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BVerfG 04.07.2024 - 1 BvL 5/24
BVerfG 04.07.2024 - 1 BvL 5/24 - Unzulässige Richtervorlage zur Verfassungsmäßigkeit von § 121 ZPO, insb bzgl der Beiordnung einer Rechtsanwaltsgesellschaft bzw Kanzleigemeinschaft - mangelnde Vorlagebegründung
Normen
§ 81a BVerfGG, Art 100 Abs 1 GG, § 121 ZPO
Vorinstanz
vorgehend AG Marburg, 13. Februar 2024, Az: 9 C 353/23, Vorlagebeschluss
Tenor
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Die Vorlage ist unzulässig.
Gründe
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Das Vorlageverfahren betrifft die Frage, ob § 121 ZPO, zuletzt geändert durch Art. 4 Nr. 2 des Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 26. März 2007 (BGBl I S. 358), mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
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I.
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1. § 121 ZPO ermöglicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Prozesskostenhilfeverfahren. Die Norm hat in der vorgelegten, seit dem 1. Juni 2007 geltenden Fassung folgenden Wortlaut:
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(1) Ist eine Vertretung durch Anwälte vorgeschrieben, wird der Partei ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet.
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(2) Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist.
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(3) Ein nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt kann nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen.
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(4) Wenn besondere Umstände dies erfordern, kann der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Prozessbevollmächtigten beigeordnet werden.
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(5) Findet die Partei keinen zur Vertretung bereiten Anwalt, ordnet der Vorsitzende ihr auf Antrag einen Rechtsanwalt bei.
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2. Der Vorlage liegt eine mietrechtliche Streitigkeit zugrunde. Der Vermieter nahm die Beklagten auf Räumung in Anspruch. Mit Schriftsatz vom 8. September 2023 beantragten diese für ihre Rechtsverteidigung die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung einer Rechtsanwaltskanzlei; der Antrag war von Rechtsanwalt Dr. L. aus der Kanzlei unterzeichnet worden. Nach vergleichsweiser Erledigung des Rechtsstreits gewährte das vorlegende Gericht den Beklagten mit Beschluss vom 22. Januar 2024 Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug einschließlich des Vergleichsabschlusses und ordnete den Beklagten „Rechtsanwalt Dr. L.“ bei. Mit Schriftsatz vom 7. Februar 2024 beantragte Rechtsanwältin F. aus der Kanzlei, den Beiordnungsbeschluss vom 22. Januar 2024 dahingehend zu berichtigen, dass nicht Herr Rechtsanwalt Dr. L., sondern die Rechtsanwaltskanzlei zur Wahrnehmung der Rechte beigeordnet werde.
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3. Mit Beschluss vom 13. Februar 2024 hat das vorlegende Gericht den Rechtsstreit ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 121 ZPO verfassungsgemäß oder einer Auslegung, wie sie der Bundesgerichtshof vornehme, zugänglich sei.
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Für die Entscheidung über den Berichtigungsantrag der Beklagtenvertreterseite komme es auf die Auslegung von § 121 ZPO an. Die Auslegung des Bundesgerichtshofs (Verweis auf BGH, Beschluss vom 17. September 2008 - IV ZR 343/07 -), wonach auch Rechtsanwaltsgesellschaften oder Kanzleigemeinschaften beigeordnet werden könnten, sei zwar nachvollziehbar und lasse einen pragmatischen Ansatz erkennen. Der Wortlaut des § 121 ZPO sei jedoch eindeutig und daher einer derart weiten Auslegung nicht zugänglich. Es sei nicht erkennbar, ob der Gesetzgeber den Willen gehabt habe, dass dem Antragsteller eine bestimmte Person beigeordnet werde oder es hierauf nicht ankomme, so dass auch eine Kanzlei oder Gesellschaft beigeordnet werden könne. Auch im Adoptionsrecht werde ein Kind einem Elternteil oder Elternpaar zugeordnet und nicht einer Gruppe, einem Verein oder einer Wohngemeinschaft.
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II.
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Die Vorlage ist unzulässig. Das vorlegende Gericht hat sie nicht hinreichend begründet (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Dies kann die Kammer durch einstimmigen Beschluss feststellen (§ 81a Satz 1 BVerfGG).
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1. Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist.
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a) Die Begründung muss mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass und weshalb das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 153, 310 333 Rn. 55>; 161, 163 245 Rn. 216>; stRspr). Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 138, 1 15 Rn. 41> m.w.N.; 161, 163 245 Rn. 216>).
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b) Das vorlegende Gericht muss von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm überzeugt sein und die für seine Überzeugung maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar darlegen (vgl. BVerfGE 138, 1 13 f. Rn. 37> m.w.N.). Der Vorlagebeschluss muss hierzu den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben und sich mit der Rechtslage auseinandersetzen, insbesondere auch mit der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. November 2023 - 1 BvL 6/21 -, Rn. 54 m.w.N.). Zudem muss das vorlegende Gericht die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung erörtern (vgl. BVerfGE 86, 71 77 f.>; 124, 251 262>; stRspr) und vertretbar begründen, dass es eine solche nicht für möglich hält (vgl. BVerfGE 121, 108 117> m.w.N.).
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2. Diesen Anforderungen wird die Vorlage nicht gerecht.
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a) Schon die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Norm wird nicht dargelegt. Die Begründung des Vorlagebeschlusses lässt nicht erkennen, inwiefern es sich bei dem von Rechtsanwältin F. gestellten „Berichtigungsantrag“ überhaupt um einen statthaften und zulässigen Rechtsbehelf handelt. Da das vorlegende Gericht mit Beschluss vom 22. Januar 2024 lediglich Rechtsanwalt Dr. L. und nicht – wie beantragt – die Rechtsanwaltskanzlei beigeordnet hat, hätte es der Erörterung bedurft, ob der Beschluss nicht insoweit, als der Beiordnungsantrag der Sache nach abgelehnt worden war, allein von den Beklagten mit der sofortigen Beschwerde nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO hätte angefochten werden können (vgl. dazu Wache, in: MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, § 121 Rn. 39 und § 127 Rn. 26 m.w.N.). Abgesehen davon setzt sich das vorlegende Gericht auch nicht mit den Voraussetzungen eines von ihm offenbar angenommenen Berichtigungsantrags nach § 319 Abs. 1 ZPO auseinander und legt insbesondere nicht dar, dass es sich bei der teilweisen Ablehnung des Beiordnungsantrags um einen „Schreibfehler, Rechnungsfehler“ oder eine „ähnliche offenbare Unrichtigkeit“ gehandelt hätte. Dies ist auch nicht ersichtlich, nachdem sich das vorlegende Gericht durch § 121 ZPO an der Beiordnung der Rechtsanwaltskanzlei gehindert gesehen hat.
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b) Auch seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 121 ZPO hat das vorlegende Gericht nicht dargelegt. Es fehlen sowohl die Angabe, mit welcher Verfassungsnorm § 121 ZPO nicht in Einklang stehen sollte als auch die Auseinandersetzung mit der einfachrechtlichen und verfassungsrechtlichen Rechtslage.
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Auch die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung, wie sie vom Bundesgerichtshof (Beschluss vom 17. September 2008 - IV ZR 343/07 -, Rn. 5 ff.) im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (prozessuale Waffengleichheit) vorgenommen wird, wird nicht erörtert. Vielmehr verweist das vorlegende Gericht ohne weitere Begründung pauschal auf den Gesetzeswortlaut, ohne sich mit den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hierzu entwickelten Maßstäben zu befassen. Dementsprechend unterbleibt eine Auseinandersetzung mit den übrigen Auslegungskriterien, insbesondere der Entstehungsgeschichte der Norm (vgl. dazu BVerfGE 88, 40 56 f.>; 112, 164 183>) und ihrem Zweck (vgl. dazu BVerfGE 101, 54 87>; 112, 164 183>). Welchen argumentativen Gehalt der Vergleich mit der Minderjährigenadoption haben sollte, erschließt sich nicht, handelt es sich dabei doch um eine auf das Wohl des Kindes und die Erwartung der Entstehung eines Eltern-Kind-Verhältnisses ausgerichtete Entscheidung (vgl. § 1741 Abs. 1 Satz 1 BGB), die sich von der zeitlich befristeten, förmlichen Vertretung in einem Gerichtsverfahren grundlegend unterscheidet.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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