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BFH 18.01.2022 - III B 108/21
BFH 18.01.2022 - III B 108/21 - Terminsänderungsantrag eines Mitglieds einer Sozietät
Normen
Art 101 GG, Art 103 GG, § 96 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 124 FGO, § 128 FGO, § 42 ZPO, § 46 ZPO, § 51 ZPO, § 227 ZPO, § 155 S 1 FGO, § 119 Nr 1 FGO, § 119 Nr 3 FGO, § 51 Abs 1 FGO
Vorinstanz
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 20. Juli 2021, Az: 12 K 226/20, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Wird ein Antrag auf Terminsänderung von einem Mitglied einer Sozietät gestellt, sind die Verhinderungsgründe für die Sozien auf Verlangen des Gerichts und gegebenenfalls --bei "in letzter Minute" gestellten Anträgen-- auch ohne Aufforderung glaubhaft zu machen, es sei denn, die Verhinderungsgründe sind offenkundig.
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2. NV: Es ist nicht offenkundig ausgeschlossen, dass sich ein Rechtsanwalt innerhalb von zwei Stunden in einen Kindergeldfall einarbeiten kann, wenn nur Kindergeld für einen Monat für ein Kind streitig ist und der Sachverhalt auch im Übrigen überschaubar sowie der Aktenumfang gering sind.
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 20.07.2021 - 12 K 226/20 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) beantragt die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), hilfsweise die Aufhebung der Vorentscheidung und die Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO).
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Der Kläger trägt vor, das Finanzgericht (FG) habe zu Unrecht eine am Tag der mündlichen Verhandlung beantragte Terminsverlegung abgelehnt und unter Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) verhandelt und entschieden. Dabei sei das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 119 Nr. 1 FGO). Das FG habe zu Unrecht unter Mitwirkung eines befangenen Richters entschieden. Das Ablehnungsgesuch sei in einer einen Verfahrensmangel i.S. des § 119 Nr. 1 FGO begründenden Weise zurückgewiesen worden.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Beschwerde ist unbegründet und deshalb durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen, da die gerügten Verfahrensmängel nicht vorliegen.
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1. Die Entscheidung der Vorinstanz verletzt nicht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO).
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a) Nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann das Gericht aus erheblichen Gründen auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin aufheben oder verlegen. Liegen erhebliche Gründe i.S. von § 227 Abs. 1 ZPO vor, verdichtet sich die in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessensfreiheit zu einer Rechtspflicht. In diesem Fall muss der Termin zur mündlichen Verhandlung zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Verlegung verzögert würde.
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Die erheblichen Gründe sind auf Verlangen des Vorsitzenden, für eine Vertagung auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO). Wird allerdings ein Antrag auf Terminsänderung gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO sehr kurzfristig, quasi "in letzter Minute", gestellt, muss der Beteiligte den Verlegungsgrund regelmäßig von sich aus glaubhaft machen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 05.05.2020 - III B 158/19, BFH/NV 2020, 905, Rz 8; Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28.05.2021 - VIII B 103/20, BFH/NV 2021, 1361, Rz 6, jeweils m.w.N.).
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Wurde eine Sozietät bevollmächtigt, müssen in der Regel auch Hinderungsgründe für eine Wahrnehmung des Termins durch ein anderes Mitglied der Sozietät im Einzelnen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, sofern sie nicht offenkundig sind (BFH-Beschluss vom 18.11.2016 - IX B 70/16, BFH/NV 2017, 309, Rz 8); andernfalls darf das Gericht regelmäßig von dem Bestehen einer Vertretungsmöglichkeit ausgehen und demgemäß das Vorliegen erheblicher Gründe für eine Terminsänderung verneinen (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 25.11.2008 - III B 161/07, BFH/NV 2009, 406, Rz 9, m.w.N.).
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Eine substantiierte und in sich schlüssige anwaltliche Versicherung ist dabei --ebenso wie eine eidesstattliche Versicherung-- in der Regel nur dann uneingeschränkt zur Glaubhaftmachung des Sachverhalts geeignet, wenn offensichtlich keine weiteren Mittel der Glaubhaftmachung zur Verfügung stehen oder glaubhaft dargelegt wird, weshalb objektive Beweismittel nicht vorgelegt werden können (vgl. BFH-Beschluss vom 21.10.2020 - VII B 121/19, BFH/NV 2021, 326, Rz 29, m.w.N.).
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b) Im Streitfall bestand nach diesen Rechtsgrundsätzen keine Rechtspflicht zur Terminsänderung.
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Da im Streitfall ausweislich des Briefkopfes und des verwendeten Plurals ("Namens und in Vollmacht des Klägers erheben wir Klage...") erkennbar eine Sozietät bevollmächtigt worden war und Klage erhoben hatte, genügte es nicht, die erkrankungsbedingte Verhandlungs- und Reiseunfähigkeit des (nach seinen Angaben) allein sachbearbeitenden Rechtsanwalts glaubhaft zu machen (vgl. dazu z.B. BFH-Beschluss vom 21.04.2020 - X B 13/20, BFH/NV 2020, 900). Vielmehr hätten auf Verlangen des Gerichts (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO) mit Schreiben vom 20.07.2021 (also auch ohne Anwendung der von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze für "in letzter Minute" gestellte Anträge) Hinderungsgründe für eine Wahrnehmung des Termins durch die weiteren Mitglieder der Sozietät vorgetragen und glaubhaft gemacht werden müssen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2017, 309, Rz 8).
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Nach Aktenlage ist es nicht offenkundig, dass keine Vertretung möglich war. Der sachbearbeitende Rechtsanwalt erkrankte vor 8:45 Uhr am Morgen, die Sitzung war für 12:45 Uhr geladen (sie fand tatsächlich erst gegen 14:00 Uhr statt), die Fahrtzeit vom Kanzleisitz zum Gericht betrug etwa eine Stunde, d.h. es verblieben auch unter Berücksichtigung einer Mittagspause ca. zwei Stunden Einarbeitungszeit. Es ist nicht offenkundig ausgeschlossen, dass sich einer von zwei Sozien, zu denen auch ein Fachanwalt für Steuerrecht gehört, innerhalb dieser Zeit in einen Fall einarbeiten kann, in dem Kindergeld für nur einen Monat für ein Kind streitig war und in dem der Sachverhalt auch im Übrigen überschaubar sowie der Aktenumfang gering waren.
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Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger die behaupteten Hinderungsgründe der Sozien nachweisen müssen. Die bloße anwaltliche Versicherung war insoweit unzureichend, weil nicht dargetan ist, weshalb ein anderer Nachweis der kollidierenden Termine bzw. der Ortsabwesenheit nicht möglich war (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2021, 326, Rz 29, m.w.N.). Dieser Obliegenheit ist er jedoch nicht nachgekommen. In dem am 20.07.2021 gegen 9:12 Uhr schriftlich gestellten Antrag auf Terminsverlegung wurden Terminkollisionen lediglich pauschal behauptet und weder substantiiert noch durch Vorlage geeigneter Nachweise glaubhaft gemacht. Der ausdrücklichen Aufforderung des Gerichts, die Terminkollisionen nachzuweisen, ist der Kläger nicht nachgekommen. In dem später gestellten Befangenheitsantrag wurde zwar "anwaltlich versichert", dass keiner der Kollegen den Termin kurzfristig wahrnehmen könne. Allerdings wurde nun nicht mehr für alle Kollegen eine Terminkollision behauptet, sondern angegeben, dass der eine Kollege auswärts wohne und im Homeoffice arbeite, der andere Kollege, ein Fachanwalt für Steuerrecht, andere Termine habe. Die Angaben waren weiter nicht substantiiert; Unterlagen zur Glaubhaftmachung waren nicht beigefügt.
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Das FG durfte mangels Glaubhaftmachung der Verhinderung der Anwaltskollegen des sachbearbeitenden Rechtsanwalts vom Bestehen einer Vertretungsmöglichkeit ausgehen und demgemäß das Vorliegen "erheblicher Gründe" für eine Terminsverlegung verneinen.
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2. Das FG war i.S. des § 119 Nr. 1 FGO vorschriftsmäßig besetzt, der Anspruch des Klägers auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) wurde nicht verletzt.
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a) Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann grundsätzlich nicht auf die Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs gestützt werden. Beschlüsse gegen die Ablehnung von Gerichtspersonen können nach § 128 Abs. 2 FGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Da dem Endurteil vorangegangene Entscheidungen, die nach der FGO unanfechtbar sind, nicht der Beurteilung der Revision unterliegen (§ 124 Abs. 2 FGO), kann eine Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich nicht auf die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs gestützt werden. Geltend gemacht werden können nur solche Verfahrensmängel, die als Folge der Ablehnung des Befangenheitsgesuchs dem angefochtenen Urteil anhaften. Ein Zulassungsgrund liegt daher nur vor, wenn die Ablehnung gegen das Willkürverbot verstößt oder ein Verfahrensgrundrecht verletzt wird, wie z.B. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, den Anspruch auf den gesetzlichen Richter (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 21.10.2020 - VII B 119/19, BFH/NV 2021, 321, Rz 24, m.w.N.).
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b) Im Streitfall hat das FG das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen den Vorsitzenden Richter mit Beschluss vom 20.07.2021 ohne dessen Mitwirkung gemäß § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2, § 46 Abs. 1, § 47 ZPO willkürfrei abgelehnt. Soweit der Kläger als Grund für seinen Befangenheitsantrag die Behandlung des Terminsverlegungsantrags genannt hat, ist der Beschluss vom 24.11.2020 nicht zu beanstanden, da die Ablehnung eines Antrags auf Terminsverlegung regelmäßig keinen Befangenheitsantrag rechtfertigt (BFH-Beschluss vom 22.10.2021 - IX B 16/21, BFH/NV 2022, 31, Rz 21, m.w.N.). Soweit sich der Kläger daran stört, dass der anwaltlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten nicht die Bedeutung beigemessen wurde, die sie seiner Auffassung nach verdient, entspricht dies, wie ausgeführt, der BFH-Rechtsprechung (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2021, 326, Rz 29, m.w.N.). Dass das Gericht in der Besetzung ohne den abgelehnten Richter davon ausging, dieser werde über den Kindergeldanspruch des Klägers unvoreingenommen entscheiden, auch wenn er sich wohl zu Unrecht zunächst darüber alteriert habe, dass das Attest von einem Arzt ausgestellt worden sei, der seine Praxis nicht am Kanzleisitz, sondern in einem anderen Bundesland habe, ist nicht willkürlich, sondern vertretbar. Auch im Übrigen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschluss, mit dem das FG den Befangenheitsantrag abgelehnt hat, grob falsch sein könnte.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 2 FGO.
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