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BFH 18.07.2013 - II R 46/11
BFH 18.07.2013 - II R 46/11 - (Voraussetzungen für die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a Satz 3 AO)
Normen
§ 169 Abs 1 S 1 AO, § 169 Abs 2 S 1 Nr 2 AO, § 170 Abs 1 AO, § 171 Abs 3a AO
Vorinstanz
vorgehend FG Nürnberg, 19. Mai 2011, Az: 4 K 632/10, Urteil
Leitsatz
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1. § 171 Abs. 3a Satz 3 AO erweitert die Ablaufhemmung des Rechtsbehelfsverfahrens, sofern das Gericht keine abschließende Sachentscheidung trifft und ein weiteres Tätigwerden der Finanzbehörde zur Umsetzung der gerichtlichen Entscheidung erforderlich ist .
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2. Das Gericht trifft keine abschließende Sachentscheidung, wenn es den angefochtenen Bescheid aus Gründen aufhebt, die dem Bescheid selbst anhaften und die nicht den der Steuerfestsetzung zugrunde liegenden Steueranspruch betreffen .
Tatbestand
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I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind die Erben ihrer 2002 verstorbenen Mutter. Der 1984 verstorbene Vater hatte seine Kinder als Erben eingesetzt und seine Ehefrau mit mehreren Vermächtnissen bedacht. In der 1985 abgegebenen gemeinsamen Erbschaftsteuererklärung wurde der Erwerb der Mutter mit 213.075 DM angegeben. Außerdem wurde auf eine für steuerfrei gehaltene Witwenrente hingewiesen.
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Mit Bescheid vom 23. November 1988 setzte das seinerzeit zuständige Finanzamt gegen die Mutter Erbschaftsteuer in Höhe von 629.496 DM fest. Bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs erfasste es nicht nur die erklärten Vermächtnisse und die Witwenrente, sondern weitere Renten- und Versorgungsansprüche. Der Bescheid erging in vollem Umfang vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).
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Gegen den Bescheid legte die Mutter Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens erging am 9. Dezember 1999 durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (das nunmehr zuständige Finanzamt --FA--) ein für endgültig erklärter Änderungsbescheid. Darin setzte das FA die Erbschaftsteuer u.a. unter Berücksichtigung von Vorerwerben auf über 2 Mio. DM herauf. Mit der nach dem Tod der Mutter ergangenen Einspruchsentscheidung vom 15. November 2002 setzte das FA die Steuer auf ca. 1.850.000 DM herab.
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Die dagegen eingelegte Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) setzte die Steuer wegen seiner Ansicht nach zum Teil eingetretener Festsetzungsverjährung auf rund 1 Mio. DM herab. Mit ihrer Revision gegen diese Entscheidung rügten die Kläger u.a. die fehlerhafte Anwendung der §§ 165 Abs. 2 und 171 Abs. 8 AO und beantragten die vollständige Aufhebung des angefochtenen Bescheids. Im Anschluss an einen Gerichtsbescheid des Bundesfinanzhofs (BFH) erließ das FA am 10. November 2009 einen auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO gestützten Änderungsbescheid, in dem es die Steuer auf den ursprünglichen Betrag in Höhe von 321.846 € (629.476,06 DM) festsetzte.
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Der BFH gab der Revision mit Urteil vom 9. Dezember 2009 II R 39/07 (BFH/NV 2010, 821) vollumfänglich statt und hob die Vorentscheidung, den während des Einspruchsverfahrens ergangenen Änderungsbescheid, die Einspruchsentscheidung, den im Revisionsverfahren ergangenen Änderungsbescheid und den ursprünglichen Bescheid auf. Nach den Urteilsgründen waren die Voraussetzungen für den während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheid nicht erfüllt, weil das FA dem Antrag der Kläger auf vollständige Herabsetzung der Steuerschuld nicht entsprochen habe. Der Änderungsbescheid vom 9. Dezember 1999 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung hätten wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr ergehen dürfen. Der Vorläufigkeitsvermerk, mit dem der ursprüngliche Bescheid vom 23. November 1988 versehen worden sei, sei rechtswidrig gewesen. Eine Vorläufigkeit zur Gänze sehe § 165 Abs. 1 AO nicht vor. Diese Rechtswidrigkeit habe auch auf diesen erstmaligen Bescheid ausgestrahlt, so dass dieser ebenfalls aufzuheben sei.
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Das FA erließ am 8. April 2010 unter Verweis auf § 171 Abs. 14 AO gegen die Kläger einen Erbschaftsteuerbescheid wegen des Erwerbs der Mutter nach dem 1984 verstorbenen Vater und setzte die Erbschaftsteuer erneut auf 321.846 € (629.476,06 DM) fest. Intern buchte das FA den Erstattungsanspruch der Kläger wegen der von der Mutter bereits entrichteten Erbschaftsteuer auf die neue Steuerschuld um. Die dagegen erhobene Sprungklage hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des FG war das FA nicht wegen Ablaufs der Festsetzungsverjährung am Erlass des angefochtenen Bescheids gehindert. Es greife sowohl die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 14 AO als auch die des § 171 Abs. 3a AO. Das Urteil des FG ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1951.
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Dagegen richtet sich die vorliegende Revision. Die Kläger rügen die fehlerhafte Anwendung des § 171 Abs. 3, Abs. 3a und Abs. 14 AO. Das FG verkenne die Rechtswirkungen des BFH-Urteils in BFH/NV 2010, 821. In dieser Entscheidung sei abschließend über den Ablauf der Festsetzungsfrist entschieden worden. Im Übrigen sei Ablaufhemmung weder nach § 171 Abs. 3a AO noch nach § 171 Abs. 3 AO in der bis 29. Dezember 1999 geltenden Fassung (a.F.) noch nach § 171 Abs. 14 AO eingetreten. Die Abs. 3 a.F. bzw. 3a des § 171 AO seien schon deshalb nicht einschlägig, weil sich an das gerichtliche Verfahren kein weiteres behördliches Verfahren angeschlossen habe. § 171 Abs. 14 AO greife nicht, weil der Steuererstattungsanspruch erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist entstanden sei. Die Vorschrift sei auf Erstattungsansprüche nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO aufgrund rechtsgrundloser Zahlung beschränkt und auf die Fälle des § 37 Abs. 2 Satz 2 AO, in denen der Grund für die Zahlung später wegfalle, nicht anwendbar.
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Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung sowie den Erbschaftsteuerbescheid vom 8. April 2010 aufzuheben.
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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zutreffend hat das FG entschieden, dass das FA nicht wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist gehindert war, den angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid zu erlassen. Dabei kann dahinstehen, ob der Ablauf der Festsetzungsverjährung --wie vom FG und vom FA angenommen-- nach § 171 Abs. 14 AO gehemmt war. Jedenfalls war er --wie vom FG alternativ angenommen-- nach § 171 Abs. 3a FGO gehemmt.
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1. Die Festsetzungsfrist für den Erlass des angefochtenen Steuerbescheids vom 8. April 2010 war im Zeitpunkt seines Erlasses nicht abgelaufen.
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a) Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Sie beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO), in Fällen, in denen eine Steuererklärung einzureichen ist, jedoch erst mit Ablauf des Jahres, in dem die Steuererklärung tatsächlich abgegeben wird (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO).
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b) Wird ein Steuerbescheid mit dem Einspruch oder einer Klage angefochten, läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor über den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden ist (§ 171 Abs. 3a Satz 1 AO). Im Klageverfahren liegt eine unanfechtbare Entscheidung vor, wenn das Urteil des FG formell rechtskräftig geworden oder eine abschließende Entscheidung des BFH im Revisionsverfahren ergangen ist (BFH-Urteil vom 15. Dezember 1999 XI R 75/97, BFH/NV 2000, 1067).
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c) Nach § 171 Abs. 3a Satz 3 AO (§ 171 Abs. 3 Satz 3 AO a.F. ist in den Fällen des § 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 und § 101 FGO über den Rechtsbehelf erst dann unanfechtbar entschieden, wenn ein aufgrund der genannten Vorschriften erlassener Steuerbescheid unanfechtbar geworden ist. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Ablauf der Festsetzungs-frist gehemmt. Die Vorschrift ergänzt die Ablaufhemmung während des laufenden Rechtsbehelfsverfahrens für den Fall, dass das Gericht keine abschließende Sachentscheidung trifft, sondern ein weiteres Tätigwerden der Finanzbehörde zur Umsetzung der gerichtlichen Entscheidung erforderlich ist (Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO, § 171 AO Rz 68). § 171 Abs. 3a Satz 3 AO soll es der Finanzbehörde ermöglichen, die noch ausstehende Entscheidung in der Sache im Anschluss an die gerichtliche Entscheidung nachzuholen (Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 171 AO Rz 29a). Da die Regelung des § 171 Abs. 3a Satz 3 AO der des § 171 Abs. 3 Satz 3 AO a.F. entspricht, ändert sich dadurch die Verfahrenslage zuungunsten des Steuerpflichtigen nicht.
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d) Hebt das Gericht den im Rechtsbehelfsverfahren angefochtenen Bescheid gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO ersatzlos auf (sog. echte Kassation), wird die Sache in den ungeregelten Zustand vor Erlass des Bescheids zurückversetzt und bedarf einer weiteren Maßnahme der Finanzbehörde (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 100 Rz 17). Die Finanzbehörde muss entscheiden, ob es bei der durch die Aufhebung geschaffenen --ungeregelten-- Rechtslage verbleibt oder ob sie --in den Fällen der gebundenen Verwaltung-- erneut tätig werden muss (Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 100 FGO Rz 13). Hat dagegen die Aufhebung des Bescheids durch das Gericht selbst regelnden Charakter (sog. unechte Kassation), ist ein weiteres Tätigwerden der Finanzbehörde nicht erforderlich (Gräber/von Groll, a.a.O., § 100 Rz 17; Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 100 Rz 14). Ob eine echte oder eine unechte Kassation vorliegt, ist anhand der Rechtskraftwirkung des Urteils festzustellen. Die verlängerte Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3a Satz 3 AO gilt nach ihrem Zweck nur bei der echten Kassation, weil in diesem Fall das Verwaltungsverfahren nicht abgeschlossen und ein weiteres Tätigwerden der Finanzbehörde erforderlich ist.
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2. Ausgehend von diesen Grundsätzen war im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids am 8. April 2010 die Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten.
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a) Die Festsetzungsfrist begann gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 1985, denn die Erbschaftsteuererklärung für den Erbfall des Jahres 1984 wurde im Laufe des Jahres 1985 abgegeben. Der Ablauf der Festsetzungsfrist wurde gemäß § 171 Abs. 3 AO a.F. zunächst durch den 1988 eingelegten Einspruch, anschließend durch das Klageverfahren gehemmt.
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b) Nach Satz 3 des § 171 Abs. 3a AO, der von seinem Wortlaut und Regelungsgehalt dem § 171 Abs. 3 Satz 3 AO a.F. entspricht, war der Ablauf der Festsetzungsfrist über die Rechtskraft des Urteils des BFH in BFH/NV 2010, 821 hinaus bis zum Erlass des angefochtenen Bescheids vom 8. April 2010 gehemmt.
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Die Rechtskraftwirkung des BFH-Urteils in BFH/NV 2010, 821 steht dem nicht entgegen. Der BFH hat in diesem Urteil den Ursprungsbescheid vom 23. November 1988 unter Hinweis auf den zu weit gefassten Vorläufigkeitsvermerk aufgehoben. Den während des Revisionsverfahrens ergangenen Bescheid vom 10. November 2009 hat er aufgehoben, weil die Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO, auf den dieser Änderungsbescheid gestützt war, nicht gegeben waren. Beide Bescheide hat der BFH aus Gründen aufgehoben, die den Bescheiden selbst anhafteten und nicht den Steueranspruch betrafen.
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Die Aufhebung des während des Einspruchsverfahrens ergangenen Änderungsbescheids vom 9. Dezember 1999 und die Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 15. November 2002 wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung berühren den Steueranspruch in seiner ursprünglich festgesetzten Höhe nicht. Zwar erlischt der Steueranspruch mit Eintritt der Festsetzungsverjährung (§ 47 AO). Für Steuern, bezüglich derer die Festsetzungsfrist bei Inkrafttreten des § 171 Abs. 3a AO bereits abgelaufen war, gilt § 171 Abs. 3 AO a.F. fort. Danach war eine Erhöhung der festgesetzten Steuer im Einspruchsverfahren nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr zulässig (BFH-Urteil vom 8. Juli 1998 I R 112/97, BFHE 186, 496, BStBl II 1999, 123, 127, m.w.N.). Der Steueranspruch in der durch den Bescheid vom 8. April 2010 festgesetzten Höhe war davon jedoch nicht betroffen. Der Bescheid setzt die Steuer auf genau den Betrag fest, der schon im ursprünglichen Steuerbescheid und damit innerhalb der Festsetzungsfrist festgesetzt worden war. Die Aufhebung des Änderungsbescheids vom 9. Dezember 1999 und der Einspruchsentscheidung vom 15. November 2002 betrifft nur den darüber hinausgehenden Steueranspruch. Den nach der Aufhebung dieser Bescheide auflebenden Ursprungsbescheid hat der BFH im Urteil in BFH/NV 2010, 821 nicht wegen Festsetzungsverjährung, sondern aus formellen Gründen aufgehoben.
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3. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Steueranspruchs haben die Kläger weder im Verfahren vor dem FG noch im Revisionsverfahren erhoben.
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