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BVerfG 20.08.2015 - 1 BvR 980/15
BVerfG 20.08.2015 - 1 BvR 980/15 - Nichtannahmebeschluss: Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Verantwortungszurechnung gem § 30 Abs 1 OWiG bei Gesamtrechtsnachfolge und "Nahezu-Identität" mit ursprünglicher juristischer Person
Normen
Art 103 Abs 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 81 Abs 4 S 2 GWB, § 30 Abs 1 OWiG
Vorinstanz
vorgehend BGH, 27. Januar 2015, Az: KRB 39/14, Beschluss
vorgehend OLG Düsseldorf, 10. Februar 2014, Az: V-4 Kart 5/11 OWi, Urteil
Gründe
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I.
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Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind zivilgerichtliche Entscheidungen auf dem Gebiet des Kartellrechts.
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1. Die Beschwerdeführerin ist Rechtsnachfolgerin der im Jahr 2012 auf sie verschmolzenen M. Kaffee GmbH (im Folgenden: M. GmbH). Von Anfang 2000 bis Juli 2008 hatten die Geschäftsführer und Vertriebsleiter der M. GmbH jeweils im inneren Zusammenhang mit ihrer Stellung als Leitungspersonen sowie in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit Repräsentanten konkurrierender Röstkaffeehersteller ein Preiskartell auf den deutschen Absatzmärkten für Röstkaffee praktiziert.
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Mit Urteil vom 10. Februar 2014 setzte das Oberlandesgericht gegen die Beschwerdeführerin wegen einer vorsätzlichen Kartellordnungswidrigkeit gemäß § 81 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in Verbindung mit Art. 81 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) eine Geldbuße in Höhe von 55.000.000 € fest.
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Nachdem die M. GmbH infolge wirksamer Verschmelzung am 8. November 2012 nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 des Umwandlungsgesetzes (UmwG) erloschen sei, erstrecke sich die bußgeldrechtliche Haftung für von deren Leitungspersonen begangene Ordnungswidrigkeiten auf die Beschwerdeführerin als Gesamtrechtsnachfolgerin des erloschenen Verbandes. Die Zurechnung folge aus § 30 Abs. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG). Zwischen der vormals in der M. GmbH rechtlich verselbständigten Vermögensverwendung und der aus der Verschmelzung hervorgegangenen neuen Vermögensverbindung der Beschwerdeführerin bestehe nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise nahezu Identität.
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Zur Bemessung der gegen die Beschwerdeführerin festgesetzten Geldbuße wandte das Oberlandesgericht die am 3. Juli 2008 geltenden Regelungen in § 17 Abs. 1, § 30 Abs. 2 Satz 2 und 3 OWiG sowie § 81 Abs. 4 Satz 1 bis Satz 3 GWB in der Fassung vom 18. Dezember 2007 an. Auf dieser Grundlage gelangte es im vorliegenden Fall zu einer Bußgeldobergrenze von 112,4 Millionen €.
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Die gegen dieses Urteil gerichtete Rechtsbeschwerde der Beschwerdeführerin verwarf der Bundesgerichtshof als unbegründet. Das Oberlandesgericht habe ohne Rechtsverstoß eine Erstreckung der bußgeldrechtlichen Verantwortlichkeit auf die Beschwerdeführerin bejaht. Dieses Ergebnis sei mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vereinbar.
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2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3, Art. 20 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 2 GG.
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Die Zurechnung der Verantwortlichkeit erfolge im Wege einer verfassungswidrigen Analogiebildung zu § 30 Abs. 1 OWiG. Die Auslegung der Vorschrift durch die Gerichte sei von deren Wortlaut nicht gedeckt. Die Bußgeldzumessung sei auf Grundlage der verfassungswidrigen Regelung in § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB erfolgt. Diese lege nicht in hinreichend eindeutiger Weise einen Bußgeldrahmen für Kartellvergehen fest.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Sie erfüllt nicht die Annahmevoraussetzungen von § 93a Abs. 2 BVerfGG. Ihr kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin geboten. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg; sie ist nicht in einer den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechenden Weise begründet.
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Einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG hat die Beschwerdeführerin weder im Hinblick auf die Auslegung und Anwendung von § 30 Abs. 1 OWiG durch die Fachgerichte (1.), noch bezüglich der gesetzlichen Regelung in § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB (2.) ausreichend dargelegt.
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1. Art. 103 Abs. 2 GG zieht auch für die Auslegung von Bußgeldvorschriften eine verfassungsrechtliche Schranke (vgl. BVerfGE 87, 399 411> m.w.N.). Da Gegenstand der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen immer nur der Gesetzestext sein kann, erweist dieser sich als maßgebendes Kriterium: Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation. Wenn Art. 103 Abs. 2 GG Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit der Bußgeldandrohung für den Normadressaten verlangt, so kann das nur bedeuten, dass dieser Wortsinn aus der Sicht des Bürgers zu bestimmen ist (vgl. BVerfGE 71, 108 115>). Diese Grenze haben die Fachgerichte mit ihrer Interpretation von § 30 Abs. 1 OWiG nicht überschritten.
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Die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass die Festsetzung einer Geldbuße gegen eine Gesamtrechtsnachfolgerin, die mit der ursprünglichen juristischen Person bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nahezu identisch ist, von diesem Wortlaut nicht mehr erfasst wird, trifft nicht zu. Gerade aus Sicht eines unvoreingenommenen Bürgers dürfte in diesen Fällen die Annahme einer fortdauernden bußgeldrechtlichen Verantwortlichkeit zur Vermeidung der Umgehungsgefahr nahe liegen.
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Unbestritten ist dementsprechend, dass eine bloße Umfirmierung und auch der alleinige Wechsel der Rechtsform einer Verantwortungszurechnung nach § 30 Abs. 1 OWiG in der Regel nicht entgegenstehen (vgl. Meyberg, in: BeckOK OWiG, § 30 Rn. 39, 41 15. Dezember 2014> m.w.N.). Aber auch bei weitergehenden gesellschaftsrechtlichen Umgestaltungen kann von einer Verhängung der Geldbuße gegen "diese" juristische Person gesprochen werden, wenn es sich aus Sicht des Bürgers faktisch um die gleiche juristische Person handelt. Die hierfür vom Bundesgerichtshof entwickelten Kriterien - Gesamtrechtsnachfolge und "Nahezu-Identität" bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise (vgl. BGHSt 52, S. 58 ff.; BGH, Beschluss vom 11. März 1986 - KRB 8/85 -, juris, Rn. 13 ff.; Beschluss vom 23. November 2004 - KRB 23/04 -, juris, Rn. 15 ff.; Beschluss vom 4. Oktober 2007 - KRB 59/07 -, juris, Rn. 7) - sind dabei geeignet, die Voraussetzungen für die Annahme einer Verantwortungszurechnung hinreichend zu konkretisieren.
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Auch der Wille des Gesetzgebers stützt die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung. Denn Zweck der Geldbuße für juristische Personen ist die Schaffung eines Ausgleichs dafür, dass der juristischen Person, die nur durch ihre Organe zu handeln im Stande ist, zwar die Vorteile dieser in ihrem Interesse vorgenommenen Betätigung zufließen, dass sie aber beim Fehlen einer Sanktionsmöglichkeit nicht den Nachteilen ausgesetzt wäre, die als Folge der Nichtbeachtung der Rechtsordnung im Rahmen der für sie vorgenommenen Betätigung eintreten können. Dementsprechend sollen die der juristischen Person zugeflossenen Gewinne abgeschöpft und die Erzielung solcher Gewinne bekämpft werden (vgl. BTDrucks V/1269, S. 59 f.). Der Bundesgerichtshof ermöglicht mit seiner Rechtsprechung die Erreichung dieser Ziele auch bei wirtschaftlich zumindest weitgehend identischen Rechtsnachfolgern.
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Demgegenüber kann die Ansicht der Beschwerdeführerin, der Begriff der juristischen Person sei aus Gründen der Einheit der Rechtsordnung in einem "fachsprachlichen" Sinne auszulegen, nicht überzeugen. Es bleibt einerseits unklar, welchen Inhalt dieses fachsprachliche Verständnis haben soll, während die Beschwerdeführerin andererseits außer Acht lässt, dass in einer zwar einheitlichen, aber je nach Sachbereichen differenzierten Rechtsordnung eine "Relativität der Rechtsbegriffe" angelegt ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Dezember 1991 - 2 BvR 72/90 -, juris, Rn. 10).
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Hinzu kommt, dass für die Beschwerdeführerin das Risiko ihrer Heranziehung bei der Ahndung der Kartellordnungswidrigkeit zumindest aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorhersehbar sein musste (vgl. dazu BVerfGE 73, 206 243>; 126, 170 196 f.> m.w.N.). Der Bundesgerichtshof hatte seine grundlegende Entscheidung aus dem Jahr 1986 mehrfach und auch unmittelbar vor der Umwandlung der M. GmbH bestätigt (vgl. BGHSt 57, S. 193 ff.; BGH, Beschluss vom 10. August 2011 - KRB 2/10 -, juris, Rn. 8 ff.; Beschluss vom 10. August 2011 - KRB 55/10 -, juris, Rn. 13 ff.). Auch in der Rechtsprechung der Obergerichte (vgl. BayObLG, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 3 ObOWi 29/02 -, juris, Rn. 7; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Januar 2010 - VI-Kart 55/06 <OWi> u.a. -, juris, Rn. 39 ff.; s.a. schon KG, Urteil vom 18. April 1984 - Kart. a 27/83 -) und von der überwiegenden Meinung in der Literatur wird die Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs geteilt (vgl. Gürtler, in: Göhler/Gürtler/Seitz, OWiG, 16. Aufl. 2012>, § 30 Rn. 38c; Rogall, in: Karlsruher Kommentar OWiG, 4. Aufl. 2014>, § 30 Rn. 46 ff. m.w.N. auch zur Gegenauffassung; Förster, in: Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, § 30 Rn. 50 ff. <April 2014>).
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Damit setzt sich die Beschwerdeführerin nicht auseinander. Gegen die Annahme der "Nahezu-Identität" zwischen der M. GmbH und der Beschwerdeführerin selbst bringt die Beschwerdeführerin im Übrigen nichts vor.
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2. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, dass der Bußgeldrahmen in § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB gegen das Bestimmtheitsgebot verstoße, hat sie auch dies nicht ausreichend dargelegt. Sie verweist lediglich auf das Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der Vermögensstrafe (BVerfGE 105, 135 ff.), setzt sich aber mit den dort aufgestellten Maßstäben und der Frage ihrer Übertragbarkeit auf die angegriffene Regelung nicht ansatzweise auseinander.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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