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BFH 09.06.2021 - I B 60/20
BFH 09.06.2021 - I B 60/20 - (§ 50d Abs. 3 EStG auch bei sog. Mäanderstruktur geltungserhaltend zu reduzieren)
Normen
§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 50d Abs 3 EStG 2009, Art 1 Abs 2 EWGRL 435/90, EURL 96/2011, Art 49 AEUV, § 8b Abs 5 KStG 2002, KStG VZ 2015, KStG VZ 2017, KStG VZ 2016, KStG VZ 2018
Vorinstanz
vorgehend FG Köln, 30. Juni 2020, Az: 2 K 140/18, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Es ist durch die Rechtsprechung des EuGH (Beschluss GS vom 14.06.2018 - C-440/17, EU:C:2018:437, HFR 2019, 615) geklärt, dass § 50d Abs. 3 EStG auch bei Vorliegen einer sog. Mäanderstruktur unionsrechtswidrig und deshalb in Form der Eröffnung der Möglichkeit des Gegenbeweises über einen fehlenden Regelungsmissbrauch im Einzelfall geltungserhaltend zu reduzieren ist.
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2. NV: Es ist offensichtlich und nicht klärungsbedürftig, dass es für den Gegenbeweis zunächst ausreichend ist, wenn der Steuerpflichtige auf die hypothetische Anrechnungsmöglichkeit des mittelbaren Anteilseigners verweist. Das BZSt kann dies ggf. durch begründete gegenläufige Indizien entkräften.
Tenor
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Die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 30.06.2020 - 2 K 140/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) ist eine niederländische B.V., die Alleingesellschafterin einer inländischen GmbH (GmbH) ist. Nach einer konzerninternen Umstrukturierung waren ab dem 21.12.2015 an der Klägerin zu 49 % eine französische S.A.S. sowie zu 51 % eine niederländische C.V. beteiligt. Gesellschafter der sowohl nach niederländischem als auch deutschem Steuerrecht transparenten C.V. waren zu 0,01 % eine weitere französische S.A.S. sowie zu 99,99 % eine weitere inländische GmbH.
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Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Bundeszentralamt für Steuern --BZSt--) erteilte der Klägerin für die Zeit vom 21.12.2015 bis 31.07.2018 eine Freistellungsbescheinigung nach § 50d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bezogen auf die 49 %-Beteiligung der S.A.S., lehnte eine solche aber bezogen auf die 51 %-Beteiligung der C.V. ab.
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Am 31.03.2016 schüttete die GmbH einen Betrag in Höhe von ... € an die Klägerin aus. Da zu diesem Zeitpunkt keine Freistellungsbescheinigung zu Gunsten der Klägerin vorlag, behielt die GmbH von der Ausschüttung zunächst Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag in Höhe von ... € ein und führte diesen Betrag an das zuständige Finanzamt ab. Auf Antrag der Klägerin erstattete das BZSt später nach § 50d Abs. 1 EStG Kapitalertragsteuer in Höhe von ... € (dies entsprach der Beteiligung von 49 % der S.A.S.), während es die Erstattung im Übrigen ablehnte.
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Der dagegen gerichteten Klage gab das Finanzgericht (FG) Köln durch Urteil vom 30.06.2020 - 2 K 140/18 statt. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Erlass einer vollständigen Freistellungsbescheinigung nach § 50d Abs. 2 Satz 1 EStG sowie eines entsprechenden Freistellungsbescheides nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG zu; dem stehe § 50d Abs. 3 EStG deshalb nicht entgegen, weil die Norm im Lichte des Unionsrechts einschränkend auszulegen sei.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil wehrt sich das BZSt mit seiner Beschwerde, die es auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) sowie das Erfordernis der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Variante 1 FGO) stützt.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Beschwerde ist unbegründet und daher durch Beschluss zurückzuweisen. Die vom BZSt geltend gemachten Revisionszulassungsgründe liegen nicht vor.
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1. Die vom BZSt als grundsätzlich i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO aufgeworfene Rechtsfrage, ob § 50d Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 EStG dahingehend europarechtskonform auszulegen ist, dass einer im Inland ansässigen Person, die an der ausländischen Gesellschaft beteiligt ist, auch dann eine Erstattung oder Freistellung i.S. des § 50d EStG zusteht, wenn sie zwar selbst keinen Erstattungs- bzw. Freistellungsanspruch nach § 50d Abs. 1 und 2 EStG geltend machen könnte, ihr aber die Möglichkeit der Kapitalertragsteueranrechnung nach § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG bei gleichzeitiger Befreiung von der Körperschaftsteuer nach § 8b Abs. 1 KStG offen stünde (sog. Mäanderstruktur), ist bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) geklärt. Sie ist deshalb nicht klärungsbedürftig (s. allgemein Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 08.07.2014 - VII B 129/13, BFH/NV 2014, 1776; vom 03.09.2015 - VII B 186/14, BFH/NV 2016, 1316).
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a) Mit Urteil Eqiom und Enka vom 07.09.2017 - C-6/16 (EU:C:2017:641, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2018, 175) hat der EuGH eine französische sog. Anti-Treaty-Shopping-Vorschrift, die sogar der Zwischengesellschaft --anders als § 50d Abs. 3 EStG-- ermöglichte, den Nachweis darüber zu führen, dass der Hauptzweck der Gestaltung nicht in der Erzielung steuerlicher Vorteile bestand (sog. Motivtest), als mit Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23.07.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten i.d.F. der Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30.11.2011 --Mutter-Tochter-Richtlinie-- (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2011, Nr. L 345, 8) und Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ABlEU 2008, Nr. C 115, 47) unvereinbar angesehen. Der Grund dafür lag darin, dass die französische Vorschrift nicht darauf beschränkt war, die Errichtung von rein künstlichen, jeder wirtschaftlichen Realität baren Konstruktionen, die allein zu dem Zweck errichtet worden waren, ungerechtfertigte Steuervorteile zu nutzen, zu verhindern, sondern dass sie eine allgemeine Vermutung für Steuerhinterziehung und Missbrauch enthielt und deshalb das mit der Mutter-Tochter-Richtlinie verfolgte Ziel der Vermeidung von Doppelbesteuerung der von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne beeinträchtigte.
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b) Der EuGH hat sodann durch Urteil Deister Holding vom 20.12.2017 - C-504/16, C-613/16 (EU:C:2017:1009, HFR 2018, 245) auch § 50d Abs. 3 EStG als mit den vorgenannten Bestimmungen unvereinbar angesehen und insbesondere moniert, dass die Norm der Steuerbehörde keinen Anfangsbeweis für das Fehlen wirtschaftlicher Gründe oder ein Indiz für die Steuerhinterziehung oder den Missbrauch abverlange, sondern eine allgemeine Missbrauchs- oder Hinterziehungsvermutung begründe.
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c) Diese Auffassung hat der EuGH sodann durch Kammerbeschluss GS vom 14.06.2018 - C-440/17 (EU:C:2018:437, HFR 2019, 615) noch einmal bekräftigt. Der EuGH-Beschluss GS (EU:C:2018:437, HFR 2019, 615) betraf eine sog. Mäanderstruktur; dabei hat das Gericht nach Art. 99 seiner Verfahrensordnung erkennbar deshalb im Beschlusswege entschieden, weil es die vom FG dazu erneut vorgelegte Rechtsfrage nach der Vereinbarkeit des § 50d Abs. 3 EStG mit dem Unionsrecht auch im Fall von sog. Mäanderstrukturen als nach seiner Rechtsprechung geklärt angesehen hat.
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d) Bereits aus dem vorgenannten EuGH-Beschluss GS (EU:C:2018:437, HFR 2019, 615) folgt deshalb, dass die vom BZSt aufgeworfene Rechtsfrage als geklärt anzusehen ist. Da sich § 50d Abs. 3 EStG nicht nur auf die Bekämpfung rein künstlicher steuerlicher Gestaltungen bar jeder wirtschaftlichen Realität beschränkt und dem Steuerpflichtigen keine Möglichkeit einräumt, nachzuweisen, dass die gewählte Gestaltung nicht aus vorwiegend steuerlichen Gründen gewählt wurde, ist sie unionsrechtswidrig und bedarf der vom FG vorgenommenen geltungserhaltenden Reduktion in Form der Eröffnung der Möglichkeit des Gegenbeweises über einen fehlenden Regelungsmissbrauch im Einzelfall (vgl. Senatsurteil vom 13.06.2018 - I R 94/15, BFHE 262, 79, BStBl II 2020, 755).
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e) Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, dass das BZSt im Verfahren vor dem FG auch keine missbräuchliche Inanspruchnahme des § 50d Abs. 3 EStG darlegen konnte. Der Nachweis eines Rechtsmissbrauchs setzt insoweit nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil T Danmark vom 26.02.2019 - C-116/16, C-117/16, EU:C:2019:135, Internationales Steuerrecht 2019, 266) zunächst eine Gesamtheit objektiver Umstände voraus, aus denen sich ergibt, dass das Ziel der Unionsregelung, obwohl deren Voraussetzungen formal erfüllt sind, nicht erreicht worden ist; zum anderen geht es um ein subjektives Element, nämlich die Absicht, aus der Unionsregelung, indem künstlich die erforderlichen Voraussetzungen geschaffen werden, einen Vorteil zu erlangen. Nur aus dem Zusammentreffen einer Reihe von Indizien kann, sofern diese objektiv und übereinstimmend sind, geschlossen werden, dass ein Missbrauch vorliegt. Als solche Indizien kommen insbesondere die Existenz von Durchleitungsgesellschaften, für die es keine wirtschaftliche Rechtfertigung gibt, und der Pro-forma-Charakter der Konzernstruktur, der Steuergestaltung und der Darlehen in Betracht. Es ist bei der gewählten sog. Mäanderstruktur indessen offensichtlich zutreffend und deshalb in einem Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig, dass die hypothetische Anrechnungsmöglichkeit des mittelbaren Anteilseigners für einen Gegenbeweis zunächst ausreichend ist, falls nicht das BZSt begründete gegenläufige Indizien vorbringt. Dem ist letztlich auch das FG gefolgt, indem es der Klage nicht etwa nur wegen der gewählten sog. Mäanderstruktur stattgab, sondern die vom BZSt vorgebrachten Gegenargumente geprüft, aber letztlich als nicht stichhaltig zurückgewiesen hat. Es hat darauf verwiesen, dass die Zwischenschaltung einer gebietsfremden Gesellschaft nicht zu einer missbräuchlichen "Steuerreduktion" führen kann. Dies folgt daraus, dass die Steuerbelastung bei einem Direktbezug gerade wegen der Möglichkeit der Anrechnung der Kapitalertragsteuer im wirtschaftlichen Ergebnis ebenfalls Null gewesen wäre.
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f) Auch der vom BZSt insoweit hervorgehobene "Steuerstundungseffekt" bezogen auf das pauschale Betriebsausgaben-Abzugsverbot des § 8b Abs. 5 KStG führt nicht zur Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage, weil dieser temporäre Effekt unionsrechtlich dann hinzunehmen ist, wenn die gewählte Struktur sich nicht als rein künstlich darstellt, sondern wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe im Sinne der genannten EuGH-Rechtsprechung vorliegen.
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2. Da die aufgeworfene Rechtsfrage geklärt ist, kommt eine Revisionszulassung auch nicht unter dem Aspekt der Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Variante 1 FGO) in Betracht.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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4. Der Beschluss ergeht nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ohne weitere Begründung.
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