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BFH 30.11.2023 - IV R 13/21
BFH 30.11.2023 - IV R 13/21 - ((Teilweise) Aussetzung der Festsetzung oder Feststellung nach § 165 Abs. 1 Satz 4 AO)
Normen
§ 165 Abs 1 AO, § 165 Abs 2 AO, § 4 Abs 5b EStG 2009, EStG VZ 2010, EStG VZ 2011, § 48 Abs 1 FGO, § 165 Abs 1 S 4 AO
Vorinstanz
vorgehend FG Düsseldorf, 4. März 2021, Az: 14 K 53/18 F, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Die (teilweise) Aussetzung der Feststellung nach § 165 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) erfolgt durch einen im Ermessen der Finanzbehörde stehenden Verwaltungsakt, der gemäß § 121 Abs. 1 AO zu begründen ist (Bestätigung der Rechtsprechung).
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2. NV: Ist der Bescheid gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit der Gewerbesteuer und der darauf entfallenden Nebenleistungen als Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 5b des Einkommensteuergesetzes), kann er bei Beseitigung der (verfassungsrechtlichen) Ungewissheit nicht dergestalt nach § 165 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AO geändert werden, dass die Gewerbesteuer erstmals dem Gewinn hinzugerechnet wird.
Tenor
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Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 04.03.2021 - 14 K 53/18 F sowie die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2010 und 2011 vom 13.10.2016 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 06.12.2017 aufgehoben.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
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Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.
Tatbestand
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I.
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Streitig ist, ob Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (Gewinnfeststellungsbescheide) noch geändert werden können.
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Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) sowie der Beigeladene waren an der zum 01.01.2010 gegründeten A & B GbR (GbR) je zur Hälfte beteiligt. Mit dem Austritt des Beigeladenen zum 31.03.2015 wurde die Gesellschaft beendet; das Gesellschaftsvermögen wuchs dem Kläger an. Die Gesellschaft erzielte in den Streitjahren 2010 und 2011 Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Sie ermittelte ihren Gewinn nach § 5 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EStG durch Betriebsvermögensvergleich.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt --FA--) stellte die laufenden Gesamthandseinkünfte mit Gewinnfeststellungsbescheid für 2010 vom 09.08.2012 mit 306.540 € fest. Darin war die Gewerbesteuer in Höhe von 81.866 € --erklärungsgemäß-- als Betriebsausgabe berücksichtigt. Der Bescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung --AO--). Er wurde am 24.08.2012 antragsgemäß geändert.
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Mit Gewinnfeststellungsbescheid vom 01.03.2013 stellte das FA die laufenden Gesamthandseinkünfte für 2011 mit 395.720,92 € fest. Dabei wurde die Gewerbesteuer in Höhe von 128.018 € wiederum als Betriebsausgabe berücksichtigt. Der Bescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und war nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO teilweise vorläufig. Die Erläuterungen enthielten folgenden Passus:
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"Der Bescheid ist gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig hinsichtlich (…) der Nichtabziehbarkeit der Gewerbesteuer und der darauf entfallenden Nebenleistungen als Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 5b EStG). Die Vorläufigkeitserklärung erfasst sowohl die Frage, ob die angeführten gesetzlichen Vorschriften mit höherrangigem Recht vereinbar sind, als auch den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht oder der Bundesfinanzhof die streitige verfassungsrechtliche Frage durch verfassungskonforme Auslegung der angeführten gesetzlichen Vorschriften entscheidet (...). Sollte aufgrund einer diesbezüglichen Entscheidung des (…) Bundesverfassungsgerichts (…) diese Steuerfestsetzung aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen; ein Einspruch ist daher insoweit nicht erforderlich."
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Mit Schreiben vom 06.05.2015 teilte die Prozessbevollmächtigte des Klägers dem FA namens und im Auftrag der GbR mit, dass der Beigeladene aus der GbR ausgeschieden und sein Anteil dem Kläger angewachsen sei, der das Unternehmen seit dem 01.04.2015 als Einzelunternehmen fortführe.
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Mit an die Prozessbevollmächtigte des Klägers als Empfangsbevollmächtigte für die GbR ("mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten") gerichteten Gewinnfeststellungsbescheiden für 2010 und 2011 vom 17.06.2015 hob das FA die Nachprüfungsvorbehalte nach § 164 Abs. 3 AO auf. In den Gewinnfeststellungsbescheid für 2010 wurde der Vorläufigkeitsvermerk "Der Bescheid ist nach § 165 Absatz 1 Satz 2 AO teilweise vorläufig." aufgenommen. In den Erläuterungen heißt es:
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"Der Bescheid ist gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit der Gewerbesteuer und der darauf entfallenden Nebenleistungen als Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 5b EStG)."
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Der im Gewinnfeststellungsbescheid für 2011 enthaltene Vorläufigkeitsvermerk blieb unverändert.
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Nach Ergehen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16.01.2014 - I R 21/12 (BFHE 244, 347, BStBl II 2014, 531) und des nachfolgenden Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 12.07.2016 - 2 BvR 1559/14 (BStBl II 2016, 812) erließ das FA am 13.10.2016 nach § 165 Abs. 2 AO geänderte Gewinnfeststellungsbescheide für 2010 und 2011 und rechnete die bisher als Betriebsausgabe berücksichtigte Gewerbesteuer erstmals dem Gesamthandsgewinn nach § 4 Abs. 5b EStG hinzu. Danach wurden die laufenden Gesamthandseinkünfte für 2010 mit 388.406 € und für 2011 mit 523.772,40 € festgestellt. Zur Begründung führte das FA an, die Änderung erfolge, da die Gewerbesteuer außerbilanziell hinzugerechnet werden müsse und der Bescheid diesbezüglich vorläufig sei. Die Bescheide waren an die Prozessbevollmächtigte des Klägers als Empfangsbevollmächtigte für die GbR ("mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten") gerichtet.
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Hiergegen legte die Prozessbevollmächtigte des Klägers namens und im Auftrag der GbR Einspruch ein und machte geltend, dass sich der Vorläufigkeitsvermerk allein auf Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs. 5b EStG bezogen habe, nicht auf die Anwendung und Auslegung der Norm (durch außerbilanzielle Hinzurechnung der Gewerbesteuer). Zudem hätten der GbR die Bescheide vom 17.06.2015 und 13.10.2016 aufgrund ihrer Vollbeendigung nicht mehr bekanntgegeben werden dürfen; eine wirksame Bekanntgabe an den Beigeladenen sei bislang nicht erfolgt. Das FA wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 06.12.2017 als unbegründet zurück.
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Die nachfolgende Klage, mit der sich der Kläger ergänzend darauf berufen hatte, dass die fehlende Hinzurechnung der Gewerbesteuer eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO (in Gestalt eines vom FA übernommenen Eingabefehlers) darstelle und der Vorläufigkeitsvermerk nichtig sei, wies das Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 04.03.2021 - 14 K 53/18 F als unbegründet ab.
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Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von materiellem Bundesrecht (§ 165 AO).
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des FG Düsseldorf vom 04.03.2021 - 14 K 53/18 F sowie die Gewinnfeststellungsbescheide für 2010 und 2011 vom 13.10.2016 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 06.12.2017 aufzuheben.
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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des FG-Urteils sowie zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zwar hat das FG die Klage zu Recht für zulässig gehalten (dazu 1.). Allerdings hat die Vorinstanz zu Unrecht angenommen, dass das FA die Feststellungsbescheide nach § 165 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 AO ändern durfte (dazu 2.). Eine andere Korrekturvorschrift ist ebenso wenig einschlägig (dazu 3.). Das FG-Urteil war daher aufzuheben. Der Senat entscheidet in der Sache selbst und hebt die angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide für 2010 und 2011 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung auf (dazu 4.).
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1. Soweit das FG die Klage als zulässig angesehen hat, ist die Vorentscheidung nicht zu beanstanden.
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a) Gegenstand des Verfahrens ist die Feststellung des laufenden Gesamthandsgewinns in den geänderten Gewinnfeststellungsbescheiden für 2010 und 2011 (zur Anfechtbarkeit selbständiger Feststellungen vgl. nur BFH-Urteil vom 06.12.2022 - IV R 22/19, Rz 13). Die Frage, ob die von der Gesellschaft getragene Gewerbesteuer als Betriebsausgabe abgezogen werden kann, wirkt sich allein auf den Gesamthandsgewinn aus.
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b) Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger die erforderliche Klagebefugnis zukommt.
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aa) Gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 FGO ist eine Personengesellschaft befugt, als Prozessstandschafterin für ihre Gesellschafter und ihrerseits vertreten durch ihre(n) Geschäftsführer Klage gegen den Gewinnfeststellungsbescheid zu erheben, der sich inhaltlich nicht an die Gesellschaft, sondern an die Gesellschafter als Subjekte der Einkommensteuer richtet. Daneben können einzelne Gesellschafter unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 FGO klagebefugt sein. Erlischt eine Personengesellschaft durch Vollbeendigung ohne Abwicklung, kann nach ständiger Rechtsprechung des BFH ein Gewinnfeststellungsbescheid indes nur noch von den früheren Gesellschaftern angefochten werden, deren Mitgliedschaft die Zeit berührt, die der anzufechtende Gewinnfeststellungsbescheid betrifft. Insoweit lebt die bis zum Zeitpunkt der Vollbeendigung überlagerte Klagebefugnis der einzelnen Gesellschafter wieder auf. Eine Ausnahme gilt nur für Gesellschafter, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vom Ausgang des Rechtsstreits betroffen sein können; denn ein solcher Gesellschafter kann nicht geltend machen, im Sinne von § 40 Abs. 2 FGO in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Befugnis der Personengesellschaft, in Prozessstandschaft für ihre Gesellschafter Rechtsbehelfe gegen die Gewinnfeststellungsbescheide einzulegen, ist hingegen mit deren Vollbeendigung erloschen. Die gesetzliche Prozessstandschaft geht auch nicht auf den Rechtsnachfolger der vollbeendeten Personengesellschaft über (BFH-Urteil vom 06.12.2022 - IV R 22/19, Rz 16).
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bb) Nach diesen Rechtsgrundsätzen ist der Kläger klagebefugt. Nach Vollbeendigung der GbR durch Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters, des Beigeladenen, und Übergang des Gesellschaftsvermögens im Wege der Anwachsung (§ 738 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung) auf den verbliebenen Gesellschafter, den Kläger (vgl. BFH-Beschluss vom 17.10.2013 - IV R 25/10, Rz 19), ist dessen Klagebefugnis wiederaufgelebt. Er ist zudem vom Ausgang des Rechtsstreits, der zu einer Änderung des --nach Quote verteilten-- Gesamthandsgewinns führen kann, betroffen.
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c) Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass die Vorinstanz in rechtsschutzgewährender Auslegung des Rechtsbehelfs von einem Einspruch des Klägers als vormaligem Gesellschafter der GbR ausgegangen ist und die Sachentscheidungsvoraussetzung des § 44 Abs. 1 FGO als gegeben angesehen hat. Denn das FA hat die fehlerhafte Bezeichnung des Einspruchsführers durch die Bekanntgabe der angefochtenen Feststellungsbescheide an die GbR veranlasst (vgl. BFH-Urteile vom 23.04.2009 - IV R 87/05, BFH/NV 2009, 1650; vom 10.09.2015 - IV R 8/13, BFHE 251, 25, BStBl II 2015, 1046, zum vergleichbaren Fall bei Klageerhebung). Ebenso wenig erweist es sich als schädlich, dass der Kläger in der Einspruchsentscheidung nicht ausdrücklich als Einspruchsführer bezeichnet worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 25.03.2021 - VIII R 47/18, BFHE 272, 211, BStBl II 2021, 696, Rz 22).
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2. Allerdings hat die Vorinstanz zu Unrecht angenommen, dass das FA die Gewinnfeststellungsbescheide nach § 165 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 AO ändern durfte.
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a) Nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO, der gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO für die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen sinngemäß gilt, kann eine Steuer vorläufig festgesetzt werden, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für ihre Entstehung eingetreten sind. Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben (§ 165 Abs. 1 Satz 3 AO). Gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO ist § 165 Abs. 1 Satz 1 AO unter anderem auch dann anzuwenden, wenn die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), dem BVerfG oder einem obersten Bundesgericht ist.
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Soweit die Finanzbehörde eine Steuer vorläufig festgesetzt hat, kann sie die Festsetzung nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO aufheben oder ändern. Wenn die Ungewissheit beseitigt ist, ist eine vorläufige Steuerfestsetzung aufzuheben, zu ändern oder für endgültig zu erklären (§ 165 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AO).
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b) Gemäß § 165 Abs. 1 Satz 4 AO kann die Steuerfestsetzung unter den Voraussetzungen der Sätze 1 oder 2 auch gegen oder ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt werden. Wenn die Ungewissheit beseitigt ist, ist eine ausgesetzte Steuerfestsetzung nachzuholen (§ 165 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 AO).
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c) Das FG hat die Voraussetzungen des § 165 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 AO als gegeben angesehen; das FA habe die (ausgesetzte) Feststellung, dass der Gewinn nicht um die Gewerbesteuer als Betriebsausgabe zu kürzen sei (§ 4 Abs. 5b EStG), nach Beseitigung der Ungewissheit (Abschluss der Verfahren vor dem BFH und dem BVerfG) nachgeholt. Dies hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Anders als vom FG angenommen, fehlt es bereits an einer Aussetzung der Feststellung von Besteuerungsgrundlagen im Sinne des § 165 Abs. 1 Satz 4 AO durch das FA.
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aa) Bei der Prüfung der Frage, ob der Inhalt einer behördlichen Erklärung einen Verwaltungsakt darstellt, ist das Revisionsgericht nicht an eine Wertung durch das Tatsachengericht gebunden. Es handelt sich nicht um eine Tat-, sondern um eine Rechtsfrage. Dasselbe gilt für die Frage, welchen Inhalt der Verwaltungsakt hat (BFH-Urteil vom 01.10.2015 - X R 32/13, BFHE 251, 298, BStBl II 2016, 139, Rz 33).
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bb) Im Streitfall ist die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2010 und 2011 zwar teilweise vorläufig ergangen, nicht aber teilweise ausgesetzt worden.
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aaa) Das FG ist davon ausgegangen, dass die Gewinnfeststellungsbescheide für 2010 vom 17.06.2015 und für 2011 vom 01.03.2013 beziehungsweise 17.06.2015 hinsichtlich der Frage, ob die Nichtabziehbarkeit der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe (§ 4 Abs. 5b EStG) mit höherrangigem Recht vereinbar sei, vorläufig ergangen seien. Dagegen ist angesichts des eindeutigen Wortlauts des Vorläufigkeitsvermerks und der Erläuterungen in den Bescheiden, insbesondere zum Umfang der Vorläufigkeit und zum Rechtsschutz (Aufhebung/Änderung von Amts wegen, keine Notwendigkeit eines Einspruchs) nichts zu erinnern. Bedenken gegen die inhaltliche Bestimmtheit der Vorläufigkeitsvermerke bestehen nicht. Gegen die Annahme entsprechender Vorläufigkeiten spricht auch nicht, dass die Gewerbesteuer dem Gewinn --contra legem (§ 4 Abs. 5b EStG)-- nicht außerbilanziell wieder hinzugerechnet worden ist. Dies ist ein materieller Fehler, der der Wirksamkeit der Vorläufigkeitsvermerke aber nicht entgegensteht. Im Übrigen kann gegen den nach § 165 Abs. 2 AO geänderten Bescheid der Einwand der Rechtswidrigkeit des Vorläufigkeitsvermerks nicht mehr erhoben werden (vgl. nur BFH-Urteil vom 14.04.1999 - XI R 24/96, BFH/NV 1999, 1438, unter II.2.a; Seer in Tipke/Kruse, § 165 AO Rz 49; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 165 AO Rz 135).
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bbb) Zugleich ist die Vorinstanz jedoch von einer entsprechenden Aussetzung der Feststellungen durch das FA ausgegangen. Sie hat darauf hingewiesen, dass die Vorläufigkeitsvermerke gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO mit einer Aussetzung im Sinne des § 165 Abs. 1 Satz 4 AO hätten ergehen dürfen (unter II.2.b cc der Entscheidungsgründe). Dem kann der erkennende Senat nicht beipflichten; eine derartige teilweise Aussetzung der Feststellung der laufenden Gesamthandseinkünfte für 2010 und 2011 ist in tatsächlicher Hinsicht gerade nicht erfolgt. Die (teilweise) Aussetzung der Feststellung erfolgt durch einen im Ermessen der Finanzbehörde stehenden Verwaltungsakt, der gemäß § 121 Abs. 1 AO zu begründen ist (vgl. BFH-Urteil vom 20.09.2016 - VII R 8/15, Rz 16). Aus den Gewinnfeststellungsbescheiden selbst und aus den sonstigen Umständen des Streitfalls ergeben sich indes keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das FA die Feststellung der laufenden Gesamthandseinkünfte für 2010 und 2011 --entgegen der Weisungslage (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 10.12.2012, BStBl I 2012, 1174: vorläufige Festsetzung)-- aussetzen wollte, soweit es um die (Nicht)Berücksichtigung der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe ging.
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3. Wenngleich das FG (und der BFH) nicht an die von der Finanzbehörde in der Begründung der Änderungsbescheide herangezogene Korrekturnorm gebunden ist (vgl. nur BFH-Beschluss vom 12.06.2018 - VIII R 38/14, Rz 33), lassen sich die Änderungsbescheide auch nicht auf eine andere Korrekturvorschrift stützen. Die Vorentscheidung stellt sich daher nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO).
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a) Eine Änderungsbefugnis ergibt sich nicht aus § 165 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AO.
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aa) Zwar durfte das FA die vorläufige Feststellung nach Beseitigung der Ungewissheit (Abschluss der die Verfassungsmäßigkeit von § 4 Abs. 5b EStG betreffenden Verfahren vor dem BFH und dem BVerfG) aufheben, ändern oder für endgültig erklären. Im Anwendungsbereich des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO kommt jedoch in den Fällen, in denen die Vereinbarkeit des Steuergesetzes mit höherrangigem Recht durch den EuGH, das BVerfG oder ein oberstes Bundesgericht bestätigt wird, allein eine Endgültigerklärung in Betracht.
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§ 165 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AO erlaubt es, die Folgen aus der Beseitigung der (rechtlichen) Ungewissheit (Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Steuergesetzes) zu ziehen. Da die die Vorläufigkeit rechtfertigende Ungewissheit aus der Unsicherheit herrührt, ob das Gesetz anzuwenden ist (Oellerich in Gosch, AO § 165 Rz 72), tritt mit der Bestätigung der Verfassungsmäßigkeit der Norm Gewissheit ein. Das Steuergesetz bleibt angewendet.
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Eine erstmalige (Nicht-)Berücksichtigung der Besteuerungsgrundlage, die Gegenstand des mit verfassungsrechtlichen Zweifeln belegten Steuergesetzes ist, kommt hingegen nicht in Betracht. Insofern bestand keine (verfassungsrechtliche) Ungewissheit. Darauf erstreckte sich auch der Vorläufigkeitsvermerk nicht ("... vorläufig hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit der Gewerbesteuer ..."). Zwar ist die Abziehbarkeit der Gewerbesteuer gewissermaßen die Kehrseite der Nichtabziehbarkeit. Ungewiss war aber nicht die Verfassungsmäßigkeit eines Steuergesetzes, das den --tatsächlich erfolgten-- Abzug des betrieblich veranlassten Gewerbesteueraufwands (BFH-Urteil vom 10.09.2015 - IV R 8/13, BFHE 251, 25, BStBl II 2015, 1046, Rz 17) als Betriebsausgabe (deklaratorisch) regelt, sondern die Verfassungsmäßigkeit des in § 4 Abs. 5b EStG verankerten Betriebsausgabenabzugsverbots, das weder die GbR bei der Gewinnermittlung noch das FA bei der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen beachtet haben. Die Beseitigung der (rechtlichen) Ungewissheit "Verfassungsmäßigkeit des Betriebsausgabenabzugsverbots" kann nicht einfachrechtlich durch die erstmalige Anwendung des § 4 Abs. 5b EStG (außerbilanzielle Hinzurechnung der Gewerbesteuer) umgesetzt werden. Insofern fehlt es an einem Zusammenhang zwischen der Korrektur und der Beseitigung der Ungewissheit (vgl. dazu Seer in Tipke/Kruse, § 165 AO Rz 44). § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO dient insbesondere nicht der Korrektur von Rechtsfehlern.
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Bei der Hinzurechnung der Gewerbesteuer handelt es sich auch nicht um eine der Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs. 5b EStG "nachrangige" Rechts- oder Tatfrage, die in die Vorläufigkeit einbezogen ist (vgl. BFH-Urteil vom 27.11.1996 - X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791, unter 4.b; Seer in Tipke/Kruse, § 165 AO Rz 43). Vielmehr ist die Hinzurechnung der Gewerbesteuer aufgrund des Betriebsausgabenabzugsverbots die notwendige Vorbedingung, um die Verfassungsmäßigkeit des Betriebsausgabenabzugsverbots als entscheidungserhebliche Rechtsfrage überhaupt prüfen zu können.
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bb) Zudem erlaubt § 165 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AO im Fall des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO, der der Entlastung sowohl der Finanzverwaltung als auch des Steuerpflichtigen dienen soll (Oellerich in Gosch, AO § 165 Rz 67), ausschließlich eine Änderung zu Gunsten des Steuerpflichtigen (Heuermann in HHSp, § 165 AO Rz 46). Wird die Verfassungsmäßigkeit des von der Verwaltung angewandten Steuergesetzes bestätigt, ergibt sich kein Änderungsbedarf. Hält das BVerfG das zu Lasten des Steuerpflichtigen wirkende Steuergesetz für verfassungswidrig, ist der vorläufige Bescheid zu seinen Gunsten zu ändern. Im umgekehrten Fall (Verwerfung eines den Steuerpflichtigen begünstigenden Steuergesetzes) scheidet eine Änderung nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 AO aus. Eine Änderung zu Lasten des Steuerpflichtigen sieht § 165 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AO im Fall des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO daher nicht vor.
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cc) Der Hinweis des FA in der mündlichen Verhandlung, § 165 AO ermögliche auch die vorläufige Nichtfestsetzung der Steuer, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die vorläufige Nichtfestsetzung der Steuer ist die (hier nicht erfolgte) Aussetzung der Festsetzung beziehungsweise Feststellung im Sinne des § 165 Abs. 1 Satz 4 AO. Soweit das FA auf die Möglichkeit verweist, ungeklärte Einkunftsquellen gänzlich aus der Besteuerung auszuklammern, betrifft dies Fälle, in denen in tatsächlicher Hinsicht Ungewissheit über die Voraussetzungen des gesetzlichen Steuertatbestands besteht (vgl. BFH-Beschluss vom 13.10.2009 - X B 55/09, BFH/NV 2010, 168, unter 1. [Rz 8], betreffend Liebhaberei; Frotscher in Schwarz/Pahlke/Keß, § 165 AO Rz 58: "Sachverhalte, bei denen Ungewissheit besteht").
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b) Ebenso wenig können die Änderungsbescheide auf § 129 Satz 1 AO gestützt werden.
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aa) Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen (§ 129 Satz 2 AO).
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aaa) Die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO setzt grundsätzlich voraus, dass die offenbare Unrichtigkeit in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist. Da die Unrichtigkeit aber nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist die Vorschrift auch dann anwendbar, wenn die Behörde offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt (z.B. BFH-Urteil vom 08.12.2021 - I R 47/18, BFHE 275, 293, BStBl II 2022, 827, Rz 15, m.w.N.).
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bbb) Offenbare Unrichtigkeiten im Sinne des § 129 AO sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts eine offenbare Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht. Dagegen ist die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO nicht von Verschuldensfragen abhängig (z.B. BFH-Urteil vom 08.12.2021 - I R 47/18, BFHE 275, 293, BStBl II 2022, 827, Rz 16, m.w.N.).
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ccc) Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muss nach den Verhältnissen des Einzelfalls beurteilt werden; es handelt sich im Wesentlichen um eine Tatfrage, die der revisionsgerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfang unterworfen ist (z.B. BFH-Urteil vom 08.12.2021 - I R 47/18, BFHE 275, 293, BStBl II 2022, 827, Rz 17, m.w.N.).
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bb) Im Streitfall fehlt es an einer (ähnlichen) offenbaren Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO. Zwar hat der Kläger in der Klagebegründung ausgeführt, es liege eine offenbare Unrichtigkeit in Gestalt eines Eingabefehlers vor. Obwohl in der Feststellungserklärung die tatsächlich zu zahlende Gewerbesteuer angegeben worden sei, sei diese dem Gewinn nicht als nicht abzugsfähige Betriebsausgabe gemäß § 4 Abs. 5b EStG hinzugerechnet worden. Hingegen sei eine Hinzurechnung in der Gewerbesteuererklärung erfolgt. Die Nichthinzurechnung in der Feststellungserklärung sei auf einen Fehler bei der Anwendung der DATEV-Software "Gesonderte und einheitliche Feststellung" zurückzuführen. Die Gewerbesteuer hätte nicht nur in das Feld "tatsächlich zu zahlende Gewerbesteuer", sondern zusätzlich in das Feld "weitere Erhöhungen/Minderungen der laufenden Einkünfte" eingetragen werden müssen, um eine Hinzurechnung der nicht abzugsfähigen Gewerbesteuer zu erreichen.
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Ungeachtet der Frage, ob das FG diesen Sachverhalt überhaupt festgestellt hat (§ 118 Abs. 2 FGO), lässt sich daraus nicht auf ein bloßes mechanisches Versehen der Prozessbevollmächtigten des Klägers schließen, das sich das FA zu eigen gemacht haben könnte. Vielmehr erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Sachbearbeiter der Prozessbevollmächtigten des Klägers beziehungsweise der Sachbearbeiter des FA rechtliche Überlegungen zur Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer angestellt hat. Dies gilt umso mehr, als § 4 Abs. 5b EStG erst kurz vor den Streitjahren (2010 und 2011) eingeführt worden war. Die Norm gilt erstmals für Gewerbesteuer, die für Erhebungszeiträume festgesetzt wird, die nach dem 31.12.2007 enden (§ 52 Abs. 12 EStG i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14.08.2007, BGBl I 2007, 1912).
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4. Die Sache ist spruchreif. Der BFH kann auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Änderungsbescheide verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), da die Voraussetzungen für eine Änderung der Gewinnfeststellungsbescheide für 2010 und 2011 nicht vorliegen.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1, § 139 Abs. 4 FGO.
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