenntnisses nicht hätte erkennen können. Soweit er sich darauf beruft, unter Druck gestanden zu haben, beruht das darauf, dass er sehr konkret damit rechnen musste, dass als Folge seiner fehlerhaften Abrechnungen seine berufliche und wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel stand. Vor diesem Hintergrund hat er im gerichtlichen Verfahren keine Tatsachen geschildert, welche im Wege des Zeugenbeweises aufgeklärt werden könnten, um eine rechtswidrige Drohung seitens der Beklagten zu belegen, oder eine über die objektiv feststehenden, ihn belastenden Umstände hinausgehende Zwangssituation, aufgrund derer das Anerkenntnis unwirksam sein könnte.
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4. Das Urteil weicht auch nicht von einer Entscheidung des BSG ab, insbesondere nicht von dem vom Kläger angeführten Urteil des Senats vom 28.11.2013 (B 3 KR 24/12 R). Es geht vorliegend weder um die Herausgabe von Abrechnungsunterlagen, die Gegenstand des Senatsurteils vom 28.11.2013 war, noch um eine nachträgliche Rechnungskorrektur. Umstritten ist allein, ob der Kläger Zahlungen zurückfordern kann, die er auf der Grundlage eines konstitutiven Anerkenntnisses geleistet hat, das er zur Beilegung rechtlicher und tatsächlicher Unsicherheiten in Bezug auf einen im Raum stehenden Rückerstattungsanspruch der Beklagten abgegeben hat. Zudem hat der Senat in der genannten Entscheidung vom 28.11.2013 nicht in Frage gestellt, dass einer Krankenkasse bei konkret belegten Falschabrechnungen Rückforderungsansprüche zustehen könnten.
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5. Der Rechtsstreit hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Der Kläger hat folgende Fragen aufgeworfen:
"Ist eine Regelung von Rückforderungsansprüchen über ein abstraktes Schuldanerkenntnis überhaupt zulässig?
Käme man zu dem Ergebnis, dass abstrakte Schuldanerkenntnisse grundsätzlich zulässig wären, wäre zu fragen, wie konkret die zur Begründung dienenden Tatsachen sein müssen, um ein solches Anerkenntnis zu rechtfertigen.
Müssen gesetzliche Krankenkassen im Bereich der Versorgung mit Hilfsmitteln vor Annahme eines abstrakten Schuldanerkenntnisses Nachweise für eine Vertragsverletzung, einen Abrechnungsbetrug vorlegen, bevor eine Schätzung eines 'Schadens' oder eines Rückforderungsanspruchs der Höhe nach zulässig sind?
Müssen Ansprüche dem Grunde nach nachgewiesen werden, bevor eine Schätzung der Höhe eines Anspruchs in Betracht kommt?
Muss einem Leistungserbringer die Möglichkeit eingeräumt werden, bei einer pauschalen Berechnung nachweisen zu dürfen, dass der Schaden überhaupt nicht oder erheblich geringer eingetreten ist als dem Anerkenntnis zugrunde liegt?
Darf eine gesetzliche Krankenkasse ein abstraktes Schuldanerkenntnis annehmen, wenn sich aus Rechtsgründen ergibt, dass ein zugrundeliegender Anspruch in keinem Falle vorliegen kann oder nachgewiesen werden kann?
Kann ein abstraktes Schuldanerkenntnis kondiziert werden mit der Folge, dass auf das Anerkenntnis geleistete Zahlungen zurückverlangt werden können?
Wen trifft die Feststellungslast/die objektive Beweislast dafür, dass eine Rechtsgrundlage vorhanden ist oder nicht?
Welche Anforderungen sind an die Tatsachenfeststellungen der Sozialgerichte zu stellen, wenn es um die Frage geht, ob ein Rechtsgrund für ein Schuldanerkenntnis besteht oder nicht?
Sind die Regelungen zu § 812 BGB entsprechend heranzuziehen, soweit es um die negative Tatsache 'ohne Rechtsgrund' geht?
Ist ein abstraktes Schuldanerkenntnis unwirksam, wenn die anerkannte Leistung doppelt so hoch ist wie die zugrundeliegende Forderung, die das Anerkenntnis stützen soll?"
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Diese Fragen sind insgesamt nicht klärungsbedürftig, da es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf, um zu erkennen, dass auch in öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen zur Ausräumung von tatsächlichen und rechtlichen Zweifeln über das Bestehen, die Durchsetzbarkeit und/oder die Höhe von Ansprüchen ein verbindliches Anerkenntnis einer Seite abgegeben werden kann. Als Prozesshandlung im sozialgerichtlichen Verfahren findet das Anerkenntnis sogar eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage in § 101 Abs 2 SGG. Aus der Doppelnatur des Anerkenntnisses als Prozesshandlung (vgl hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 101 RdNr 21 mwN) ergibt sich ohne Weiteres, dass solche Erklärungen auch außerhalb von Gerichtsverfahren wirksam abgegeben werden können. Krankenkassen haben gegenüber Leistungserbringern keine besonderen Schutz- oder Aufklärungspflichten und können schon nach dem Gesetz einzelvertragliche Regelungen treffen (vgl zB § 127 Abs 3 SGB V in der aktuellen Fassung sowie § 127 Abs 2 Satz 2 SGB V aF, nach der Krankenkassen zumindest einzelvertragliche Regelungen über die Preise schließen konnten). Da der Kläger nicht nachgewiesen hat, dass er der Beklagten keinen Schaden verursacht hat, sind die darauf gerichteten Fragen, sowie die Frage der grundsätzlichen Möglichkeit, ein Schuldanerkenntnis zu kondizieren, unerheblich. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl nur BSG Urteil vom 18.6.2014 - B 3 KR 10/13 R - juris und BSG Urteil vom 1.7.2014 - B 1 KR 2/13 R - juris, jeweils mwN) kann eine Krankenkasse eine Überzahlung, die auf einer fehlerhaften Abrechnung des Leistungserbringers beruht, im Wege eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zurückerstattet verlangen, wenn die Zahlung ohne Rechtsgrund erfolgte.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
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7. Die Streitwertfestsetzung basiert auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 47 Abs 3, § 52 Abs 1 GKG und entspricht der Festsetzung für die zweite Instanz.
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