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BFH 28.04.2020 - II R 33/18
BFH 28.04.2020 - II R 33/18 - Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist
Normen
§ 10 Abs 3 FGO, § 56 FGO, § 120 FGO, § 124 FGO, § 126 Abs 1 FGO, § 85 Abs 2 ZPO
Vorinstanz
vorgehend FG Münster, 21. Juni 2018, Az: 3 K 621/16 Erb, Urteil
Leitsatz
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NV: Löscht ein Berufsträger eine Frist, ohne sich der Erledigung der innerhalb der Frist vorzunehmenden Prozesshandlung vergewissert zu haben, ist die Versäumung der Frist verschuldet.
Tenor
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Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 21.06.2018 - 3 K 621/16 Erb wird als unzulässig verworfen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Mit Urteil vom 21.06.2018 hat das Finanzgericht (FG) eine Klage der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wegen Schenkungsteuer abgewiesen und die Revision zugelassen. Das Urteil wurde der Prozessbevollmächtigten der Kläger mittels Empfangsbekenntnisses zugestellt. Dieses ist abgezeichnet am 12.07.2018. Am 13.08.2018 legten die Kläger per Telefax bei dem Bundesfinanzhof (BFH) Revision ein. Eine Revisionsbegründung ging vorerst nicht ein. Mit Schreiben vom 25.09.2018, zugestellt am 27.09.2018, wies die Senatsvorsitzende beim BFH auf die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist hin. Mit einem am 05.10.2018 eingegangenen Schriftsatz beantragten die Kläger hinsichtlich dieser Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und fügten die auf eine Sachrüge gestützte Revisionsbegründung bei.
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Nach Aktenlage sowie dem --unwidersprochenen-- Vortrag der Kläger hat sich nach Zustellung des FG-Urteils Folgendes zugetragen:
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Die Postsendung wurde in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Kläger am 12.07.2018 geöffnet. Da die dortige Mitarbeiterin A einen Einwurf bereits am 11.07.2018 vermutete, legte sie dieses Datum für die Berechnung der Fristen zur Einlegung der Revision (einen Monat) und zur Begründung der Revision (zwei Monate) zugrunde und trug beide Fristen in das elektronische Fristenkontrollbuch ein.
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Der innerhalb der Kanzlei für den Fall verantwortliche Berufsträger B befand sich vom 22.07.2018 bis zum 16.08.2018 im Urlaub. Dessen Vertreter C legte unter Mitzeichnung einer weiteren Berufsträgerin (in Vertretung) am 13.08.2018, einem Montag, per Telefax Revision ein. Beide Fristen löschte C nicht, weil die zweite Frist zur Revisionsbegründung noch nicht erledigt war. Vom 20.08.2018 bis zum 29.08.2018 befand sich C seinerseits im Urlaub, so dass er mit B nicht mehr über die Sache sprach.
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Während des Urlaubs der A wies die weitere Kanzleimitarbeiterin D den B per E-Mail am 06.09.2018 auf die am 11.09.2018 auslaufende Frist hin. A und C erfuhren davon nichts. Der für die Bearbeitung zuständige B ging irrig davon aus, beide Fristen seien bereits erledigt, und vermerkte sowohl die Frist zur Revisionseinlegung als auch die Frist zur Revisionsbegründung noch am 06.09.2018 als erledigt.
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Die Kläger sind der Auffassung, es liege ein entschuldbares Büroversehen vor. B habe versehentlich beide Fristen gelöscht. Er habe in seiner Tätigkeit für die Kanzlei stets zuverlässig und gewissenhaft gehandelt, so dass kein Organisations- bzw. Überwachungsverschulden vorliege.
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Die Kläger beantragen unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Festsetzung der angegriffenen Schenkungsteuer auf 0 €.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) beantragt sinngemäß die Verwerfung der Revision als unzulässig, da die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist nicht unverschuldet sei.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Revision ist unzulässig und nach § 126 Abs. 1 FGO i.V.m. § 10 Abs. 3 FGO in der Besetzung durch drei Richter durch Beschluss zu verwerfen.
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1. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision bei dem BFH innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Frist kann nach § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden.
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a) Nach § 124 Abs. 1 Satz 1 FGO prüft der BFH, ob die Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Revision nach § 124 Abs. 1 Satz 2 FGO unzulässig.
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b) War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm nach § 56 Abs. 1 FGO nach näherer Maßgabe von § 56 Abs. 2 bis 5 FGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Jedes Verschulden --also auch einfache Fahrlässigkeit-- schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten ist dem Kläger nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) zuzurechnen (vgl. BFH-Beschluss vom 07.01.2015 - V B 70/14, BFH/NV 2015, 516, Rz 5).
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c) Das den Angestellten einer Kanzlei unterlaufende Büroversehen kann entschuldbar sein, sofern kein Organisations- oder Überwachungsverschulden vorliegt (näher etwa BFH-Beschluss vom 03.09.2019 - IX R 17/18, BFH/NV 2020, 27, Rz 15). Unberührt davon bleibt jedoch eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten, wenn dieses für die Versäumung der Frist ursächlich geworden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 11.10.2019 - IX B 52/19, BFH/NV 2020, 211, Rz 5).
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2. Nach diesen Maßstäben wurde die Frist des § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO, die ungeachtet der Verlängerungsmöglichkeit eine gesetzliche Frist ist, nicht unverschuldet versäumt.
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a) Die Überlegungen der Kläger zu fehlendem Organisations- und Überwachungsverschulden bezüglich der Person des B gehen fehl. Diese Grundsätze beziehen sich auf die durch den Berufsträger zu leistende Organisation und Überwachung derjenigen Angestellten der Kanzlei, die nicht Berufsträger sind. Sie beziehen sich nicht auf den Berufsträger selbst. Dieser ist Subjekt, nicht Objekt von Organisation und Überwachung.
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b) Im Streitfall fällt nicht den Kanzleimitarbeiterinnen A und D, sondern vor allem dem Berufsträger B und möglicherweise auch C ein Verschulden zur Last. A und D hatten die beiden Berufsträger ordnungsgemäß auf die jeweils anstehenden Fristen aufmerksam gemacht.
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aa) Zunächst hatte C nach fristgerechter Einlegung der Revision die entsprechende Frist im Fristenkontrollbuch nicht gelöscht und dies auch nicht angewiesen. Damit wurde zumindest der Grundstein für die Versäumung der weiteren Frist gelegt. Nicht nur ein fehlerhafter Erledigungsvermerk oder ein fehlerhaftes Nichtbeachten einer Frist, sondern auch ein fehlerhaftes Nichtanbringen eines Erledigungsvermerks kann, wie sich am Streitfall zeigt, für Verwirrung sorgen, und zwar in zweierlei Hinsicht.
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Stellt sich in der Alltagspraxis heraus, dass Fristen nicht als erledigt ausgetragen wurden, obwohl sie tatsächlich erledigt sind, kann dies unter Umständen dazu verleiten, auch für andere noch offene Fristen fälschlich Erledigung anzunehmen. Kommt das in der jeweiligen Kanzlei des Öfteren vor, könnten derart unterlassene Erledigungsvermerke Überlegungen dahingehend auslösen, welche Fristen wohl trotz fehlenden Vermerks erledigt sein müssten, während die Funktion des Fristenkontrollbuchs gerade darin besteht, solche Überlegungen zu vermeiden und zu dokumentieren, welche Fristen tatsächlich erledigt sind.
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Umgekehrt kann der fehlende Erledigungsvermerk bei einer Frist --hier der Revisionseinlegungsfrist-- auch zu der irrigen Annahme verleiten, diese sei tatsächlich versäumt, mit der Folge, dass die Rechtsverfolgung als irreparabel verloren, die prozessual nachfolgende Maßnahme --hier die Revisionsbegründung-- als obsolet erscheint.
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Im Ergebnis kann jedoch dahinstehen, inwieweit das Nichtanbringen des Erledigungsvermerks als Verschulden gewertet werden kann.
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bb) Jedenfalls handelte B schuldhaft, indem er die Frist auch für die Revisionsbegründung zu Unrecht als erledigt vermerkt hatte. Hierfür gab es keinen objektiven Anlass. Das gilt unabhängig davon, ob C in Bezug auf die Nichtanbringung des Erledigungsvermerks ein Verschulden anzulasten ist.
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Im Fristenkontrollbuch waren beide Fristen noch als offen gekennzeichnet. B selbst war der für den Fall verantwortliche Berufsträger. Ohne besondere Umstände, die die Kläger selbst nicht vorgetragen haben, kann der für die Bearbeitung des Falles originär zuständige Berufsträger nicht davon ausgehen, dass ein Kollege bereits vor Fristablauf diejenigen fristwahrenden Maßnahmen getroffen hat, die er nach Urlaubsrückkehr selbst treffen konnte.
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Das gilt erst recht für eine Revisionsbegründung, die --anders als die Einlegung der Revision-- angesichts des Begründungserfordernisses des § 120 Abs. 3 FGO eine vertiefte Bearbeitung des Sach- und Streitstands verlangt. Es ist im Allgemeinen nicht gerechtfertigt anzunehmen, dass der vertretende Berufsträger sich dem ohne besondere Absprache unterzieht.
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Selbst wenn B --dem Vortrag der Kläger entgegen-- irrig davon ausgegangen sein sollte, angesichts des fehlenden Erledigungsvermerks sei bereits die Frist zur Einlegung der Revision versäumt worden, durfte er nicht ohne Weiteres die beiden Fristen löschen. Vielmehr hätte er sich durch Studium der Akten vergewissern müssen, was es mit der vermeintlich versäumten Frist auf sich hat, um ggf. unverzüglich einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu stellen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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