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BFH 20.10.2011 - V B 17/11
BFH 20.10.2011 - V B 17/11 - Bekanntgabe von Steuerbescheiden
Normen
§ 122 Abs 2 Nr 1 AO, § 29 Abs 3 StVollzG
Vorinstanz
vorgehend FG München, 20. Januar 2011, Az: 14 K 1595/10, Urteil
Leitsatz
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NV: § 122 Abs. 2 AO gilt auch für Steuerbescheide, die an den Steuerpflichtigen unter der Anschrift einer Justizvollzugsanstalt mit einfachem Brief zur Post gegeben werden. Im Zweifel hat die Behörde nach § 122 Abs. 2 AO den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs zu beweisen .
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Gesellschafter und ehemaliger Geschäftsführer der G GmbH (GmbH). Mit Bescheid vom 4. Januar 2010 nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Kläger für rückständige Umsatzsteuerschulden der GmbH in Haftung. Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg. Mit am 29. März 2010 abgesandter Einspruchsentscheidung wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.
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Mit seiner am 7. Mai 2010 beim Finanzgericht (FG) eingegangenen Klage verfolgte der Kläger sein Anliegen weiter. Im Klageverfahren behauptete er, die Einspruchsentscheidung sei ihm wegen der Osterfeiertage erst am 7. April 2010 zugegangen.
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Das FG verwarf die Klage wegen Versäumnis der Klagefrist von einem Monat als unzulässig. Der Kläger könne sich nicht auf einen späteren Beginn der Klagefrist berufen, da er die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) nicht widerlegt habe. Der Kläger habe keine Tatsachen vorgetragen, die schlüssig auf einen späteren Zugang hindeuteten. Der Kläger könne nicht mit Erfolg geltend machen, dass er die Einspruchsentscheidung aufgrund der Karwoche erst nach Ende der Osterfeiertage erhalten habe. Denn der dritte Tag nach Aufgabe zur Post habe noch vor den Feiertagen (Gründonnerstag) gelegen, sodass die Osterfeiertage selbst nicht Ursache für eine Verzögerung der Zustellung gewesen sein könnten.
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Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend. Das FG habe übersehen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Zustellung der Einspruchsentscheidung eine Haftstrafe habe ableisten müssen und die Einspruchsentscheidung daher an die Adresse der Justizvollzugsanstalt adressiert gewesen sei. Das FG hätte die ihm bekannte Tatsache der Inhaftierung des Klägers bei der Würdigung des Sachvortrags des Klägers und bei der Prüfung des § 122 Abs. 2 AO berücksichtigen müssen.
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Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, ob die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde den Anforderungen an die Darlegung eines Zulassungsgrundes gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt. Denn die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.
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1. Die vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) liegt nicht vor.
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a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und im künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig ist (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 2005 II B 37/04, BFH/NV 2005, 1116). Daran fehlt es hier. Die vom Kläger sinngemäß aufgeworfene Frage, ob bzw. unter welchen Bedingungen die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO im Falle eines Straftäters, der im Zeitpunkt des Zugangs eine Haftstrafe verbüßt, Anwendung findet, ist nicht klärungsbedürftig.
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b) An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die in Rede stehende Rechtsfrage bereits durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, welche eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erfordern (BFH-Beschluss vom 13. Juni 2007 X B 34/06, BFH/NV 2007, 1703).
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Der Senat hat bereits mit Urteil vom 7. November 1985 V R 3/83 (BFH/NV 1987, 274) entschieden, dass Steuerbescheide, die an den Steuerpflichtigen unter der Anschrift einer Justizvollzugsanstalt mit einfachem Brief zur Post gegeben werden, gemäß § 122 Abs. 2 AO mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gelten, außer wenn sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen sind. Im Zweifel hat die Behörde nach § 122 Abs. 2 AO den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs zu beweisen. Dabei reicht bereits der Vortrag eines Klägers, aufgrund seiner Inhaftierung habe er die Bescheide "auf Umwegen" und mit erheblicher Verspätung erhalten, aus, um Zweifel an dem vom Gesetz unterstellten Zugang am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post zu begründen. Denn infolge der nach § 29 Abs. 3 des Strafvollzugsgesetzes zulässigen Überwachung des Schriftwechsels können sich in Haftanstalten Verzögerungen bei der Verteilung von Häftlingspost ergeben.
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Mit dieser Entscheidung des Senats setzt sich der Kläger nicht auseinander. Neue Gesichtspunkte, die eine erneute Prüfung und Entscheidung des BFH erfordern, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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2. Das FG hat bei seiner Entscheidung durch Prozessurteil auch nicht verfahrensfehlerhaft gehandelt.
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a) Zwar stellt es nach ständiger Rechtsprechung des BFH einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 25. März 2011 II B 141/10, BFH/NV 2011, 1006; vom 3. November 2010 II B 55/10, BFH/NV 2011, 295; vom 25. August 2010 X S 20/10 (PKH), BFH/NV 2011, 49). Ein solcher Verfahrensmangel ist im Streitfall jedoch nicht festzustellen, da die Entscheidung des FG, die Klage wegen Versäumung der einmonatigen Klagefrist nach § 47 Abs. 1 FGO als unzulässig abzuweisen, nicht zu beanstanden ist.
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b) Gemäß § 47 Abs. 1 FGO ist eine Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung einzulegen. Diese gilt nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO mit dem dritten Tage nach ihrer Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Bestreitet der Steuerpflichtige nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern den Erhalt innerhalb des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel an der Dreitagesvermutung zu begründen. Er muss Tatsachen vortragen, die den Schluss darauf zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische --Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post-- ernstlich in Betracht zu ziehen ist. An diese Substantiierung sind aber keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, damit die Regelung über die objektive Beweislast, die nach dem Gesetz die Finanzverwaltungsbehörde trifft, nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen umgekehrt wird (BFH-Beschluss vom 20. April 2011 III B 124/10, BFH/NV 2011, 1110; BFH-Urteil vom 3. Mai 2001 III R 56/98, BFH/NV 2001, 1365).
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Das FG ist von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Wenn es danach der Behauptung des Klägers über den verspäteten Zugang der Einspruchsentscheidung nicht folgte und keinen Zweifel am Zugang innerhalb der Dreitagesfrist hatte, so war dies nicht verfahrensfehlerhaft. Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, wenn es den Verweis des Klägers, er habe die Sendung "wegen der Osterfeiertage erst am 7. April 2010 erhalten", nicht als ausreichend angesehen hat. Dieser pauschale, nicht weiter substantiierte Vortrag war nicht geeignet, um Zweifel an der Dreitagesvermutung zu begründen.
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c) Soweit der Kläger erstmals im Beschwerdeverfahren vorträgt, er habe die Einspruchsentscheidung aufgrund von Verzögerungen in der Justizvollzugsanstalt nach Ablauf der Dreitagesfrist erhalten, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das in der Revisionsinstanz gemäß § 118 Abs. 2 FGO grundsätzlich nicht berücksichtigt werden kann und im Streitfall mangels einer begründeten Verfahrensrüge insoweit nicht berücksichtigt werden konnte (vgl. BFH-Beschluss vom 13. Juli 1993 VII B 6/93, BFH/NV 1994, 289; BFH-Urteil vom 5. März 1986 II R 5/84, BFHE 146, 27, BStBl II 1986, 462).
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3. Einer weiteren Begründung bedarf es nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO nicht.
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