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BFH 25.10.2016 - X R 31/14
BFH 25.10.2016 - X R 31/14 - (Irrige Beurteilung als Voraussetzung, einen Steuerbescheid gemäß § 174 Abs. 4 AO zu ändern)
Normen
§ 174 Abs 4 AO, § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 2. April 2014, Az: 2 K 1972/12, Urteil
Leitsatz
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Die Änderung eines Einkommensteuerbescheids gemäß § 174 Abs. 4 AO wegen der irrigen Beurteilung des Sachverhalts in einem anderen Bescheid, welcher auf Initiative des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten geändert wurde, ist nicht ausgeschlossen, wenn das FA bei Erlass des ursprünglichen Bescheids wissentlich fehlerhaft gehandelt hat. Der Steuerpflichtige soll vielmehr im Falle seines Obsiegens mit einem gewissen Rechtsstandpunkt an dieser Auffassung festgehalten werden, soweit derselbe Sachverhalt zu beurteilen ist (Bekräftigung der BFH-Rechtsprechung, vgl. Entscheidungen vom 21. Mai 2004 V B 30/03, BFH/NV 2004, 1497, und vom 10. Mai 2012 IV R 34/09, BFHE 239, 485, BStBl II 2013, 471) .
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. April 2014 2 K 1972/12 aufgehoben.
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Die Klage wird abgewiesen.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erhielt im Jahr 2005 Kirchensteuererstattungen, die aus den Veranlagungszeiträumen 2000 bis 2003 resultieren. Mangels ausreichender in diesem Jahr gezahlter Kirchensteuer (vgl. Einkommensteuerbescheid 2005 vom 8. Februar 2007) entstand ein Erstattungsüberhang. Diesen verrechnete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) mit der im Jahr 2004 gezahlten Kirchensteuer und änderte am 14. September 2009 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) den Einkommensteuerbescheid 2004. Den danach noch verbleibenden Erstattungsüberhang verrechnete das FA mit den Kirchensteuerzahlungen des Veranlagungszeitraums 2003.
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Die Klägerin hatte mit der gegen den Einkommensteuerbescheid 2004 gerichteten Klage Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied am 24. August 2011 in dem Rechtsstreit 2 K 1270/10, Erstattungsüberhänge bei der Kirchensteuer könnten auch aus Vereinfachungsgründen nicht in das jüngste Zahlungsjahr zurückgetragen werden, sondern seien dem jeweiligen Zahlungsjahr zuzuordnen. Damit waren im Veranlagungszeitraum 2004 nur noch Erstattungsüberhänge in Höhe von 11.199,24 € verrechenbar.
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Das FA änderte daraufhin am 13. Dezember 2011 den Einkommensteuerbescheid 2004 den Vorgaben des Urteils entsprechend. Die nunmehr nicht berücksichtigten Erstattungsüberhänge übertrug das FA auf die weiteren Zahlungsjahre und änderte am 5. April 2012 gemäß § 174 Abs. 4 AO die Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2003 zu Ungunsten der Klägerin.
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Die Klägerin war und ist der Auffassung, beim Erlass des geänderten Einkommensteuerbescheids 2004 am 14. September 2009 sei für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2003 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten gewesen. Eine Änderung sei nur bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist für 2004 und damit bis zur Rechtskraft des Urteils im Herbst 2011 zulässig gewesen. Ein Hinausschieben der durch ein rückwirkendes Ereignis geänderten Festsetzungsfrist sei auch nicht durch Bezugnahme auf § 174 Abs. 4 AO möglich, da diese Vorschrift im Streitfall nicht anwendbar sei, weil die fehlerhafte Erfassung des Sachverhalts nicht auf einer irrigen Beurteilung des FA beruht habe. Die Änderungspraxis des FA begegne tiefgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, da die Einkommensteuerbescheide vielfach geändert worden seien, sie, die Klägerin, jedoch einen Anspruch auf Rechtssicherheit habe.
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Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG urteilte, das FA habe die Einkommensteuerbescheide für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2003 am 5. April 2012 wegen der eingetretenen Festsetzungsverjährung nicht ändern dürfen (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2014, 1159). Der Eintritt der Festsetzungsverjährung zum 31. Dezember 2011 sei nicht durch § 174 Abs. 4 AO gehindert worden, da dessen Voraussetzungen mangels irriger Beurteilung des FA im Streitfall nicht erfüllt gewesen seien. Das FA habe trotz der ihm bekannten Rechtsprechung zur Frage der Berücksichtigung von Kirchensteuererstattungen in den Veranlagungszeiträumen ihrer Zahlung den Erstattungsüberhang des Jahres 2005 mit den Kirchensteuerzahlungen des Veranlagungszeitraumes 2004 verrechnet, obwohl es gewusst habe, dass seine Vorgehensweise nicht diesen Grundsätzen entspreche. Die fehlende Vereinbarkeit mit der geltenden Rechtslage ergebe sich auch aus der Verfügung der Oberfinanzdirektion Koblenz (OFD) vom 11. April 2005 (S 2221 A - St 32 3), die sich in der Rechtsbehelfsakte wegen der Veranlagungszeiträume 2000 bis 2003 befinde. Von der in der Verfügung angeordneten Lösung für den Fall eines Antrags oder Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen habe das FA wissentlich keinen Gebrauch gemacht. Aufgrund des gesamten zeitlichen Ablaufes des Verfahrens sei der Rechtssicherheit für die Klägerin Vorrang vor dem Prinzip einer folgerichtigen Umsetzung des von ihr erstrittenen Urteils einzuräumen.
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Das FA begründet seine Revision mit der fehlerhaften Auslegung des § 174 Abs. 4 AO durch das FG. Die eine Korrektur nach § 174 Abs. 4 AO ermöglichende Änderung eines (anderen) Bescheids müsse nach dem Gesetzeswortlaut lediglich durch einen Rechtsbehelf oder Antrag des Steuerpflichtigen ausgelöst worden sein (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Mai 2005 IV R 17/02, BFHE 209, 384, BStBl II 2005, 637). Zweck der Vorschrift sei allein, nach antragsgemäßer Änderung des Steuerbescheids ggf. unter Durchbrechung der Bestandskraft die in einem anderen Steuerbescheid gezogenen steuerlichen Folgerungen rückgängig zu machen (BFH-Urteil vom 4. April 2001 XI R 59/00, BFHE 195, 286, BStBl II 2001, 564), die sich als unzutreffend erwiesen hätten (so auch Begründung des Gesetzentwurfs einer Abgabenordnung, BTDrucks VI/1982, S. 153, 154; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 10. November 1997 GrS 1/96, BFHE 184, 1, BStBl II 1998, 83).
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Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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§ 174 Abs. 4 AO sei im Streitfall nicht anwendbar, weil der unrichtigen Veranlagung keine irrige Beurteilung eines Sachverhaltes zugrunde gelegen habe. Das FA habe sich nicht in einem Irrtum befunden, sondern die durch die OFD vorgegebene Lösung wissentlich nicht angewendet.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abzuweisen.
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Das FG hat zu Unrecht entschieden, das FA habe die Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2003 nicht gemäß § 174 Abs. 4 AO ändern dürfen. Die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO waren im Streitfall erfüllt (unter 1.). Der Änderung der Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2003 stand der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegen (unter 2.).
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1. Nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO können, wenn aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird.
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a) Der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass § 174 Abs. 4 AO u.a. die Möglichkeit eröffnet, Folgerungen aus einem bestimmten Sachverhalt, die zunächst nicht im "richtigen" Bescheid, sondern in einem anderen Verfahren gezogen worden sind, durch Erlass eines richtigen Bescheids nachzuholen (Senatsurteil vom 29. Juni 2005 X R 38/04, BFH/NV 2005, 1751, unter 1.). Somit erfasst § 174 AO auch Sachverhalte wie den Streitfall, in denen die Finanzbehörde darüber irrt, in welchem Jahr die steuerrechtlichen Folgerungen aus einem bestimmten Sachverhalt zu ziehen sind (s. Senatsurteil in BFH/NV 2005, 1751, unter 1.), hier die streitgegenständliche Frage, in welche Veranlagungszeiträume der Erstattungsüberhang des Jahres 2005 zurückzutragen war. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch Einigkeit.
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b) Nicht nur zwischen den Beteiligten, sondern auch in der Rechtsprechung und im Schrifttum ist indes umstritten, wie das Tatbestandsmerkmal "irrige Beurteilung" auszulegen ist.
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aa) Zweifelsfrei ist die Beurteilung eines Sachverhalts irrig, wenn sie sich nachträglich als unrichtig erweist (vgl. BFH-Entscheidungen vom 16. Februar 1996 I R 150/94, BFHE 180, 8, BStBl II 1996, 417; vom 18. Februar 1997 VIII R 54/95, BFHE 183, 6, BStBl II 1997, 647). Dabei ist unerheblich, ob der für die rechtsirrige Beurteilung ursächliche Fehler im Tatsächlichen oder im Rechtlichen liegt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 2. Mai 2001 VIII R 44/00, BFHE 195, 14, BStBl II 2001, 562; vom 21. August 2007 I R 74/06, BFHE 218, 487, BStBl II 2008, 277; vom 10. Mai 2012 IV R 34/09, BFHE 239, 485, BStBl II 2013, 471; vom 24. April 2013 II R 53/10, BFHE 241, 63, BStBl II 2013, 755, Rz 20; vom 19. August 2015 X R 50/13, BFHE 251, 389, Rz 34; vom 4. Februar 2016 III R 12/14, BFHE 253, 290, BStBl II 2016, 818, Rz 12, jeweils m.w.N.).
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bb) Fraglich und umstritten ist jedoch, ob eine irrige Beurteilung i.S. des § 174 Abs. 4 AO auch dann angenommen werden kann, wenn dem FA bei Erlass des Bescheids bereits dessen Fehlerhaftigkeit bekannt, d.h. es zu diesem Zeitpunkt subjektiv nicht der Auffassung war, eine richtige Beurteilung vorzunehmen.
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(1) Ein Teil des Fachschrifttums und der Finanzgerichtsbarkeit geht davon aus --worauf die Klägerin und das FG hinweisen--, dass es an einer irrtümlichen Beurteilung i.S. des § 174 Abs. 4 AO fehle, wenn das FA den Fehler vor Erlass des Steuerbescheids erkenne, den Steuerbescheid aber gleichwohl unverändert, also bewusst fehlerhaft erlasse (so z.B. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Oktober 2014 5 K 4719/10, juris, Revision X R 4/15; Frotscher in Schwarz, AO, § 174 Rz 171; Koenig/Koenig, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 174 Rz 60; von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 174 AO Rz 236; nicht eindeutig von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO § 174 Rz 97, und Bartone in: Kühn/von Wedelstädt, 21. Aufl., AO, § 174 Rz 56; nicht streiterhebliche Bedenken äußerte auch der V. Senat in dem Beschluss vom 22. Dezember 1988 V B 148/87, BFH/NV 1990, 341, unter 1.b bb).
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(2) Demgegenüber haben sowohl der V. Senat in seinem späteren Beschluss vom 21. Mai 2004 V B 30/03 (BFH/NV 2004, 1497, unter II.1.) als auch der IV. Senat im Urteil in BFHE 239, 485, BStBl II 2013, 471, Rz 26 bereits ausdrücklich entschieden, eine Änderung wegen der irrigen Beurteilung des Sachverhalts in einem anderen Bescheid sei auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil das FA insoweit vorsätzlich fehlerhaft gehandelt habe. Der Wortlaut des § 174 Abs. 4 AO enthalte keine weitere Einschränkung, nach der zwar eine Änderung des angefochtenen Bescheids aufgrund des Rechtsbehelfs zulässig sein solle, die Änderung der irrigen Beurteilung in anderen Bescheiden aber deswegen unterbleiben müsse, weil das FA vorsätzlich fehlerhaft gehandelt habe. Gegen eine solche Auslegung spreche vor allem der Sinn des § 174 Abs. 4 AO. Die Vorschrift biete den Finanzbehörden im Falle der Aufhebung oder Änderung einer unrichtigen Steuerfestsetzung auf Betreiben des Steuerpflichtigen eine Ermächtigungsgrundlage dahingehend, den nunmehr unberücksichtigten Sachverhalt in dem richtigen Bescheid zu erfassen. Der Steuerpflichtige solle im Falle seines Obsiegens mit einem gewissen Rechtsstandpunkt an seiner Auffassung festgehalten werden, soweit derselbe Sachverhalt zu beurteilen sei. Der Steuerpflichtige, der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten habe, müsse auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen (ebenso Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 174 AO Rz 45; Forchhammer in Leopold/ Madle/Rader AO, § 174, Rz 40).
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(3) Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die gerade dargestellte Begründung, insbesondere auf den Telos der Vorschrift, den Steuerpflichtigen im Falle seines Obsiegens mit einem gewissen Rechtsstandpunkt an dieser Auffassung festzuhalten.
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(a) Es handelt sich dabei um eine besondere gesetzliche Ausformung des Grundsatzes von Treu und Glauben (s. Senatsurteil in BFHE 251, 389, Rz 42, m.w.N.). Durch § 174 AO soll die Finanzbehörde die Möglichkeit erhalten, in bestimmten Fällen der materiellen Richtigkeit Vorrang einzuräumen, indem vermieden wird, dass Steuerfestsetzungen bestehen bleiben, die inhaltlich zueinander im Widerspruch stehen (Senatsurteil vom 28. Januar 2009 X R 27/07, BFHE 224, 15, BStBl II 2009, 620, Rz 15). Wie der Große Senat des BFH entschieden hat, regelt die Vorschrift die verfahrensrechtlichen (inhaltlichen) Folgerungen aus einer vorherigen Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids auf Antrag des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten. Diese Aufhebung oder Änderung löst sodann --"nachträglich"-- die Rechtsfolge des § 174 Abs. 4 AO aus, dass ein anderer Bescheid erlassen oder geändert werden kann. Die Vorschrift zieht somit die verfahrensrechtliche Konsequenz daraus, dass der andere Bescheid nunmehr eine "widerstreitende Steuerfestsetzung" enthält, wie sie das Gesetz nach seiner amtlichen Überschrift zu § 174 AO voraussetzt (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 184, 1, BStBl II 1998, 83, unter C.II.1.; Senatsurteil in BFHE 224, 15, BStBl II 2009, 620, Rz 15).
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(b) Zudem ist auf die erheblichen praktischen Schwierigkeiten hinzuweisen, unter denen die Vorschrift des § 174 AO dann nur angewendet werden könnte.
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Würde gefordert, dass die Finanzverwaltung auch subjektiv der Auffassung gewesen sein müsse, nicht rechtswidrig zu handeln, müsste die Behörde --da es sich dann um eine Voraussetzung für ihre Änderungsbefugnis handelt-- jeweils darlegen und rechtfertigen, warum sie die sich später als richtig herausstellende Auffassung nicht bereits bei Erlass des fehlerhaften Steuerbescheids vertreten hatte. Es dürfte im Regelfall jedoch erhebliche Schwierigkeiten bereiten, die Erwägungen daraufhin zu überprüfen, ob sie unter keinen Umständen vertretbar gewesen sind, um ein bewusst fehlerhaftes Handeln auszuschließen, wie der Streitfall zeigt.
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(aa) Zunächst kann aus der Tatsache, dass in der Rechtsbehelfsakte der Streitjahre 2000 bis 2003 die OFD-Verfügung vom 11. April 2005 enthalten war, eine bewusst fehlerhafte Steuerfestsetzung durch das FA im Jahr 2009 nicht abgeleitet werden.
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Zwar wird in dieser Verwaltungsanweisung die Auffassung vertreten, dass im Falle von Erstattungen für mehrere Jahre in einem Veranlagungszeitraum der verbleibende Erstattungsüberhang aus Vereinfachungsgründen zunächst in das jüngste Zahlungsjahr zurückzutragen sei. Erst wenn der Steuerpflichtige im Rahmen eines Einspruchs oder Änderungsantrags eine abweichende, für ihn günstigere Form der Aufteilung beantrage, könne dem Einspruch bzw. dem Änderungsantrag durch die anteilige Aufteilung des Erstattungsüberhangs und Korrektur im jeweiligen Zahlungsjahr gefolgt werden. Die OFD-Verfügung befindet sich jedoch nicht in der insoweit relevanten Rechtsbehelfsakte für den Veranlagungszeitraum 2004, sondern in der Rechtsbehelfsakte für die Streitjahre 2000 bis 2003. Dass sie dem FA bereits in dem zeitlich vorgelagerten Rechtsbehelfsverfahren bezüglich der Veranlagung 2004 bekannt gewesen sein soll, kann --im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin und des FG-- hieraus nicht gefolgert werden.
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(bb) Aber auch aus anderen Gründen kann nicht von einer bewusst fehlerhaften Steuerfestsetzung 2004 ausgegangen werden.
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Das FA hatte in dem Steuerbescheid 2004 vom 14. September 2009, in der Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2010 sowie in dem finanzgerichtlichen Verfahren 2 K 1270/10 die Meinung vertreten, aus Vereinfachungsgründen und zur Vermeidung eines Kaskadeneffektes sei der Erstattungsüberhang in das jüngste Zahlungsjahr 2004 zurückzutragen. Dass diese Auffassung in den Jahren 2009 und 2010 unter keinem rechtlichen Aspekt zu vertreten gewesen sein sollte, ist eher zu bezweifeln. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung aus Gründen der Praktikabilität und auch der Rechtskontinuität bei in der Regel jährlich wiederkehrenden Sonderausgaben wie der Kirchensteuer am Grundsatz der Verrechnung im Erstattungsjahr festgehalten hat (s. Senatsurteil vom 26. Juni 1996 X R 73/94, BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646, unter II.2.). Deshalb konnte im Zeitpunkt des Verwaltungshandelns nicht ausgeschlossen werden, dass ggf. die Rechtsprechung aus Vereinfachungsgründen auch eine vorrangige Verrechnung des Erstattungsüberhangs im ersten Zahlungsjahr erlauben würde. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die relevanten Senatsentscheidungen vom 2. September 2008 X R 46/07 (BFHE 222, 215, BStBl II 2009, 229), vom 9. Dezember 2009 X R 4/09 (BFH/NV 2010, 596) und vom 19. Januar 2010 X B 32/09 (BFH/NV 2010, 1250) stammen.
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c) Die weiteren Voraussetzungen für eine Änderung der streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2003 nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO sind --dies ist wiederum zwischen den Beteiligten unstreitig-- erfüllt.
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d) Die Änderung der Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2003 war nicht wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung ausgeschlossen.
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aa) Das FG hat den fehlerhaft geänderten Einkommensteuerbescheid 2004 vom 14. September 2009 mit Urteil vom 24. August 2011 aufgehoben, das Urteil wurde im Oktober 2011 rechtskräftig. Das FA änderte zugunsten der Klägerin den Einkommensteuerbescheid am 13. Dezember 2011 (vgl. § 121 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die angefochtenen Einkommensteuer-Änderungsbescheide 2000 bis 2003 ergingen am 5. April 2012, sie sind demnach binnen der Jahresfrist des § 174 Abs. 4 Satz 3 AO erlassen worden.
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bb) Dem steht § 174 Abs. 4 Satz 4 AO nicht entgegen.
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(1) Nach § 174 Abs. 4 Satz 4 AO ist der Fristablauf für den Fall, dass die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen war, als der später aufgehobene oder geänderte Steuerbescheid erlassen wurde, nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO unbeachtlich. Der in Abs. 4 Satz 4 genannte "später aufgehobene oder geänderte Steuerbescheid" ist der auf Rechtsbehelf oder Antrag des Steuerpflichtigen aufgehobene oder geänderte Steuerbescheid (vgl. BFH-Urteile vom 10. November 1993 I R 20/93, BFHE 173, 184, BStBl II 1994, 327, unter II.B.5.; vom 23. Mai 1996 IV R 49/95, BFH/NV 1997, 89; vom 15. Januar 2009 III R 81/07, BFH/NV 2009, 1073, unter II.b; BFH-Beschluss vom 8. Februar 2007 XI B 70/06, BFH/NV 2007, 1071, unter 2.), hier also der geänderte Einkommensteuerbescheid 2004 vom 14. September 2009.
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(2) Wie das FA und das FG zu Recht erkannt haben, war für die Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2003 aufgrund des durch den Einkommensteuerbescheid 2005 vom 8. Februar 2007 ermittelten Überhangs an erstatteter Kirchensteuer am 14. September 2009 noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten.
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Die Einkommensteuerbescheide hätten zu diesem Zeitpunkt noch gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert werden können, da der Erstattungsüberhang als rückwirkendes Ereignis den Sonderausgabenabzug in den Zahlungsjahren 2000 bis 2003 gemindert hätte (s. auch Senatsentscheidungen vom 28. Mai 1998 X R 7/96, BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, Rz 19 f., und in BFH/NV 2010, 1250, Rz 5). Nach § 175 Abs. 1 Satz 2 AO beginnt in diesem Fall die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das rückwirkende Ereignis eintritt, also im Streitfall mit Ablauf des Jahres 2007. Damit trat unter Berücksichtigung der vierjährigen Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO für die Jahre 2000 bis 2003 die Festsetzungsverjährung erst mit Ablauf des 31. Dezember 2011 ein, so dass der angefochtene Änderungsbescheid für 2004 vom 14. September 2009 in noch nicht festsetzungsverjährter Zeit ergangen ist. Damit kommt es auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO im Streitfall nicht an.
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2. Die Änderung der Steuerfestsetzungen 2000 bis 2003 verstößt nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
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a) Da bereits die Änderungsmöglichkeit des § 174 Abs. 4 AO ihre Grundlage in dem Grundsatz von Treu und Glauben hat, darf sich das FA als derjenige, der daraus Vorteile zieht, nicht selbst treuwidrig verhalten.
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Die Anwendung des § 174 Abs. 4 AO kann damit beispielsweise ausgeschlossen sein, wenn die Möglichkeit bestünde, dass die Finanzbehörde ihr Änderungsrecht auf Grund eines entsprechenden vertrauensbegründenden Vorverhaltens verwirkt hat (noch offengelassen im BFH-Beschluss vom 10. Juli 2003 I B 150/02, BFH/NV 2003, 1535, unter II.1.). Eine weitere Konstellation für eine treuwidrige Änderung gemäß § 174 Abs. 4 AO kann darin zu sehen sein, dass sich die Finanzverwaltung absichtlich eine ansonsten nicht gegebene Voraussetzung einer Änderungsmöglichkeit gemäß § 174 Abs. 4 AO verschafft (so auch die Beispiele bei Frotscher in Schwarz, AO, § 174 Rz 171, und von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO § 174 Rz 97). Allein die abstrakte Besorgnis, die Zulässigkeit der Änderung gemäß § 174 Abs. 4 AO könne die Finanzverwaltung zum Missbrauch einladen, reicht indes nicht aus, um die Änderungsmöglichkeit allgemein einzuschränken, da dies den Kern des § 174 Abs. 4 AO berührte (ebenso zur im Grundsatz vergleichbaren Zulässigkeit der Fehlersaldierung gemäß § 177 AO, Senatsurteil vom 22. April 2015 X R 24/13, BFH/NV 2015, 1334, Rz 33). Es bedarf vielmehr konkreter Indizien, die auf ein treuwidriges Verhalten hindeuten.
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b) Diese sind im Streitfall nicht zu erkennen.
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Das FA hätte am 8. Februar 2007, d.h. zu dem Zeitpunkt, in dem feststand, dass die im Jahr 2005 erstattete Kirchensteuer die in diesem Jahr gezahlte Kirchensteuer überstieg, die Steuerfestsetzungen der Jahre 2000 bis 2003 bereits ändern können und müssen (s. dazu auch oben unter II.1.d bb). Es hat durch das von ihm gewählte Verfahren keine ihm ansonsten nicht oder nicht mehr zustehende Änderungsmöglichkeit erhalten. Das FA hat vielmehr die ihm aufgrund des erfolgreichen Rechtsstreits der Klägerin eingeräumte Änderungsmöglichkeit des § 174 Abs. 4 AO genutzt, um die materiell rechtmäßige Rechtslage herzustellen.
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c) Ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben ist --im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin und des FG-- auch nicht dem konkreten Verfahrensablauf zu entnehmen.
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aa) Das FA wusste zwar seit der Einkommensteuerveranlagung 2005 vom 8. Februar 2007, dass ein Kirchensteuererstattungsüberhang gegeben war und somit die Einkommensteuerfestsetzungen früherer Veranlagungszeiträume zu ändern waren. Die gesetzliche Festsetzungsverjährung für die davon betroffenen Veranlagungen trat aber erst zum 31. Dezember 2011 ein.
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Dass das FA erst zwei Jahre nach Kenntnis, aber immer noch innerhalb der Festsetzungsfrist, die ersten --wenn auch nur teilweise richtigen-- Schlussfolgerungen aus dem Erstattungsüberhang gezogen und die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2004 und 2003 geändert hat, führt noch zu keinem Verstoß gegen Treu und Glauben. Dasselbe gilt für die Änderung der Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2003 am 5. April 2012: Auch hier wurde das FA fristgerecht noch innerhalb der Einjahresfrist des § 174 Abs. 4 Satz 3 AO tätig, da das finanzgerichtliche Urteil, das den Einkommensteuerbescheid 2004 änderte, im Oktober 2011 rechtskräftig wurde.
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In einer solchen Konstellation, in der --soweit erkennbar-- keine Anhaltspunkte für einen besonderen Vertrauenstatbestand dergestalt gegeben sind, dass das FA nicht tätig werden würde, ist es nicht möglich, die gesetzlichen Verjährungsregelungen außer Acht zu lassen, um der Rechtssicherheit zugunsten des Steuerpflichtigen Vorrang einzuräumen.
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bb) Dieser Vorrang kann sich auch nicht in den Fällen ergeben, in denen ein Einkommensteuerbescheid mehrfach geändert werden muss, um die materiell richtige Besteuerung zu gewährleisten. Daher kann dem Vorbringen der Klägerin auch darin nicht gefolgt werden, dass zumindest der Einkommensteuerbescheid 2003 nicht mehr zu ändern sei, weil dieser wegen des Kirchensteuerüberhangs 2005 bereits einmal geändert worden sei. Die in § 174 Abs. 4 AO getroffene Regelung beinhaltet eine eigenständige Änderungsmöglichkeit für den Fall, dass der Steuerpflichtige erfolgreich gegen einen anderen Bescheid vorgegangen ist.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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