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BVerfG 04.09.2010 - 1 BvR 2298/10
BVerfG 04.09.2010 - 1 BvR 2298/10 - Erlass einer einstweilige Anordnung: Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen ein Versammlungsverbot - Unzureichende da auf bloßer Vermutung basierender Gefahrenprognose des Einsatzes von Sprengkörpern
Normen
Art 8 Abs 1 GG, Art 8 Abs 2 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 6 PolG NW 2003, § 15 VersammlG
Vorinstanz
vorgehend VG Gelsenkirchen, 3. September 2010, Az: 14 L 970/10, Beschluss
nachgehend BVerfG, 8. Dezember 2010, Az: 1 BvR 2298/10, Nichtannahmebeschluss
Tenor
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1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verbotsverfügung des Polizeipräsidiums Dortmund vom 2. September 2010 wird mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass von der Versammlungsbehörde für erforderlich gehaltenen Auflagen Folge zu leisten ist.
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2. ...
Gründe
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Der mit der Verfassungsbeschwerde verbundene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der ein für sofort vollziehbar erklärtes Versammlungsverbot betrifft, hat Erfolg.
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Er ist zulässig. Insbesondere genügt er dem Grundsatz der Subsidiarität. Der Beschwerdeführer hat mit der Ankündigung einer Beschwerde gegen eine ablehnende Entscheidung des Verwaltungsgerichts und der Erhebung dieser Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht das ihm Zumutbare getan, fachgerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, auch wenn dieses abgelehnt hat, hierüber noch zeitgerecht zu entscheiden.
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Der Antrag ist auch begründet. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
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Im Eilrechtsschutzverfahren sind die erkennbaren Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde zu berücksichtigen, wenn - wie hier - aus Anlass eines Versammlungsverbots über einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs zu entscheiden ist und ein Abwarten bis zum Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens oder des Hauptsacheverfahrens den Versammlungszweck mit hoher Wahrscheinlichkeit vereitelte. Ergibt die Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren, dass eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet wäre, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz der schwere Nachteil für das gemeine Wohl im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 111, 147 153>).
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So liegt der Fall hier. Die dem Bundesverfassungsgericht im Eilrechtsschutzverfahren allein mögliche vorläufige Prüfung lässt eine ausreichende Rechtsgrundlage für das ausgesprochene Versammlungsverbot und damit für einen Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG nicht erkennen.
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Ist die behördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt (§ 15 VersG), erfordert die von der Behörde oder den befassten Gerichten anzustellende Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfGE 69, 315 353 f.>; 87, 399 409>). Diesen Anforderungen werden weder die Verbotsverfügung noch der Beschluss des Verwaltungsgerichts gerecht.
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Die Gefahrenprognose der angegriffenen Entscheidungen stützt sich im Kern darauf, dass ein kürzlich verhafteter Aktivist der "Kameradschaft Aachener Land" von ihm hergestellte Sprengkörper an Autonome Nationalisten in Dortmund weitergegeben haben könne und Teilnehmer der hier in Frage stehenden Demonstration wegen früherer Blockaden rechtsextremistischer Aufzüge in Dresden und Berlin stark emotionalisiert und bereit seien, solche möglicherweise an sie weitergegebenen Sprengkörper im Falle von Blockaden zur Durchsetzung ihres Versammlungsrechts auch einzusetzen. Tatsächliche Anhaltspunkte, die diese Prognose mit hinreichender Wahrscheinlichkeit stützen würden, sind jedoch nicht dargetan. Vielmehr wird es in der Verbotsverfügung lediglich nicht ausgeschlossen, dass der betreffende, zur Zeit in Berlin inhaftierte Aktivist aus Aachen möglicherweise weitere Sprengkörper hergestellt haben und diese auch nach Dortmund gebracht habe könnte, damit sie dort während der Demonstration des Beschwerdeführers nötigenfalls eingesetzt werden könnten. Dass die betreffenden Sprengkörper nach Dortmund gebracht worden sind, ist, wie das Verwaltungsgericht selbst ausführt, nicht tatsachengestützt belegt und beruht lediglich auf allgemeinen Überlegungen. Erst recht gilt das für die ohne jede erkennbare Tatsachen- oder Erfahrungsgrundlage getroffene Annahme, die Sprengkörper könnten entlang der Aufzugstrecke deponiert werden. Insgesamt stützt sich die Gefahrenprognose im Wesentlichen allein auf die Annahme einer von der konkreten Versammlung unabhängigen erhöhten Gewaltbereitschaft der rechten Szene allgemein aufgrund einer hier bestehenden emotionalisierten Stimmung. Bezogen auf die konkrete Versammlung beschränkt sie sich so auf Vermutungen, die für ein Verbot der Versammlung nicht ausreichen.
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Auch soweit das Verwaltungsgericht darauf hinweist, dass es bei der vorletzten entsprechenden Veranstaltung, der Veranstaltung zum "Antikriegstag" 2008, zum Einsatz pyrotechnischer Mittel gekommen sei, ergibt sich hieraus keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass eine unmittelbare Gefahr für Rechtsverletzungen bestünde, die das umfassende Versammlungsverbot auch für das Jahr 2010 trägt. Insbesondere lässt sich aus diesen Angaben weder für die damalige noch für die in Frage stehende Versammlung erkennen, dass durch die Gewalttätigkeiten Einzelner die Versammlung selbst die Schwelle zur Gewaltanwendung überschritten hatte bzw. sie überschreiten würde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, juris, Rn. 13). Denn das unfriedliche Verhalten Einzelner kann nicht für die gesamte Versammlung zum Verlust des Grundrechtsschutzes führen. Andernfalls könnte praktisch jede Großdemonstration verboten werden, weil sich nahezu immer Erkenntnisse über unfriedliche Absichten eines Teils der Teilnehmer beibringen ließen (vgl. BVerfGE 69, 315 361>).
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Schließlich ist das Versammlungsverbot auch nicht unter Notstandgesichtspunkten zu rechtfertigen. Der Verweis darauf, dass es bereits bei vorangehenden Versammlungen der rechten Szene wiederholt zu Blockaden gekommen sei, die die Polizei nicht habe verhindern können, kann nicht ausreichen, dies für die Zukunft als schicksalhaften Verlauf entsprechender Versammlungen hinzunehmen. Vielmehr hat die Polizei in Kooperation mit den Veranstaltern im Rahmen der fortbestehenden Möglichkeit, Auflagen zu erlassen, etwa durch eine Gestaltung der Versammlungsorte und Aufzugstrecken nach Lösungen zu suchen, in deren Rahmen sie das Versammlungsrecht effektiv sichern kann. Hierbei sind ausreichend Polizeikräfte bereit zu stellen.
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Die Auslagenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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