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BVerfG 28.09.2020 - 2 BvR 1435/20
BVerfG 28.09.2020 - 2 BvR 1435/20 - Nichtannahmebeschluss: Kein Verstoß gg Analogieverbot des Art 104 Abs 1 S 1 GG durch Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls auf der Grundlage von § 131 Abs 1 StPO iVm § 162 StPO und § 77 Abs 1 IRG - Heranziehung von § 131 Abs 1 StPO als Rechtsgrundlage für internationale Ausschreibung begründet keinen Verstoß gegen das Willkürverbot
Normen
Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 104 Abs 1 S 1 GG, § 93a Abs 2 BVerfGG, Art 1 Abs 1 EGRaBes 584/2002, Art 9 Abs 3 S 2 EGRaBes 584/2002, EURaBes 299/2009, § 77 Abs 1 IRG, § 131 Abs 1 StPO, § 162 StPO
Vorinstanz
vorgehend OLG Frankfurt, 6. Juli 2020, Az: 1 Ws 65/20, Beschluss
vorgehend LG Frankfurt, 12. März 2020, Az: 5/02 KLs 14/19, Beschluss
vorgehend LG Frankfurt, 12. März 2020, Az: 5/02 KLs 14/19, Beschluss
Tenor
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1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
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I.
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Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen einen nationalen Haftbefehl des Landgerichts Frankfurt am Main und einen Beschluss des Landgerichts über den Erlass eines Europäischen Haftbefehls. Außerdem richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, der die gegen die Beschlüsse des Landgerichts gerichteten Beschwerden verwarf.
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Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines Grundrechts auf die Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG. Er macht unter anderem geltend, derzeit bestehe keine nationale Rechtsgrundlage für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls. Insbesondere sei es verfassungsrechtlich nicht tragfähig, auf § 131 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 77 Abs. 1 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) zurückzugreifen.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt. Landgericht und Oberlandesgericht haben das Strafverfahrensrecht nicht in einer das Verfassungsrecht verletzenden Weise (vgl. BVerfGE 18, 85 92 f.>) angewandt.
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1. Das Analogieverbot des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 29, 183 196>; 83, 24 31 f.>; BVerfGK 11, 208 213>) steht der Annahme der Fachgerichte, § 131 Abs. 1 StPO bilde in Verbindung mit § 162 StPO und § 77 Abs. 1 IRG in europarechtskonformer Auslegung eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls, nicht entgegen. § 131 Abs. 1 StPO erlaubt den zuständigen Behörden die Ausschreibung eines Beschuldigten zur Festnahme, wenn gegen den Beschuldigten ein Haft- oder Unterbringungsbefehl besteht. Der Europäische Haftbefehl entspricht dieser Zielrichtung, denn ausweislich Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl EU Nr. L 190 vom 18. Juli 2002, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl EU Nr. L 81 vom 27. März 2009, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: RbEuHb) handelt es sich bei dem Europäischen Haftbefehl um eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt. Die Einordnung des Europäischen Haftbefehls als besondere Art der Ausschreibung zur Festnahme ergibt sich überdies aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 RbEuHb, der die Ausschreibung eines Beschuldigten zur Festnahme im Schengener Informationssystem unter bestimmten Voraussetzungen dem Europäischen Haftbefehl ausdrücklich gleichstellt.
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2. Da § 131 Abs. 1 StPO auch Rechtsgrundlage für eine internationale Ausschreibung ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 16. April 2009 - 2 VAs 3/09 -, Rn. 7 f.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 11. Juli 2019 - 1 Ws 203/19 -, Rn. 8; OLG Hamm, Beschluss vom 1. August 2019 - III-2 Ws 96/19 -, Rn. 20 ff.; OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 6. Februar 2020 - 2 Ws 13/20 -, Rn. 5 ff.; Gerhold, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2014, § 131 Rn. 1; Meyer/Hüttemann, ZStW 2016, 394 401 f.>; Ahlbrecht, in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl. 2019, § 131 Rn. 2; Böhm, NZWiSt 2019, 325 328 f.>; Hackner, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. 2020, Vor § 68 Rn. 25b; Satzger, in: Satzger/Widmaier/Schluckebier, StPO, 4. Aufl. 2020, § 131 Rn. 5; Niesler, in: BeckOK zur StPO, 37. Edition Juli 2020, § 131 Rn. 4), ist es nicht willkürlich, § 131 Abs. 1 StPO auch als Rechtsgrundlage für die internationale Ausschreibung mittels eines Europäischen Haftbefehls heranzuziehen. Dass auch eine andere Auslegung der einfachrechtlichen Normen der § 77 Abs. 1 IRG, § 131 Abs. 1, § 162 StPO möglich ist (vgl. etwa Trüg/Ulrich, NJW 2019, 2811 2812 ff.>; Oehmichen/Schmid, StraFo 2019, 397 398 f.>; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. 2020, Vor § 112 Rn. 9 ff. und § 131 Rn. 1), begründet keinen Verfassungsverstoß.
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3. Die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts in den angegriffenen Beschlüssen ist auch ansonsten mit Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 GG) zu vereinbaren und erweist sich nicht als objektiv willkürlich (vgl. BVerfGE 65, 317 322>).
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4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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