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BFH 23.08.2016 - V R 50/11
BFH 23.08.2016 - V R 50/11 - (Kindergeld: Persönliche Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten - Begriff des "Haushalts" - Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 23.08.2016 V R 19/15)
Normen
§ 62 Abs 1 Nr 1 EStG 2009, § 64 Abs 2 S 1 EStG 2009, Art 67 S 1 EGV 883/2004, Art 60 Abs 1 S 2 EGV 987/2009, Art 1 Buchst i Nr 1 EGV 883/2004, EStG VZ 2010
Vorinstanz
vorgehend FG München, 21. November 2011, Az: 5 K 2527/10, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO Nr. 987/2009 führt dazu, dass der Anspruch auf Kindergeld nicht dem in Deutschland, sondern dem im EU-Ausland lebenden Elternteil zusteht, wenn dieser das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (Anschluss an BFH-Urteil vom 4. Februar 2016 III R 17/13, BFHE 253, 134, BStBl II 2016, 612) .
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2. NV: Einen Haushalt besitzt jemand dort, wo er allein oder mit anderen eine Wohnung innehat, in der hauswirtschaftliches Leben herrscht, an dem er sich persönlich oder finanziell beteiligt (Bestätigung der Rechtsprechung) .
Tenor
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 21. November 2011 5 K 2527/10 aufgehoben.
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Die Klage wird abgewiesen.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist italienischer Staatsbürger. Er lebt in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) und ist als Gewerbetreibender selbständig. Er ist Vater der Kinder V, geboren 1995, und F, geboren 1999, die im Streitzeitraum in Italien im Haushalt der vom Kläger geschiedenen Kindsmutter lebten. Die Kindsmutter ist italienische Staatsangehörige. Sie war in Italien jedenfalls bis April 2010 erwerbstätig und bezog bis 2009 Familienleistungen nach italienischem Recht.
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Die Rechtsvorgängerin der Beklagten und Revisionsklägerin (die Familienkasse) lehnte einen Antrag des Klägers auf Kindergeld für seine beiden Kinder ab Mai 2010 ab, da die Kindsmutter vorrangig kindergeldberechtigt sei. Den dagegen eingelegten Einspruch wies sie im Juli 2010 zurück. Die daraufhin erhobene Klage hatte im Wesentlichen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verpflichtete die Familienkasse mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 627 abgedruckten Urteil, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des FG zu bescheiden und wies die Klage im Übrigen ab. Dagegen wendet sich die Familienkasse mit der Revision.
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Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 23. September 2014 bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache Trapkowski C-378/14 ausgesetzt. Nach Veröffentlichung des EuGH-Urteils Trapkowski vom 22. Oktober 2015 C-378/14 (EU:C:2015:720, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2015, 1501) hat der Senat das Verfahren wieder aufgenommen und den Beteiligten Gelegenheit gegeben, sich zu dem EuGH-Urteil zu äußern. Die Familienkasse ist der Auffassung, der EuGH habe ihren Rechtsstandpunkt bestätigt.
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Die Familienkasse beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
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Der Kläger ist der Auffassung, auch unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils stehe der Kindsmutter kein Kindergeld zu. Aufgrund der Scheidung sei sie aus Sicht des Klägers keine Familienangehörige und könne daher auch nicht kindergeldberechtigt sein. Zudem seien die Kinder des Klägers nicht in einen Haushalt der Kindsmutter aufgenommen. Da die Kindsmutter über kein eigenes Erwerbseinkommen verfüge, könne sie keinen Haushalt innehaben.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des FG-Urteils und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG-Urteil verletzt § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG). Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung des Kindergeldes.
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1. Die Familienkasse X der Bundesagentur für Arbeit ist aufgrund eines Organisationsakts (Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff., Nr. 2.2 der Anlage 2) im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung der Agentur für Arbeit Y - Familienkasse eingetreten (s. dazu Senatsurteil vom 19. September 2013 V R 25/12, BFH/NV 2014, 322, unter II.1.).
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2. Der Kläger ist zwar kindergeldberechtigt, weil er in Deutschland lebt und Vater zweier Kinder ist, die ihren Wohnsitz in Italien haben (§ 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 EStG) und für die ein Anspruch auf Kindergeld besteht (§ 32 Abs. 3 EStG).
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Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf Zahlung des Kindergeldes; denn mit Blick auf das Unionsrecht ist nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG die Kindsmutter vorrangig anspruchsberechtigt.
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a) Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat.
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b) Eine Person hat nach Art. 67 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 883/2004) --wie hier der Kläger nach Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 883/2004-- Anspruch auf Familienleistungen (wie hier Kindergeld nach Art. 1 Buchst. z, Art. 3 Abs. 1 Buchst. j VO Nr. 883/2004) nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats (hier: Deutschland gemäß Art. 11 Abs. 3 Buchst. a VO Nr. 883/2004) auch für Familienangehörige, die zwar in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, die aber so behandelt werden, als wohnten sie im zuständigen Mitgliedstaat. Denn bei der Anwendung von Art. 67 und 68 VO Nr. 883/2004 ist nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle Beteiligten --insbesondere was das Recht zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt-- unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats (hier: Deutschland) fallen und dort wohnen (dazu eingehend EuGH-Urteil Trapkowski, EU:C:2015:720, DStRE 2015, 1501).
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Diese Fiktion führt dazu, dass der Anspruch auf Kindergeld nicht dem in Deutschland, sondern dem im EU-Ausland lebenden Elternteil zusteht, wenn dieser das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (vgl. dazu im Einzelnen Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. Februar 2016 III R 17/13, BFHE 253, 134, BStBl II 2016, 612).
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c) So verhält es sich im Streitfall: V und F leben im Haushalt der ebenfalls kindergeldberechtigten Kindsmutter, so dass der Kläger gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG keinen Anspruch auf Auszahlung des Kindergeldes hat. Die dagegen vorgebrachten Einwendungen des Klägers greifen nicht durch.
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aa) Die Kindsmutter ist ungeachtet der Ehescheidung Familienangehörige i.S. des Art. 1 Buchst. i Nr. 1 VO Nr. 883/2004 und damit beteiligte Person i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO Nr. 987/2009. Dazu gehören neben den Eltern und dem Kind alle Personen, die nach nationalem Recht anspruchsberechtigt sind (EuGH-Urteil Trapkowski, EU:C:2015:720, DStRE 2015, 1501; BFH-Urteil in BFHE 253, 134, BStBl II 2016, 612, Rz 18), also hinsichtlich des Kindergelds auch der jeweils andere Elternteil, unabhängig davon, ob er mit dem im Inland lebenden Elternteil verheiratet ist oder war (BFH-Urteil vom 28. April 2016 III R 68/13, BFHE 254, 20, BStBl II 2016, 776).
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bb) Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es für die Haushaltsaufnahme nicht darauf an, ob die Kindsmutter ein eigenes Erwerbseinkommen erzielt. Einen Haushalt besitzt jemand dort, wo er allein oder mit anderen eine Wohnung innehat, in der hauswirtschaftliches Leben herrscht, an dem er sich persönlich oder finanziell beteiligt (BFH-Urteile vom 13. Dezember 1985 VI R 203/84, BFHE 145, 551, BStBl II 1986, 344, unter 1.a.; vom 22. Dezember 2011 III R 70/09, BFH/NV 2012, 1446, Rz 13; BFH-Beschluss vom 28. Februar 2012 III B 54/10, BFH/NV 2012, 1151, Rz 13). Woher er die finanziellen Mittel bezieht, ist unerheblich.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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