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BFH 24.07.2017 - VII B 165/16
BFH 24.07.2017 - VII B 165/16 - Keine rückwirkende Anwendung materiell-rechtlicher Vorschriften des Unionszollkodex (UZK) - Maßgebliche Rechtslage für Entscheidung über eine Verpflichtungsklage
Normen
Art 116 Abs 1 EUV 952/2013, Art 124 Abs 1 Buchst k EUV 952/2013
Vorinstanz
vorgehend FG Hamburg, 12. Oktober 2016, Az: 4 K 160/14, Urteil
Leitsatz
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NV: Bei Art. 116 Abs. 1 und Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK handelt es sich um Vorschriften des materiellen Rechts, die nicht für vor Inkrafttreten der Regelungen entstandene Sachverhalte gelten .
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 12. Oktober 2016 4 K 160/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) führt Früchte und Fruchtsaftkonzentrate aus Drittländern ein und verarbeitet diese unter Inanspruchnahme von Veredelungsverkehren. Nachdem sie die Abrechnung für das 1. Quartal 2006 trotz Aufforderung nicht vorgelegt hatte, setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) mit Einfuhrabgabenbescheid vom 4. Juli 2007 Einfuhrabgaben fest, die er nach Vorlage der Abrechnung und weiterer Unterlagen mit Einfuhrabgabenbescheid vom 26. September 2007 herabsetzte.
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Einspruch und Klageverfahren blieben erfolglos (vgl. ...).
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Nach Abschluss dieses Verfahrens nahm das HZA die Erstattungsanträge der Klägerin nach Art. 236 und 239 des Zollkodex (ZK) wieder auf, die diese auf den Zoll und die Ausgleichszinsen für wieder ausgeführte Waren beschränkte. Mit Bescheid vom 28. August 2013 lehnte das HZA die Erstattungsanträge ab, weil die Frist zur Abgabe der Abrechnung nach Art. 859 Nr. 9 der Zollkodex-Durchführungsverordnung (ZKDVO) bei rechtzeitiger Antragstellung nicht verlängert worden wäre und kein Fall des Art. 900 Abs. 1 ZKDVO vorliege. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
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Das FG urteilte, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erstattung von Zoll und Ausgleichszinsen. Ein Anspruch aus Art. 236 ZK liege hinsichtlich der Zölle schon deshalb nicht vor, weil die Beteiligten an das rechtskräftige Urteil vom 3. April 2009 gebunden seien. Auch die Ausgleichszinsen seien gesetzlich geschuldet. Die Klägerin habe ferner keinen Anspruch auf Erstattung gemäß Art. 239 Abs. 1 erster Anstrich ZK. Die Voraussetzungen der in Art. 900 Abs. 1 ZKDVO genannten Tatbestände seien vorliegend nicht erfüllt. Die Klägerin habe schließlich keinen Anspruch auf Vorlage ihres Erstattungsantrags an die Europäische Kommission, weil dieser nicht genügend Anhaltspunkte für das Vorliegen einer außergewöhnlichen Situation böte und die Klägerin offensichtlich fahrlässig gehandelt habe. Die Pflichtverletzung, die zum Entstehen der Zollschuld geführt habe, sei kein einmaliger Arbeitsfehler, sondern auf das Organisationsverschulden der Klägerin zurückzuführen.
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Die Klägerin begründet ihre Nichtzulassungsbeschwerde mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Es sei zu klären, ob sich die Beurteilung des Rechtsstreits noch nach den Vorschriften des ZK richten könne. Zwar sei der Erstattungsantrag unter Geltung des ZK gestellt worden. Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung habe jedoch der Unionszollkodex (UZK) gegolten, bei dessen Anwendung der Klage hätte stattgegeben werden müssen. Das FG habe zu Unrecht offengelassen, ob es sich bei den Art. 236 und 239 ZK um materiell-rechtliche Vorschriften oder um solche des Verfahrens handele, obschon die Zuordnung für das anzuwendende Recht entscheidungserheblich gewesen sei. Bei diesen Vorschriften handele es sich nach der Rechtsprechung des Gerichts erster Instanz (EuG) um Verfahrensvorschriften. Dementsprechend hätte das FG Art. 86 Abs. 6 und Art. 124 Abs. 1 Buchst. c und k UZK anwenden müssen, die zu einer Befreiung von der Abgabenschuld oder zu deren Erlöschen geführt hätten, weil der Verstoß der verspäteten Abrechnung des Veredelungsverkehrs kein Täuschungsversuch gewesen, sondern lediglich als Fahrlässigkeit eingestuft worden sei. Diese Vorschriften stellten gleichermaßen Verfahrensvorschriften dar. Die Vorschriften des UZK müssten auch deshalb auf vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte angewandt werden, weil sie eine erst durch die Rechtsprechung zur verspäteten Abrechnung entstandene Lage bereinigten. Zudem sei ein Erstattungsantrag nach der EuGH-Rechtsprechung umfassend auf alle in Betracht kommenden Bestimmungen hin zu prüfen.
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Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei auch zur Fortbildung des Rechts aus den zur grundsätzlichen Bedeutung ausgeführten Gründen und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Es gebe divergierende Entscheidungen, weil bei Verpflichtungsklagen ohne Ermessensspielraum die materielle Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gelte.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) nicht vorliegen.
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1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, weil die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage bereits geklärt ist.
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a) Dass bei Verpflichtungsklagen auf die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Gerichts abzustellen ist, ist eine Regel, die nicht ausnahmslos gilt. Die Frage, ob ein Anspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungsakts besteht, beantwortet sich nach dem materiellen Recht. Hat sich seit dem Erlass der ablehnenden Verwaltungsentscheidung das materielle Recht geändert, ist zu prüfen, ob sich diese Rechtsänderung auch auf das mit der vorangegangenen Rechtslage zusammenhängende Bestehen bzw. Nichtbestehen des seinerzeit geltend gemachten Rechtsanspruchs auswirkt (vgl. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Mai 1976 IV C 80.74, BVerwGE 51, 15; vom 27. April 1990 8 C 87.88, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1991, 360; Senatsbeschluss vom 28. November 2008 VII B 59/08, BFH/NV 2009, 806).
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In diesem Zusammenhang ist die ständige Rechtsprechung des Gerichthofs der Europäischen Union (EuGH) zu berücksichtigen, wonach Verfahrensvorschriften im Allgemeinen auf alle bei ihrem Inkrafttreten anhängigen Rechtsstreitigkeiten anwendbar sind, während materiell-rechtliche Vorschriften gewöhnlich so ausgelegt werden, dass sie grundsätzlich nicht für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte gelten (EuGH-Urteile Molenbergnatie vom 23. Februar 2006 C-201/04, EU:C:2006:136, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2006, 161; De Haan vom 7. September 1999 C-61/98, EU:C:1999:393, ZfZ 1999, 371).
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Wie der EuGH weiterhin entschieden hat, verbietet es der Grundsatz der Rechtssicherheit im Allgemeinen, den Beginn der Geltungsdauer eines Rechtsakts der Gemeinschaft auf einen Zeitpunkt vor dessen Veröffentlichung zu legen; dies kann aber ausnahmsweise dann anders sein, wenn ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel es verlangt und das berechtigte Vertrauen der Betroffenen gebührend beachtet ist oder wenn aus Wortlaut, Zweck oder Aufbau der betreffenden Gemeinschaftsvorschriften eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist (EuGH-Urteil Mitsui & Co. Deutschland vom 19. März 2009 C-256/07, EU:C:2009:167, ZfZ 2009, 101, Rz 32, m.w.N.).
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b) Bei den hier entscheidungserheblichen Regelungen bezüglich der Erstattung von Einfuhrabgaben handelt es sich um Vorschriften des materiellen Rechts (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Januar 2001 VII B 19/00, BFH/NV 2001, 945). Dies gilt sowohl hinsichtlich Art. 236 und Art. 239 ZK, die das FG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, als auch hinsichtlich Art. 116 Abs. 1 UZK, den die Klägerin angewandt wissen will und in den die Erlass- bzw. Erstattungsvorschriften der Art. 236 und 239 ZK ohne grundsätzliche Änderungen übernommen wurden. Soweit die Vorschriften über die Erstattung von Einfuhrabgaben auch Verfahrensvorschriften beinhalten, sind diese vorliegend nicht entscheidungserheblich. Vielmehr streiten die Beteiligten über die Frage, ob ein Grund für die Erstattung der Einfuhrabgaben vorliegt.
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Aus dem von der Klägerin angeführten Urteil des EuG Kaufring u.a. vom 10. Mai 2001 T-186/97 u.a. (EU:T:2001:133, ZfZ 2001, 229) ergibt sich nicht, dass es sich bei den Vorschriften über Erlass und Erstattung ausschließlich um Verfahrensvorschriften handelt, die rückwirkend angewandt werden können. Vielmehr unterscheidet das EuG zwischen den materiell-rechtlichen Regelungen der Erlassvorschriften, wie z.B. das Vorliegen eines besonderen Umstandes, und den Verfahrensvorschriften, wie z.B. die Antragstellung und eine Vorlage des Erlassantrags an die Europäische Kommission.
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Da sich die Erlass- bzw. Erstattungsvorschriften im UZK gegenüber dem ZK nicht grundlegend geändert haben, hat die dargestellte Rechtsprechung weiterhin Gültigkeit (vgl. zur Einführung des Art. 239 ZK EuGH-Urteil Söhl & Söhlke vom 11. November 1999 C-48/98, EU:C:1999:548, ZfZ 2000, 12). Allein der Umstand, dass es zum Übergang zwischen dem ZK und dem UZK noch keine Rechtsprechung des EuGH gibt, reicht zur Begründung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht aus (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Juli 2016 VI B 128/15, BFH/NV 2016, 1752; Senatsbeschluss vom 14. Februar 2006 VII B 269/05, BFH/NV 2006, 1159).
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Schließlich enthalten weder der Wortlaut der Vorschrift noch die Erwägungsgründe der Verordnung einen Hinweis darauf, dass Art. 116 Abs. 1 UZK entgegen der Regelung in Art. 288 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 UZK (Gültigkeit ab 1. Mai 2016) eine Rückwirkung zukommt.
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c) Der Senat sieht es auch als nicht zweifelhaft an, dass es sich bei Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK um eine Vorschrift des materiellen Rechts handelt, die --unabhängig davon, ob ihre Tatbestandsvoraussetzungen vorliegend erfüllt sind-- grundsätzlich keine Rückwirkung im Hinblick auf Einfuhrabgaben, die vor dem Inkrafttreten des UZK entstanden sind, entfaltet.
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Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine solche des materiellen Rechts, weil die Einfuhrzollschuld im Fall des Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK erlischt. Das Verbringen der Waren aus dem Zollgebiet der Union hat unter den dort geregelten Voraussetzungen unmittelbare Auswirkungen auf den Bestand der Einfuhrzollschuld (vgl. zu Art. 221 Abs. 3 ZK: EuGH-Urteil Molenbergnatie, EU:C:2006:136, ZfZ 2006, 161).
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Anhaltspunkte dafür, dass Art. 124 Abs. 1 Buchst. k i.V.m. Abs. 6 UZK entgegen Art. 288 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 UZK Rückwirkung zukommt, bestehen auch hier nicht (s.o.).
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Selbst wenn der Unionsgesetzgeber durch die Einführung des Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK, wie die Klägerin vorträgt, möglicherweise die EuGH-Rechtsprechung zur Zollschuldentstehung aufgrund einer nicht fristgerechten Vorlage der Abrechnung im Rahmen der aktiven Veredelung (vgl. ...) hat korrigieren wollen, hat die Klägerin nicht dargelegt, warum Art. 124 UZK Rückwirkung haben soll. Aus den von ihr angegebenen Fundstellen in der Literatur ist zu einer eventuellen Rückwirkung nichts zu entnehmen.
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2. Das FG ist mit seiner Entscheidung nicht von den Senatsurteilen vom 21. Juli 1992 VII R 28/91 (BFH/NV 1993, 440) und vom 6. August 2013 VII R 15/12 (BFHE 243, 88, BStBl II 2014, 69) abgewichen. Die Rechtsprechung, wonach bei Verpflichtungsklagen auf die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Gerichts abzustellen ist und in deren Kontext diese beiden Entscheidungen zu sehen sind, gilt nicht ausnahmslos (s.o.).
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3. Auf eine weitere Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO verzichtet.
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