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BFH 21.10.2020 - VII B 121/19
BFH 21.10.2020 - VII B 121/19 - Zur Auslegung des Klagebegehrens bei mündlicher Verhandlung in Abwesenheit der Klägerin
Normen
§ 227 AO, § 240 AO, § 76 Abs 2 FGO, § 96 Abs 1 S 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 227 ZPO
Vorinstanz
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 21. Oktober 2019, Az: 5 K 1242/17, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Ein Urteil ist verfahrensfehlerhaft ergangen, wenn das Gericht bei der Formulierung der Anträge für den in der mündlichen Verhandlung nicht vertretenen Kläger dessen Klageziel nicht vollständig erfasst, aber in den Gründen über den so formulierten Klageantrag hinausgeht.
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2. NV: Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung kann gegebenenfalls auch zu berücksichtigen sein, ob sich der Antrag auf eine Sitzung des Senats oder des Einzelrichters bezieht.
Tenor
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Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 21.10.2019 - 5 K 1242/17 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Sächsische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I.
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In der Sache streiten die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) und der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) über den Anfall von Säumniszuschlägen gemäß § 240 der Abgabenordnung (AO) und deren Erlöschen infolge Aufrechnung bzw. den hierzu gemäß § 218 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ergangenen Abrechnungsbescheid sowie hilfsweise über den Erlass der Säumniszuschläge gemäß § 227 AO.
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Die Klägerin war als Kapitalgesellschaft ... Rechts bis Juli/August 2008 im Inland als Werkvertragsunternehmerin im Bereich des Maurer- und Betonhandwerks tätig. Mit Bescheid vom 19.05.2009 nahm das FA die Klägerin nach § 42d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in Haftung. Die Haftungsschuld war am 22.06.2009 fällig. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Ein von der Klägerin zusammen mit dem Einspruch gegen den Haftungsbescheid am 25.05.2009 gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) wurde vom FA abgelehnt.
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Über das Vermögen der Klägerin wurde am 03.12.2009 ein Insolvenzverfahren nach ... Recht eröffnet. Dieses Verfahren wurde am 12.04.2010 beendet.
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Der angefochtene Haftungsbescheid wurde vom FA zunächst teilweise und am 06.12.2016 insgesamt zurückgenommen.
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Das FA ging davon aus, dass in der Zeit zwischen der Fälligkeit der Haftungsschuld am 22.06.2009 und der Rücknahme des Haftungsbescheids Säumniszuschläge angefallen seien, rechnete diese am 29.04.2010 mit einem Körperschaftsteuerguthaben (einschließlich Solidaritätszuschlag und Zinsen) der Klägerin in Höhe von ... € auf und gab mit dem Datum 02.04.2015 einen Abrechnungsbescheid bekannt, gegen den die Klägerin Einspruch einlegte. Während des Einspruchsverfahrens erließ das FA mit Bescheid vom 09.02.2017 die Säumniszuschläge zur Hälfte. In der Einspruchsentscheidung vom 17.07.2017 führte es aus, dass nach dem Teilerlass insgesamt noch Säumniszuschläge in Höhe von ... € rückständig seien. Außerdem schulde die Klägerin dem FA ... € aus dem seit 28.11.2008 fälligen Verspätungszuschlag zur Lohnsteuer für Juni 2008, insgesamt also ... €. In dieser Höhe sei zu Recht eine Verrechnung mit dem Körperschaftsteuerguthaben (einschließlich Solidaritätszuschlag und Zinsen) der Klägerin sowie mit einem Guthaben der Klägerin aus Steuerabzugsbeträgen bei Bauleistungen erfolgt. Außerdem führte das FA in der Einspruchsentscheidung den Antrag der Klägerin an, die Säumniszuschläge hilfsweise vollständig zu erlassen, ging darauf jedoch nicht weiter ein.
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Die Klägerin hat mit Telefax-Schreiben vom 18.08.2017 beim Finanzgericht (FG) Klage erhoben und beantragt, den angefochtenen Abrechnungsbescheid aufzuheben und das FA zu verpflichten, X € auszuzahlen. Dazu hat sie vorgetragen, dass ihrer Auffassung nach auf die zu Unrecht festgesetzte und dann wieder aufgehobene Haftungsschuld keine Säumniszuschläge angefallen seien, weshalb das Körperschaftsteuerguthaben in Höhe von X € nicht hätte aufgerechnet werden dürfen, sondern auszuzahlen sei. Im Übrigen seien auch die Erlassbescheide (mit denen das FA die Säumniszuschläge lediglich zur Hälfte erlassen habe) fehlerhaft. Es sei ein vollständiger Erlass geboten; das Ermessen des FA sei insoweit auf Null reduziert.
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Das FA vertrat mit Schreiben vom 04.10.2017 die Auffassung, dass die Bescheide über den Billigkeitserlass gemäß § 227 AO nicht Gegenstand des anhängigen Finanzrechtsstreits seien, sondern lediglich der Abrechnungsbescheid vom 13.04.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.07.2017. Das Billigkeitsverfahren nach § 227 AO und das Abrechnungsverfahren nach § 218 Abs. 2 AO stünden selbständig nebeneinander. Ob, wie der Klägervertreter einwende, über den bereits mit Bescheid vom 09.02.2017 gewährten hälftigen Erlass der Säumniszuschläge hinaus weitere sachliche oder persönliche Billigkeitsgründe vorlägen, sei nicht in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden.
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Am 24.04.2019 erließ die Berichterstatterin einen klageabweisenden Gerichtsbescheid, der am 02.05.2019 zugestellt wurde. Mit per Telefax übermitteltem Schreiben vom 31.05.2019 beantragte die Klägerin mündliche Verhandlung und nahm auch in der Sache Stellung. U.a. vertrat sie erneut die Auffassung, Säumniszuschläge seien nicht angefallen. Andernfalls wären sie zwingend zu erlassen, da sie dann offensichtlich rechtsstaatswidrig seien.
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Mit Beschluss vom 16.09.2019 wurde der Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 FGO auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen. Diese bestimmte mit am 19.09.2019 zugestellter Ladung einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 21.10.2019, einen Montag in der zweiten Woche der Herbstferien des Freistaats Sachsen. Die Ladung enthielt nach den Feststellungen des FG den gemäß § 91 Abs. 2 FGO erforderlichen Zusatz, dass das Gericht bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandeln und entscheiden könne.
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Mit Schreiben vom 27.09.2019 bat der Prozessbevollmächtigte, ein Einzelanwalt, um Terminsverlegung wegen eines für die Zeit vom 21.10.2019 bis zum 25.10.2019 seit längerem geplanten Urlaubs. Hierauf bat das FG mit Schreiben vom 02.10.2019 um Glaubhaftmachung der Verhinderung. Mit per Telefax übermitteltem Schreiben vom 11.10.2019 versicherte der Prozessbevollmächtigte anwaltlich, dass er in der genannten Zeit einen länger geplanten Auslandsurlaub antrete, und nahm erneut in der Sache Stellung.
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Zur mündlichen Verhandlung am 21.10.2019 erschien niemand. Die Einzelrichterin stellte die ordnungsgemäße Ladung der Beteiligten fest und verkündete ein klageabweisendes Urteil, das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 24.10.2019 zugestellt wurde. In den Urteilsgründen führte sie aus, erhebliche Gründe für eine Vertagung hätten nicht vorgelegen. Der Prozessbevollmächtigte sei trotz ordnungsgemäßer Ladung und Belehrung über die Folgen seines Ausbleibens gemäß § 91 Abs. 2 FGO der mündlichen Verhandlung ferngeblieben. Der Antrag auf Verlegung aufgrund eines seit längerem geplanten Urlaubs sei trotz Aufforderung nicht glaubhaft gemacht worden.
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Die Klage sei darauf gerichtet, den Abrechnungsbescheid vom 02.04.2015 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.07.2017 dahingehend zu ändern, dass der Erstattungsbetrag aus Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Zinsen zur Körperschaftsteuer 2006, 2007 und 2008 in Höhe von insgesamt X € nicht durch Aufrechnung erloschen sei. Die Klage sei unbegründet, da gemäß § 240 Abs. 1 Satz 4 AO die (mangels gewährter AdV) kraft Gesetzes auf die Haftungsschuld angefallenen Säumniszuschläge von der Aufhebung des Haftungsbescheids unberührt seien. Es könne offenbleiben, ob der Anfall der Säumniszuschläge auf einer unrichtigen Sachbehandlung beruht habe. Denn das FA habe die Klägerin durch den hälftigen Erlass der Säumniszuschläge so gestellt, als ob ihr AdV ab Fälligkeit der Haftungsschuld gewährt worden wäre. Ein vollständiger Erlass sei nicht geboten.
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Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde wegen eines Verfahrensfehlers gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, mit der sie die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 FGO) rügt.
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Mit am 18.11.2019 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenem Schreiben vom 11.11.2019 trägt sie vor, dass es sich bei dem Urlaub des als Einzelanwalt tätigen Prozessbevollmächtigten um einen erheblichen Grund für eine Verlegung des Termins der mündlichen Verhandlung i.S. des § 155 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung (ZPO) gehandelt habe. Für eine Glaubhaftmachung reiche die anwaltliche Versicherung, die einer eidesstattlichen Versicherung gleichstehe, aus, zumal der Prozessbevollmächtigte keine anderen Nachweise hätte vorlegen können. Das FG hätte die vom Prozessbevollmächtigten abgegebene Erklärung berücksichtigen und würdigen müssen.
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Eine Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist gemäß § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO hat die Klägerin nicht beantragt.
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Mit Schriftsatz vom 13.01.2020 ergänzte die Klägerin, dass man in der bisherigen Praxis des handelnden Gerichts davon ausgegangen sei, dass ein Urlaub stets ein Verlegungsgrund sei. Der Prozessbevollmächtigte habe aufgrund der bisherigen Praxis davon ausgehen können, dass in solchen Fällen der Termin auch in der mündlichen Verhandlung noch verlegt werde. Das FG hätte ihn davon unterrichten müssen, dass es beabsichtige, von dieser Praxis abzuweichen. Eine Nachfrage, ob dem Verlegungsantrag stattgegeben werde, sei somit nicht notwendig gewesen. Selbst wenn sich der Prozessbevollmächtigte jedoch erkundigt und erfahren hätte, dass der Termin nicht verlegt werde, hätte dies nichts geändert, da ihm eine Teilnahme an dem Termin objektiv nicht möglich gewesen sei. Bei einem Urlaub im Ausland müsse in der Regel davon ausgegangen werden, dass dieser nicht kurzfristig verschoben und auch nicht kurzfristig unterbrochen werden könne.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt unter Anwendung von § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Das angefochtene Urteil verletzt § 76 Abs. 2 FGO und § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO.
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1. Die Beschwerde ist zulässig.
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Der Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs, dessen Verletzung die Klägerin rügt, kann durch eine unzutreffende Behandlung eines Antrags auf Verlegung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung verletzt sein (ständige Rechtsprechung, s. Senatsbeschluss vom 10.03.2020 - VII B 206/18, BFH/NV 2020, 917, Rz 15, m.w.N.). Wenn erhebliche Gründe i.S. des § 227 ZPO vorliegen, verdichtet sich das in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessen zu einer Rechtspflicht, d.h. der Termin muss in diesen Fällen zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird. Der durch Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gesicherte Anspruch des Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das FG, einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf Antrag des Beteiligten aufzuheben oder zu verlegen, wenn dafür nach den Umständen des Falls erhebliche Gründe vorliegen.
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Welche Gründe als erheblich anzusehen sind, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles. Der Prozessstoff und die persönlichen Verhältnisse der Beteiligten und der Prozessbevollmächtigten sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass das FG im steuergerichtlichen Verfahren die einzige Tatsacheninstanz ist und die Beteiligten ein Recht darauf haben, ihre Sache in einer mündlichen Verhandlung vorzutragen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 08.07.2015 - X R 41/13, BFHE 250, 397, BStBl II 2016, 525, Rz 28). Auch hat das Gericht im Rahmen seines Ermessens Terminwünsche der Beteiligten zu berücksichtigen; wegen des Grundsatzes der Verfahrensbeschleunigung gebührt der Terminplanung des Gerichts aber in der Regel Vorrang (vgl. BFH-Urteil in BFHE 250, 397, BStBl II 2016, 525, Rz 28; Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 23.01.2018 - 2 L 103/17, juris, Rz 15 ff., Rz 19).
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Indem die Beschwerde geltend macht, der Prozessbevollmächtigte, ein Einzelanwalt, habe unter Angabe eines erheblichen Grundes --seines vor Zugang der Ladung bereits geplanten Auslandsurlaubs--, dessen Vorliegen er anwaltlich versichert habe, rechtzeitig um eine Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung vor dem FG gebeten und das FG habe unter Verstoß gegen § 227 ZPO die Terminsverlegung zu Unrecht abgelehnt, wird ein Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO schlüssig dargelegt.
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Die schlüssige Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör erfordert in einem solchen Fall keine Ausführungen darüber, was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre und dass dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können; denn die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nach § 119 Nr. 3 FGO ein absoluter Revisionsgrund, d.h. das Urteil als solches ist in einem solchen Fall stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, ohne dass es weiterer Ausführungen zur Sache bedürfte (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 03.09.2001 - GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802).
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2. Die Beschwerde ist auch begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, denn das FG hat § 76 Abs. 2 FGO und § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO verletzt. Dies stellt einen im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde --sofern diese, wie im Streitfall, zulässig erhoben wurde-- auch ohne Rüge von Amts wegen zu berücksichtigenden Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens und damit einen beachtlichen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30.01.2020 - IX B 73/19, BFH/NV 2020, 562, Rz 5; vom 10.06.2014 - IX B 157/13, BFH/NV 2014, 1559, Rz 2; vom 28.12.2010 - X B 18/10, BFH/NV 2011, 624; vgl. auch BFH-Urteile vom 11.12.2018 - VIII R 7/15, BFHE 263, 216, BStBl II 2019, 231, Rz 16; vom 19.10.2017 - III R 25/15, BFH/NV 2018, 546; vom 08.08.2013 - III R 3/13, BFHE 243, 198, und vom 24.11.1998 - VIII R 61/97, BFHE 187, 297, BStBl II 1999, 483, jeweils m.w.N.; Dürr in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 118 FGO Rz 48; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 118 Rz 69; Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 118 FGO Rz 270; Werth in Gosch, FGO § 118 Rz 90).
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a) Nach § 96 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ist das Gericht an die Fassung des Klageantrages nicht gebunden, sondern hat im Wege der Auslegung den Willen der Partei anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln (BFH-Urteil vom 12.06.1997 - I R 70/96, BFHE 183, 465, BStBl II 1998, 38, unter II.1., m.w.N.). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass im Zweifel das gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BFH-Urteil vom 29.04.2009 - X R 35/08, BFH/NV 2009, 1777, m.w.N.). Nur eine solche Auslegung trägt dem Grundsatz der Rechtsschutz gewährenden Auslegung nach Art. 19 Abs. 4 GG Rechnung (BFH-Urteil vom 27.01.2011 - III R 65/09, BFH/NV 2011, 991, Rz 10, m.w.N.). Dabei darf das FG nicht über ein offenkundig nicht verfolgtes Rechtsschutzziel entscheiden (vgl. etwa BFH-Urteil in BFHE 187, 297, BStBl II 1999, 483, unter II.3.), nicht über die Anträge hinausgehen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), nicht hinter dem Klagebegehren zurückbleiben, nicht nur über einen Teil des Klagebegehrens entscheiden (vgl. etwa BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 624, Rz 22, m.w.N.) und auch nicht unklar tenorieren oder so entscheiden, dass das Urteil nicht in einem bestimmten Sinne zweifelsfrei ausgelegt werden kann (BFH-Urteil vom 27.07.1993 - VIII R 67/91, BFHE 173, 480, BStBl II 1994, 469, unter II.1.).
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Die Auslegung einer prozessualen Willenserklärung kann das Beschwerde- oder Revisionsgericht uneingeschränkt nachprüfen; die Nachprüfung von Prozesshandlungen und Prozesserklärungen sowie Anträgen auf ihren Inhalt und ihre Bedeutung gehört zu den Aufgaben des BFH, bei der er nicht an die Tatsachenfeststellungen des FG gebunden ist (Senatsurteil vom 18.08.2020 - VII R 39/19, n.n.; BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 624, Rz 22; BFH-Urteil in BFHE 173, 480, BStBl II 1994, 469, unter II.1.).
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b) Im Streitfall hat das FG den Antrag der Klägerin ("sinngemäß") so formuliert, dass sich ihm kein Hilfsantrag bzw. kein (hilfsweise gestellter) Erlassantrag und damit keine eventuelle objektive Klagehäufung (vgl. dazu Gräber/ Teller, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 43 Rz 15 f.) entnehmen lassen. Dennoch hat das FG in den Gründen Ausführungen zum Erlass gemacht, die darauf hindeuten, dass die Klage auch in Bezug auf den Erlassantrag abgewiesen wurde. Damit ist das FG über den (von ihm selbst formulierten) Klageantrag hinausgegangen. Dies verstößt gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO.
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Richtigerweise hätte das FG gemäß § 76 Abs. 2 FGO entsprechend dem von der Klägerin sowohl im Einspruchs- als auch im Klageverfahren vorgetragenen Rechtsschutzziel davon ausgehen müssen, dass diese hilfsweise auch beantragt hat, den Abrechnungsbescheid in ihrem Sinn zu ändern, jedoch, falls dies erforderlich sein sollte, zuvor dem hilfsweise gestellten Erlassantrag stattzugeben (nach dem Vortrag der Klägerin soll das Ermessen des FA insoweit auf Null reduziert sein). Das FG hätte deshalb auch den Klageantrag entsprechend formulieren müssen. Dann hätte das FG auch über den Erlassantrag entscheiden können.
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3. Der Senat kann offenlassen, ob das FG noch einen weiteren Verfahrensfehler gemacht und den Anspruch der Klägerin auf Gewährung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO verletzt hat, indem es den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht verlegt und in Abwesenheit der Klägerin verhandelt und entschieden hat.
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Die Vorentscheidung überschreitet zwar auf den ersten Blick die von der Rechtsprechung gezogenen Grenzen nicht. Denn gemäß § 227 Abs. 2 ZPO sind die erheblichen Gründe für eine Terminsverlegung auf Verlangen des Vorsitzenden bzw. des Einzelrichters glaubhaft zu machen (§§ 6 Abs. 1, 5 Abs. 3 Satz 1 FGO). Eine Glaubhaftmachung kann z.B. durch eine anwaltliche Versicherung erfolgen, in der die konkreten Umstände substantiiert und in sich schlüssig dargelegt werden (vgl. hierzu etwa BFH-Beschluss vom 23.08.2016 - IX R 15/16, BFH/NV 2017, 47, Rz 10). Eine substantiierte und in sich schlüssige anwaltliche Versicherung ist jedoch --ebenso wie eine eidesstattliche Versicherung-- regelmäßig nur dann uneingeschränkt zur Glaubhaftmachung eines Sachverhalts geeignet, wenn keine weiteren Mittel der Glaubhaftmachung zur Verfügung stehen bzw. wenn dargelegt wird, weshalb objektive Beweismittel nicht vorgelegt werden können (vgl. dazu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.02.1976 - 2 BvR 849/75, BVerfGE 41, 332; BFH-Beschlüsse vom 12.11.2009 - IV B 66/08, BFH/NV 2010, 671, und vom 13.12.2001 - X R 42/01, BFH/NV 2002, 533). Mitunter wird sogar verlangt, dass nicht nur substantiiert vorgetragen und durch Vorlage der Buchungsunterlagen nachgewiesen wird, dass es sich um einen Urlaub handelt, der im Zeitpunkt der Zustellung der Ladung bereits verbindlich geplant war, sondern dass auch die weiteren Umstände dargestellt werden und insbesondere das Urlaubsziel so präzise genannt wird, dass das Gericht beurteilen kann, ob eine Wahrnehmung des Termins wegen des Urlaubs unzumutbar ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 23.02.2011 - V B 85/10, BFH/NV 2011, 1365, Rz 4, m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die bloße anwaltliche Versicherung eines Auslandsaufenthalts ohne nähere Angaben nicht.
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Allerdings betrafen die genannten Entscheidungen keine Einzelrichtersitzung, die üblicherweise flexibler verlegt werden kann als eine Senatssitzung. Im Streitfall stand auch lediglich ein einwöchiger Urlaub in der Ferienzeit und damit auch eine nur geringfügige Verschiebung im Raum. Darüber hinaus handelte es sich um den ersten Antrag auf Terminsverlegung, der zeitnah nach Zugang der Ladung und mehr als drei Wochen vor dem Termin der mündlichen Verhandlung gestellt wurde, weshalb die Einzelrichterin unter Umständen auch noch einen anderen Fall zur mündlichen Verhandlung hätte laden können. Es bestanden keine Anhaltspunkte für eine Prozessverschleppungsabsicht. Der Termin konnte evident auch nicht durch ein anderes Mitglied einer Sozietät oder Bürogemeinschaft sachgerecht und zumutbar wahrgenommen werden, weil der Prozessbevollmächtigte als Einzelanwalt tätig ist. Der Prozessstoff stand einer (geringfügigen) zeitlichen Verschiebung der mündlichen Verhandlung erkennbar nicht entgegen. Wäre das Urteil nicht bereits wegen eines anderen Verfahrensfehlers aufzuheben, müsste der Senat entscheiden, ob die Ablehnung der Terminsverschiebung unter diesen Umständen den Anspruch der Klägerin auf Gewährung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO verletzt hat (zu einem derartigen Fall vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2020, 917).
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4. Der Senat hält es für sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 FGO die Vorentscheidung wegen des Verfahrensfehlers aufzuheben und den Rechtsstreit bereits im Beschwerdeverfahren (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 624, Rz 25) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
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Das FG wird im zweiten Rechtsgang gemäß § 76 Abs. 2 FGO auf eine ordnungsgemäße Antragstellung hinwirken und gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO über den gestellten Antrag entscheiden müssen. Dabei ist davon auszugehen, dass eine eventuelle objektive Klagehäufung (vgl. dazu Gräber/Teller, a.a.O., § 43 Rz 15 f.) grundsätzlich möglich ist. Allerdings ist bei der Formulierung des Antrags und bei der Entscheidung über die Klage zu prüfen, ob ein (hilfsweiser) Erlassantrag überhaupt noch in Betracht kommt oder ob der vollständige Erlass der Säumniszuschläge bereits bestandskräftig abgelehnt worden ist. Dies lässt sich der Vorentscheidung nicht entnehmen, weshalb der Senat an einer eigenen Entscheidung gehindert ist.
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Sollte auch im zweiten Rechtsgang im Wege der objektiven Klagehäufung über einen weitergehenden Erlass der Säumniszuschläge zu entscheiden sein, weist der Senat darauf hin, dass ein mehr als hälftiger bzw. unter Umständen auch ein vollständiger Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen geboten sein kann, wenn Umstände, die jeweils einen Teilerlass rechtfertigen, kumulieren (zur Funktion der Säumniszuschläge vgl. etwa Senatsurteil vom 17.09.2019 - VII R 31/18, BFHE 266, 113, Rz 22). Ein (nur) hälftiger Erlass der Säumniszuschläge kommt, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, zwar regelmäßig in Betracht, wenn und soweit kein Ausgleich für die verspätete Zahlung erforderlich ist, weil bei richtiger Sachbehandlung keine (Aussetzungs-)Zinsen angefallen wären oder ihre Erhebung gemäß §§ 234 Abs. 2 AO und 237 Abs. 4 AO unbillig wäre (vgl. etwa BFH-Urteil vom 18.09.2018 - XI R 36/16, BFHE 262, 297, BStBl II 2019, 87, und Senatsurteil vom 19.12.2000 - VII R 63/99, BFHE 193, 524, BStBl II 2001, 217, m.w.N.). Dies gilt jedoch nur, soweit die Säumniszuschläge in einem derartigen Fall noch eine Funktion als Druckmittel hatten. Dies ist nicht der Fall, wenn und soweit der Schuldner zahlungsunfähig war (vgl. etwa Senatsurteil in BFHE 193, 524, BStBl II 2001, 217). Dass über das Vermögen der Klägerin am 03.12.2009 das Insolvenzverfahren nach ... Recht eröffnet wurde und diese somit jedenfalls ab diesem Zeitpunkt zahlungsunfähig war, wurde vom FG bisher nicht berücksichtigt.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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