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BVerfG 04.10.2011 - 2 BvR 862/10
BVerfG 04.10.2011 - 2 BvR 862/10 - Nichtannahmebeschluss: Mangelnde Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs 2 S 1 BVerfGG) bei unterlassener Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde für die Revision im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - Antrag eines Sanitätsoffiziers auf vorweggenommene Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer bei noch bestehendem Soldatenverhältnis - Zumutbarkeit der Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs 2 S 2 BVerfGG) bei Möglichkeit der Abänderung einer bereits älteren gefestigten Rspr
Normen
Art 12a Abs 2 S 3 GG, Art 4 Abs 3 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 2 BVerfGG, § 46 Abs 6 SG, § 55 Abs 3 SG
Vorinstanz
vorgehend VG Koblenz, 25. Januar 2011, Az: 7 K 468/10.KO, Urteil
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die vorläufige Zurückweisung eines Antrags auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer.
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I.
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1. Der Beschwerdeführer trat im Juli 2000 als Reserveoffiziersanwärter in ein Sanitätsregiment der Bundeswehr ein. Im Jahr 2001 durchlief er eine Umschulung zum Sanitätsoffizier und war ab September 2008 im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz tätig. Im März 2010 wurde er zum Sanitätsführungskommando nach Koblenz versetzt.
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2. Mit Antrag vom 18. Januar 2010 beantragte der Beschwerdeführer die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Er trug vor, er habe am 19. Januar 2010 einen Antrag auf Entlassung aus dem Dienstverhältnis als Soldat gemäß § 46 Abs. 6, § 55 Abs. 3 SG gestellt.
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Mit Bescheid vom 9. Februar 2010 lehnte das Bundesamt für den Zivildienst den Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer als unzulässig ab. Zur Begründung führte die Behörde aus, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für Sanitätsoffiziere, die sich freiwillig zum Dienst in der Bundeswehr verpflichtet haben und nur Sanitätsdienst leisten, kein Rechtsschutzbedürfnis für die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer bestehe.
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3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 24. Februar 2010 Widerspruch. Diesen wies das Bundesamt für den Zivildienst mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2010 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus, dass es dem Beschwerdeführer bis zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Dienst auf eigenen Antrag am Rechtsschutzbedürfnis fehle.
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4. Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Beschwerdeführer am 21. April 2010 Klage vor dem Verwaltungsgericht. Diese wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 25. Januar 2011 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als unzulässig ab. Das Gericht führte aus, dass nach der durchgeführten Beweisaufnahme dem Beschwerdeführer kein Einsatz in einem Kriegsgebiet drohe, da für ihn eine Verwendung bis ins Jahr 2013 beim Sanitätsführungskommando vorgesehen sei. In der dortigen Verwendung bestehe nicht einmal im Ansatz die Gefahr einer Tätigkeit im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Einsatz von Kriegswaffen. Somit fehle es derzeit am Rechtsschutzbedürfnis für die vorweggenommene Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer bei noch bestehendem Soldatenverhältnis. Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde nicht zugelassen.
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II.
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1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Ausgangsbescheid, den Widerspruchsbescheid sowie das verwaltungsgerichtliche Urteil. Er rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 4 Abs. 3 GG und Art. 12a Abs. 2 Satz 3 GG sowie Art. 19 Abs. 4 GG.
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a) Dass ihn die zuständige Behörde und das Verwaltungsgericht zunächst ohne Entscheidung in der Sache auf die Entlassung aus dem Dienstverhältnis auf eigenen Antrag hin verweisen, verkenne die Tragweite der Grundrechte aus Art. 4 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 12a Abs. 2 Satz 3 GG, da die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte Beschränkung des Rechtsschutzbedürfnisses nicht ins Grundgesetz Eingang gefunden habe. Ebenso liege eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes vor, wenn Sanitätssoldaten, anders als die übrigen Zeit- und Berufssoldaten, erst nach ihrer Entlassung aus dem Dienst das Anerkennungsverfahren betreiben könnten.
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b) Weiterhin liege eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG in Gestalt der Versagung eines effektiven Rechtsschutzes dergestalt vor, dass ohne sachliche Rechtfertigung die Durchführung und der Abschluss des Entlassungsverfahrens aus dem Soldatendienst notwendige Voraussetzung des Anerkennungsverfahrens als Kriegsdienstverweigerer sein soll.
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c) Schließlich sei Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt, nachdem die angegriffenen Bescheide und das Urteil ohne verfassungsrechtliche oder gesetzliche Grundlage im Falle eines Sanitätssoldaten den praktischen Gebrauch seines Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG und zugleich auch sein Selbstverwirklichungsrecht einschränken würden.
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2. Die Erschöpfung des Rechtsweges sei unzumutbar, da die gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts von den Verwaltungsgerichten übernommen worden sei und daher auch in seinem Fall mit keiner abweichenden Entscheidung bis hin zu einer möglichen Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu rechnen wäre. Vor dem Hintergrund des besonderen Beschleunigungsgebots bei Verfahren über Kriegsdienstverweigerung sei ein Abwarten der erwartbaren "verwaltungsgerichtlichen Laufzeiten" nicht hinnehmbar.
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3. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen für eine notwendige Annahme (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor; die Annahme ist auch im Übrigen nicht angezeigt.
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Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer den fachgerichtlichen Rechtsweg nicht erschöpft hat und eine sofortige Entscheidung vor Erschöpfung des Rechtswegs nicht veranlasst ist (§ 90 Abs. 2 BVerfGG).
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Der Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist erst erschöpft, wenn der Beschwerdeführer keine Möglichkeit mehr hat, im Verfahren vor den Gerichten des zuständigen Gerichtszweigs eine Beseitigung der geltend gemachten Beschwer zu erlangen (vgl. BVerfGE 8, 222 225 f.>). Entscheidend ist hierbei, ob der Beschwerdeführer im Ergebnis mit seinem Begehren noch Erfolg haben könnte (vgl. BVerfGE 8, 222 225 f.>; 78, 58 68>).
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Im vorliegenden Verfahren sind die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht erfüllt, da der Beschwerdeführer gegen das ergangene verwaltungsgerichtliche Urteil und die dortige Nichtzulassung der Revision Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht erheben konnte.
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Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Unzumutbarkeit des Abwartens eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG ist nicht gegeben.
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Dringende Gründe, welche die Erschöpfung des Rechtswegs als unzumutbar erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich. Das gilt namentlich mit Blick auf die vom Beschwerdeführer angeführte gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Qualifikation des Sanitätsdienstes als waffenloser Dienst (vgl. BVerwGE 72, 241 242 ff.>; 80, 62 63 ff.>; BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 1988 - 6 C 38/87 -, Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 11, S. 17 f.; Urteil vom 10. Februar 1989 - 6 C 9/86 -, Buchholz 448.6 § 14 KDVG Nr. 21, S. 12; Urteil vom 28. März 1990 - 6 C 45/88 -, Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 16, S. 28 ff.; Urteil vom 3. April 1990 - 6 C 30/88 -, juris; Urteil vom 22. August 1994 - 6 C 14/92 -, Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 17, S. 2 ff.; Urteil vom 28. August 1996 - 6 C 2/95 -, Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 19, S. 7 ff.; Beschluss vom 3. Juli 1996 - 2 B 80/96 -, NZWehrr 1996, S. 217 218>). Diese Rechtsprechung datiert überwiegend aus den 1980er und frühen 1990er Jahren und ist vor dem Hintergrund einer völlig anderen politischen und rechtlichen Lage als heute ergangen. Zwar hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in einem Beschluss vom 20. November 2009 auf diese Rechtsprechung Bezug genommen; dies geschah jedoch, weil die dortige Beschwerdeführerin aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts keine neuen Gesichtspunkte aufgezeigt hatte, die eine andere Beurteilung hätten rechtfertigten können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. November 2009 - 6 B 24/09 -, NVwZ-RR 2010, S. 156 f.). Daraus kann nicht geschlossen werden, dass eine andere Bewertung durch die Fachgerichte auch im vorliegenden Fall offensichtlich ausgeschlossen wäre (vgl. BVerfGE 68, 376 380 f.>).
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2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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