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BVerfG 28.10.2011 - 2 BvR 2567/10
BVerfG 28.10.2011 - 2 BvR 2567/10 - Erlass einer einstweiligen Anordnung: Vorläufige Untersagung der Vollstreckung einer Jugendstrafe nach fast zweijähriger Untätigkeit der Justiz - Überwiegen der irreparablen Nachteile infolge der mit der Strafvollstreckung verbundenen Freiheitsentziehung
Normen
Art 2 Abs 2 S 2 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 17 Abs 1 JGG, § 79 StGB
Vorinstanz
vorgehend OLG Celle, 29. September 2010, Az: 1 Ws 421/10, Beschluss
Tenor
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Die Vollstreckung der Jugendstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hannover vom 24. Oktober 2007 - 31 a 68/06 - wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Antragstellers in der Hauptsache ausgesetzt.
Gründe
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I.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die Vollziehung eines seit April 2008 rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Hannover aus dem Jahre 2007, durch das der Beschwerdeführer wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde. Die erstmalige Ladung zum Strafantritt erfolgte mehr als 21 Monate nach Eintritt der Rechtskraft im Februar 2010. Nach einer zwischenzeitlichen Aussetzung der Ladung zum Strafantritt aufgrund der von ihm erhobenen Verfassungsbeschwerde ist der Beschwerdeführer nunmehr zum Haftantritt bis spätestens 2. November 2011 geladen worden.
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Die Verfassungsbeschwerde wirft unter anderem Fragen nach dem Verhältnis des im Jugendstrafrecht geltenden Erziehungsgedankens zum allgemein im Strafrecht geltenden Schuldausgleich auf sowie der Notwendigkeit eigener Vollstreckungsverjährungsvorschriften für das Jugendstrafrecht.
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Der Beschwerdeführer trägt vor, dass er aufgrund der beinahe zweijährigen Untätigkeit der Justiz im Vertrauen auf eine nicht mehr erfolgende Strafvollstreckung seine eigene Resozialisierung selbst betrieben habe, somit insbesondere dem Erziehungsziel des Jugendstrafrechts von sich aus genüge, und ein Strafvollzug nach mittlerweile mehr als drei Jahren nach Eintritt der Rechtskraft nur noch schädliche Wirkung hätte.
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II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 169 172>; 91, 328 332>; stRspr).
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die danach gebotene Folgenabwägung lässt die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen.
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3. Die Folgenabwägung ergibt, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegen.
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a) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich später die Verfassungsbeschwerde jedoch als begründet, so kann in der Zwischenzeit die erkannte Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten vollstreckt werden. Dabei handelt es sich um einen erheblichen, nicht wieder gutzumachenden Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person (vgl. BVerfGE 22, 178 180>), das unter den grundrechtlich verbürgten Rechten besonderes Gewicht hat (vgl. BVerfGE 65, 317 322>).
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b) Ergeht die einstweilige Anordnung, wird die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet zurückgewiesen, so wiegen die damit verbundenen Nachteile weniger schwer. In diesem Fall kann zwar die rechtskräftig erkannte Freiheitsstrafe vorübergehend nicht vollstreckt werden. Ein erheblicher Nachteil für das Wohl der Allgemeinheit ist durch das Zurücktreten des öffentlichen Interesses an einer alsbaldigen Vollstreckung einer rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe jedoch nicht zu besorgen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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