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BVerfG 24.06.2010 - 1 BvR 3332/08
BVerfG 24.06.2010 - 1 BvR 3332/08 - Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung der Rechtsschutzgleichheit (Art 3 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG) durch Überspannung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung - hier: schwierige Rechtsfragen im Rahmen eines Zivilverfahrens unter Berücksichtigung von fremden Recht (hier: iranischen Recht) - Gegenstandswertfestsetzung auf 8000 Euro
Normen
Art 20 Abs 3 GG, Art 3 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, §§ 114ff ZPO, § 114 S 1 ZPO, § 293 ZPO, § 568 S 2 Nr 1 Alt 2 ZPO
Vorinstanz
vorgehend OLG München, 21. November 2008, Az: 13 W 1413/08, Beschluss
vorgehend OLG München, 15. September 2008, Az: 13 W 1413/08, Beschluss
Tenor
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1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 15. September 2008 - 13 W 1413/08 - über die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe verletzt den Beschwerdeführer in seinen verfassungsmäßigen Rechten aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.
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2. Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 21. November 2008 - 13 W 1413/08 - ist damit gegenstandslos.
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3. Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
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4. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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I.
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1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein zivilgerichtliches Prozesskostenhilfeverfahren.
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Der Beschwerdeführer nimmt im Ausgangsverfahren den Vater seiner früheren Frau (im Folgenden: Beklagter) auf Zahlung von etwa 325.000 € in Anspruch. Beschwerdeführer und Beklagter sind iranische Staatsbürger, leben aber seit Jahrzehnten in Deutschland. Parallel zur Klage stellte der Beschwerdeführer Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Zur Begründung seines Anspruchs trug er im Wesentlichen folgendes vor: Er, der Beschwerdeführer, sei Geschäftsführer einer Teppichhandels GmbH gewesen, an der sich der Beklagte mit einer Einlage von rund 290.000 € still beteiligt habe. Als Sicherheit für die Rückzahlung der Beteiligung habe er dem Beklagten Ende 1999 sein Haus in Teheran angeboten. Auf die Beteiligung seien rund 160.000 € zurückgezahlt worden. Überdies habe der Beklagte Teppiche im Wert von rund 125.000 € aus der Firma entnommen. Nachdem die GmbH wegen Vermögenslosigkeit nicht mehr fortgeführt worden sei, habe die GmbH sämtliche Ansprüche gegen den Beklagten an ihn abgetreten. Im Jahr 2006 habe der Beklagte sein, des Beschwerdeführers, Haus im Wert von 330.000 € verwertet. Der Klageanspruch ergebe sich folglich aus der Summe der Rückzahlungen, des Wertes der entnommenen Teppiche und des Hauses in Teheran abzüglich der vom Beklagten geleisteten Beteiligung.
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Wegen Überlastung des Landgerichts wurde über den Prozesskostenhilfeantrag des Beschwerdeführers erst nach einem Jahr entschieden. Das Landgericht wies den Antrag zurück, weil die Klage keine Aussicht auf Erfolg habe. Die Klage sei trotz Hinweises des Gerichts nach wie vor unschlüssig und unsubstantiiert.
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Nachdem der Beschwerdeführer gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt hatte, übertrug der Einzelrichter beim Oberlandesgericht die Sache wegen "besonderer Schwierigkeiten rechtlicher Art" gemäß § 568 Satz 2 Nr. 1 Var. 2 ZPO durch Beschluss vom 15. September 2008 auf den Senat.
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Am selben Tag wies der Senat des Oberlandesgerichts die sofortige Beschwerde fünf Monate nach der landgerichtlichen Entscheidung durch die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Entscheidung zurück. In seinem 21-seitigen Beschluss arbeitete das Oberlandesgericht zahlreiche rechtliche Fragen ab und prüfte mehrere denkbare Anspruchsgrundlagen durch, wobei es hinsichtlich sämtlicher Anspruchsgrundlagen die Anwendbarkeit deutschen Rechts nach internationalem Privatrecht vorab behandelte. Im Zusammenhang mit der Frage, ob die deutschen Formvorschriften auf die vom Beschwerdeführer behauptete Sicherungsvereinbarung Anwendung fänden, prüfte es inzident, ob nach iranischem Recht zwingende Formvorschriften für den Abschluss eines derartigen schuldrechtlichen Vertrags bestünden.
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Nach Einlegung der Verfassungsbeschwerde erhob der Beschwerdeführer auf Hinweis des Präsidialrats fristgerecht die Anhörungsrüge nach § 321a ZPO. Das Oberlandesgericht wies die Rüge zurück.
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2. Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG durch die beiden letztbezeichneten Beschlüsse des Oberlandesgerichts.
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Das Oberlandesgericht habe das Gebot der Rechtsschutzgleichheit verletzt, weil es ihm Prozesskostenhilfe versagt habe, obwohl er die Bewilligungsvoraussetzungen erfüllt habe und die Klage Aussicht auf Erfolg gehabt habe. Er habe das Oberlandesgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei schwierigen Rechtsfragen Prozesskostenhilfe zu bewilligen sei. Durch den Beschluss des Einzelrichters, der die Rechtssache auf den Senat übertragen habe, habe das Oberlandesgericht auch klar zu erkennen gegeben, dass die Sache besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweise. Deshalb sei Prozesskostenhilfe zwingend zu gewähren gewesen.
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Zudem zeige "der Ablauf des Verfahrens", dass effektiver Rechtsschutz und rechtliches Gehör nicht gewährt worden seien. Die Verfahrensdauer habe fast eineinhalb Jahre betragen.
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3. Die Bayerische Staatsregierung und der Gegner des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen.
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II.
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1. Die Voraussetzungen einer stattgebenden Kammerentscheidung gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG liegen vor, soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Zurückweisung seiner sofortigen Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe durch das Oberlandesgericht wendet. Insofern ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und unter Berücksichtigung des in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärten verfassungsrechtlichen Maßstabs aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG offensichtlich begründet (a). Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beschluss des Oberlandesgerichts gegen weitere Grundrechte verstößt (b). Der die sofortige Beschwerde zurückweisende Beschluss ist aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (c). Der ebenfalls angefochtene Beschluss des Oberlandesgerichts über die Anhörungsrüge wird dadurch gegenstandslos (d).
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a) Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts vom 15. September 2008 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG in seiner Bedeutung als Gebot der Rechtsschutzgleichheit.
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aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 9, 124 130 f.>; stRspr). Dabei ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (vgl. BVerfGE 81, 347 357>).
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bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hält die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene, die Prozesskostenhilfe versagende Entscheidung einer verfassungsrechtlichen Überprüfung offensichtlich nicht stand. Das Oberlandesgericht hat die Anforderungen an die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einer den unbemittelten Beschwerdeführer benachteiligenden Weise überspannt.
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Bereits der durch einen hohen Begründungsaufwand veranlasste Umfang des 21-seitigen Beschlusses und die inhaltliche Komplexität seiner Erwägungen belegen hier die Schwierigkeit der entscheidungserheblichen Rechtsfragen. Das Oberlandesgericht hat darin alle in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen einzeln aufgegriffen und jeweils zunächst nach den Vorschriften des internationalen Privatrechts geprüft, ob deutsches oder iranisches Recht anwendbar sei. In diesem Rahmen war eine Vielzahl von Ausnahmevorschriften des EGBGB zu berücksichtigen, die teilweise die inzidente Prüfung iranischen Rechts erforderten. Hierzu wertete das Oberlandesgericht Urteile des Obersten Landesgerichts Teheran und des Allgemein-Zivilgerichts Teheran aus und zog Vorschriften des iranischen internationalen Privatrechts aus dem iranischen Zivilgesetzbuch heran.
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Soweit das Oberlandesgericht meint, die entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob das iranische Recht zwingende Formvorschriften für Grundstücksverträge vorsieht, sei zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt, könne jedoch im Hinblick auf die durch bereits vorliegende Rechtsprechung bereitgestellten Auslegungshilfen ohne Schwierigkeiten beantwortet werden, überzeugt dies nicht und greift im Übrigen zu kurz. Unabhängig von der Zugänglichkeit der - ins Englische übersetzten - iranischen Gesetzesvorschriften erscheint es bereits fragwürdig, ob das Oberlandesgericht den Inhalt der inzident zu prüfenden iranischen Gesetzesnormen aufgrund eigener Sachkunde zuverlässig ermitteln konnte oder ob bei pflichtgemäßer Ausübung des gemäß § 293 ZPO eingeräumten Ermessens nicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich gewesen wäre, zumal nicht ersichtlich ist, dass der erkennende Senat auf besondere Kenntnisse des iranischen Rechts zurückgreifen konnte. Denn an die Ermittlungspflicht des § 293 ZPO sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je komplexer und je fremder im Vergleich zum deutschen das anzuwendende Recht ist (Geimer, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 293 Rn. 15). Zudem geht das Oberlandesgericht bei der Frage der Prozesskostenhilfebewilligung darüber hinweg, dass nicht nur die inzidente Prüfung möglicher Formvorschriften des iranischen Rechts erforderlich war, sondern bereits - nach seiner Ansicht - die aufgrund kollisionsrechtlicher Normen zu ermittelnde Anwendbarkeit des deutschen Rechts eine umfassende und für jede Anspruchsgrundlage gesondert zu treffende Darstellung der Vorschriften des internationalen Privatrechts verlangte.
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Schließlich steht die angegriffene Beurteilung im Widerspruch zu dem Beschluss des Einzelrichters des Oberlandesgerichts, das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 Nr. 1 Var. 2 ZPO zur Entscheidung dem Senat zu übertragen. Warum das Verfahren einerseits wegen besonderer Schwierigkeiten rechtlicher Art nicht durch den Einzelrichter entschieden werden sollte, andererseits aber nach Meinung des Senats des Oberlandesgerichts keine schwierigen Rechtsfragen aufweisen soll, die nach den in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfordern, ist nicht nachvollziehbar.
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Unter diesen Umständen ist das Oberlandesgericht der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit nicht gerecht geworden (vgl. BVerfGE 81, 347 359>).
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b) Danach kann offen bleiben, ob die Entscheidung des Oberlandesgerichts auch gegen weitere vom Beschwerdeführer als verletzt erachtete verfassungsmäßige Rechte verstößt, namentlich gegen die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).
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c) Der die sofortige Beschwerde zurückweisende Beschluss ist wegen der Verletzung des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG in vollem Umfang aufzuheben und an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
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d) Damit ist der über die Anhörungsrüge entscheidende Beschluss des Oberlandesgerichts gegenstandslos. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob bei der Anwendung des § 321a ZPO ebenfalls gegen die als verletzt gerügten verfassungsmäßigen Rechte verstoßen wurde.
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2. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Der nach § 37 Abs. 2 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000 €. Weder die objektive Bedeutung der Sache noch Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit weisen hier Besonderheiten auf, die eine Abweichung veranlassen würden.
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