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BFH 23.02.2012 - VI B 118/11
BFH 23.02.2012 - VI B 118/11 - Keine Anlaufhemmung bei Antragsveranlagung; grundsätzliche Bedeutung; Divergenz
Normen
§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 170 Abs 2 S 1 Nr 1 AO, Art 3 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend FG Köln, 12. Oktober 2011, Az: 10 K 1349/10, Urteil
nachgehend BVerfG, 18. September 2013, Az: 1 BvR 924/12, Nichtannahmebeschluss
Leitsatz
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NV: Durch die Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass der Anlauf der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO grundsätzlich nicht gehemmt ist, wenn keine Steuererklärung einzureichen ist (BFH, Urteil vom 14. April 2011 VI R 53/10, BFHE 233, 311, BStBl II 2011, 746).
Tatbestand
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I. Die nichtselbständig tätige Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) reichte am 11. Dezember 2009 beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--), für die Jahre 2001 bis 2007 Einkommensteuererklärungen ein. Das FA lehnte es daraufhin allerdings ab, die Klägerin für die Streitjahre 2003 und 2004 zu veranlagen, weil die Antragsfrist abgelaufen war.
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Das Finanzgericht (FG) wies nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage ab. Eine Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) komme in den Fällen des § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 2008 nicht in Betracht. Unter Hinweis auf die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. November 2009 VI R 1/09 (BFHE 227, 97, BStBl II 2010, 406) sowie vom 14. April 2011 VI R 53/10 (BFHE 233, 311, BStBl II 2011, 746) führte es aus, dass im Falle einer Antragsveranlagung ohne Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht zur Anwendung komme. Die Revision wurde unter Hinweis auf die entschiedenen Rechtsfragen durch das Urteil des BFH in BFHE 233, 311, BStBl II 2011, 746 nicht zugelassen.
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Die Klägerin wendet sich gegen die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde. Mit ihr macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie die Notwendigkeit der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) geltend. Als grundsätzlich bedeutsam sieht die Klägerin insbesondere die Frage, ob der Anwendungsvorbehalt des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO verfassungskonform dahingehend auszulegen ist, dass die dreijährige Anlaufhemmung auch für die Fälle gilt, in denen lediglich ein Recht zur Abgabe einer Steuererklärung besteht.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und der Notwendigkeit der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) liegen nicht vor.
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1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sein (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 27. Mai 2009 VI B 123/08, BFH/NV 2009, 1434, m.w.N.). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage bereits durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 28, m.w.N.).
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Von einer solchen hinreichenden Klärung ist im Streitfall auszugehen. Denn mit der vom FG in Bezug genommenen Rechtsprechung des BFH (Urteil in BFHE 233, 311, BStBl II 2011, 746) ist die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage geklärt. Danach ist der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht gehemmt, weil keine Steuererklärung einzureichen ist. In gleicher Weise hat der Senat in dem von der Klägerin ebenfalls zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde herangezogenen Revisionsverfahren VI R 17/11 mit Urteil vom 6. Oktober 2011 (juris) entschieden.
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Zutreffend hat das FG entschieden, dass im Falle der Klägerin keine Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen bestand. Gegenteiliges ist nicht festgestellt. Der Einwand der Klägerin, dass sie eine Einkommensteuererstattung nur erhalten könne, wenn sie eine Steuererklärung abgebe, und sie daher zur Abgabe einer solchen "verpflichtet" sei, ist ersichtlich kein Anwendungsfall des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO. Wenn mithin, wie im Falle der Klägerin, keine Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen besteht, kommt im dann gegebenen Fall der Antragsveranlagung § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht zur Anwendung. Dieser in der Kommentarliteratur ganz überwiegend vertretenen Auffassung (Schmidt/Kulosa, EStG, 30. Aufl., § 46 Rz 34; Tillmann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 46 EStG Rz 67; Paetsch in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 46 Rz 65 ff.; Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 170 AO Rz 24) hat sich der Senat in der vorgenannten Entscheidung in BFHE 233, 311, BStBl II 2011, 746 angeschlossen.
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Dabei hat der Senat auch zu den gleichheitsrechtlichen Bedenken, welche die Klägerin mit der Klage und der Beschwerdebegründung geltend macht, Stellung genommen und im Ergebnis diese Bedenken nicht geteilt. Denn Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verlange lediglich die Gleichbehandlung nämlicher Sachverhalte. Zwischen Pflicht- und Antragsveranlagung bestünden jedoch Sachunterschiede, die eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf eine Anlaufhemmung rechtfertigten. So solle die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nach der Rechtsprechung des BFH verhindern, dass durch eine späte Einreichung der Steuererklärung die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit verkürzt werde.
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2. Die Zulassung der Revision kann auch nicht auf die Erforderlichkeit der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO gestützt werden. Denn danach ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert. In diesem Sinne ist eine Entscheidung des BFH u.a. dann erforderlich, wenn im Falle der so genannten Divergenz das FG seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zu Grunde gelegt hat, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 6. November 2007 VI B 70/07, BFH/NV 2008, 216; vom 12. Oktober 2006 VI B 154/05, BFH/NV 2007, 51; Gräber/ Ruban, a.a.O., § 115 Rz 53; jeweils m.w.N.).
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Wenn sich die Klägerin insoweit zur Begründung der vermeintlichen Divergenz auf das Urteil des FG Münster vom 28. Februar 2011 11 K 3311/10 E (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1321) bezieht, liegt keine Divergenz vor. Denn über die dazu anhängige Revision VI R 17/11 hat der Senat mit Urteil vom 6. Oktober 2011 (juris) unter Bezugnahme auf die amtlich veröffentlichte Senatsentscheidung in BFHE 233, 311, BStBl II 2011, 746 dahingehend entschieden, dass eine Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auch in den Fällen des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i.d.F. des JStG 2008 nicht in Betracht kommt und dies auch bei Anwendung der Übergangsregelung des § 52 Abs. 55j Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2008 gilt.
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3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 2. Halbsatz FGO abgesehen.
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