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BFH 16.06.2011 - I B 28/11
BFH 16.06.2011 - I B 28/11 - (Aussetzung der Vollziehung bei nicht eindeutiger Rechtslage - Bestimmung des Einspruchsführers bei Rechtsbehelf gegen Feststellungsbescheide nach § 18 AStG)
Normen
§ 69 Abs 3 S 1 FGO, § 69 Abs 2 S 2 FGO, § 18 AStG, § 10 AStG, § 347 AO, §§ 347ff AO, Art 19 Abs 4 GG
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 27. Januar 2011, Az: 2 V 817/10, Beschluss
Tatbestand
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I. Streitig ist im Rahmen eines Verfahrens auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) die Rechtmäßigkeit von Bescheiden über die gesonderte und einheitliche Feststellung nach § 18 des Gesetzes über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (AStG) für die Jahre 1994 und 1995 (Streitjahre) über die Hinzurechnung nach § 10 AStG für die Beteiligten einer schweizerischen Aktiengesellschaft.
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Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) war --neben seinem Vater und seinem Bruder (ebenfalls in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Personen)-- in den Streitjahren Aktionär der schweizerischen X-AG (vormals Y AG) --X-AG--. Unternehmenszweck der X-AG war der Erwerb, die Verwaltung und Veräußerung von Beteiligungen; sie fungierte als Holdinggesellschaft und war in 1993 an acht Kapitalgesellschaften beteiligt (bis 1996 erhöhte sich die Anzahl der Beteiligungen auf zwölf). Die X-AG galt als niedrig besteuert i.S. von § 8 AStG. Der Antragsteller hielt seine Beteiligung im Privatvermögen.
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Nach einer Außenprüfung durch das Finanzamt A ging das Finanzamt B davon aus, dass die X-AG in den für die Streitjahre maßgebenden Zeiträumen vermögensverwaltend tätig war und deshalb eine im Wirtschaftsjahr 1993 bei der Einkünfteermittlung angesetzte Teilwertabschreibung auf Beteiligungen in Höhe von 8.726.201 SFR (10.265.503 DM) nicht anzuerkennen sei. Im Wirtschaftsjahr 1994 seien die Beteiligungseinkünfte der X-AG an einer GmbH als passive Einkünfte zu berücksichtigen; außerdem sei eine Abschreibung der X-AG auf sonstige Finanzanlagen in Höhe von 628.256 SFR (724.599 DM) zu versagen. Das Finanzamt B erließ daraufhin unter dem 14. Dezember 2000 die streitbefangenen Feststellungsbescheide; Inhaltsadressaten waren die drei Aktionäre.
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Mit Schreiben vom 21. Dezember 2000 legte die Steuerkanzlei Z u.a. gegen diese Feststellungsbescheide Einspruch ein ("gegen die Feststellungsbescheide ... legen wir Einspruch ein") verbunden mit einem Antrag auf AdV. In der Betreffzeile des Einspruchsschreibens führte die Steuerkanzlei den damaligen Namen der X-AG und deren Anschrift (in der Schweiz) auf. Mit Verfügung vom 28. Dezember 2000 erließ das Finanzamt B einen "Verwaltungsakt nach § 361 AO für die ... AG" und setzte 10.261.843 DM für 1994 und 2.563.864 DM für 1995 von der Vollziehung aus.
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In 2004 ging die Zuständigkeit für das Feststellungsverfahren einschließlich des anhängigen Einspruchsverfahrens auf den Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt C --FA--) über. Mit einer am 16. Dezember 2008 beim Prozessbevollmächtigten des Antragstellers eingegangenen Einspruchsentscheidung (ohne Datum) wies das FA einen "Einspruch der ... (AG) vom 21. Dezember 2000" als unbegründet zurück. Zugleich hob es die AdV auf.
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Zur Begründung der hiergegen im Namen der X-AG beim Finanzgericht (FG) des Landes Sachsen-Anhalt erhobenen Klage (Az. 2 K 1817/08) trug diese vor, sie unterhalte einen gewerblichen Betrieb und sei deshalb berechtigt, eine Teilwertabschreibung vorzunehmen. Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2009 wies der Prozessbevollmächtigte der X-AG darauf hin, dass die Einspruchsentscheidung schon deshalb aufzuheben sei, weil die X-AG keinen Einspruch eingelegt habe. Aus dem gesamten Verfahren ergebe sich, dass die Aktionäre Einspruch eingelegt hätten.
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Das FA meinte, die (undatierte) Einspruchsentscheidung, die am 16. Dezember 2008 beim Prozessbevollmächtigten eingegangen sei, sei wegen eines Widerspruchs zwischen Tenor und Gründen auslegungsbedürftig. Die Auslegung ergebe, dass die Feststellungsbeteiligten und damit auch der Antragsteller Inhaltsadressat dieser Entscheidung sei; daher sei die Einspruchsentscheidung ordnungsgemäß bekannt gegeben worden. Eine Aufhebung komme deshalb nicht in Betracht. Im Übrigen sei auch die Klage der X-AG dahin auszulegen, dass diese von den Feststellungsbeteiligten erhoben worden sei. Diese Klage könne in der Sache keinen Erfolg haben. Die X-AG habe den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung nicht überschritten.
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Der Klage hat das FG des Landes Sachsen-Anhalt mit Gerichtsbescheid vom 27. Januar 2011 entsprochen (ob das FA einen rechtswirksamen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hat, ist aus den im Beschwerdeverfahren vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich): Die Feststellungsbeteiligten hätten Einspruch eingelegt, über den das FA noch nicht entschieden habe. Dagegen habe das FA --insoweit unzutreffend-- über einen Einspruch der X-AG entschieden, den jene nicht eingelegt habe. Eine Auslegung, dass sich die Einspruchsentscheidung an die eigentlichen Inhaltsadressaten des Feststellungsbescheides richte, komme nicht in Betracht, weil die Einspruchsentscheidung nicht auslegungsbedürftig gewesen sei. Das FA habe die X-AG sowohl im Tenor als auch in den Gründen der Einspruchsentscheidung durchgängig als Einspruchsführerin bezeichnet. Die X-AG sei durch die Einspruchsentscheidung beschwert.
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Der Antragsteller hat beim FG des Landes Sachsen-Anhalt eine AdV der Feststellungsbescheide beantragt. Zuvor hatte er beim FG Düsseldorf erfolglos um AdV der Einkommensteuerbescheide 1994 und 1995 als Folgebescheide der hier streitigen Feststellungsbescheide nachgesucht. Dazu hatte der Antragsteller ausweislich des dortigen FG-Beschlusses vorgetragen, dass die zunächst durch das FA B gewährte AdV nicht aufgehoben worden sei, weil sich die Einspruchsentscheidung des FA nicht an die Feststellungsbeteiligten, sondern an die X-AG richte. Das FG Düsseldorf hat seine ablehnende Entscheidung (Beschluss vom 18. Mai 2010 14 V 608/10 A(E)) damit begründet, dass die Einspruchsentscheidung/Aufhebung der AdV durch das FA als an die einzelnen Feststellungsbeteiligten als Inhaltsadressaten gerichteter Bescheid auszulegen sei, weil bei der ursprünglichen Einspruchseinlegung/Antragstellung auf AdV die X-AG benannt worden sei und in Anknüpfung hieran das damalige Feststellungsfinanzamt AdV gewährt habe. Da die AdV des Grundlagenbescheides aufgehoben worden sei, habe das Wohnsitzfinanzamt die AdV der Einkommensteuerbescheide als Folgebescheide zu Recht aufgehoben. AdV der Einkommensteuerbescheide sei auch nicht zu gewähren, wenn man davon ausgehe, dass die X-AG Einspruch eingelegt habe, weil dieser als unzulässig anzusehen wäre. In diesem Falle läge kein wirksamer Bescheid über AdV vor, und die Beendigung der AdV der Einkommensteuerbescheide als Folgebescheide der Feststellungsbescheide wäre schon aus diesem Grunde rechtmäßig.
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Das FA hat den beim FG des Landes Sachsen-Anhalt gegen die Feststellungsbescheide gerichteten (hier streitgegenständlichen) AdV-Antrag des Antragstellers für unzulässig gehalten. Im Gegensatz zum Klageverfahren ging das FA davon aus, dass nicht die Feststellungsbeteiligten, sondern die X-AG gegen die Einspruchsentscheidung geklagt habe. Gegen den Feststellungsbescheid sei deshalb kein Rechtsbehelf des Antragstellers anhängig. Das FA ging ferner davon aus, dass alle die AdV betreffenden Bescheide den Feststellungsbeteiligten ordnungsgemäß bekannt gegeben worden seien. Es sei widersprüchlich, wenn der Antragsteller nun vortrage, die AdV sei ihm gegenüber durch die Einspruchsentscheidung nicht ordnungsgemäß aufgehoben worden. Denn entweder habe er, der Antragsteller, "unter derselben Adresse, unter der die Aussetzung der Vollziehung beendet wurde, Aussetzung der Vollziehung erhalten, oder ihm sei nie wirksam Aussetzung der Vollziehung gewährt worden". In der Sache bestünden nach Auffassung des FA keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Feststellungsbescheide.
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Das FG des Landes Sachsen-Anhalt hat eine AdV ausgesprochen, soweit für den Antragsteller in den angefochtenen Bescheiden ein Hinzurechnungsbetrag von mehr als 50 DM (1994) bzw. mehr als 5.205 DM (1995) festgestellt wurde (Beschluss vom 27. Januar 2011 2 V 817/10).
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Das FA beantragt mit der vom FG zugelassenen Beschwerde, den angefochtenen Beschluss vom 27. Januar 2011 aufzuheben und den Antrag auf AdV abzulehnen.
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Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Es bedarf weiterer Sachaufklärung zur Tätigkeit der X-AG, um feststellen zu können, ob diese auf der Grundlage einer gewerblichen Tätigkeit und einer damit verbundenen Gewinnermittlung Teilwertabschreibungen auf Finanzanlagen einkünftewirksam (und damit die Hinzurechnungsbeträge mindernd) ansetzen kann. Davon hängt es ab, ob bzw. inwieweit die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide ernstlich zweifelhaft i.S. des § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist.
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1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Sätze 2 bis 6 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Vollziehung soll ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Das wiederum ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) der Fall, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsakts gewichtige Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (BFH-Beschluss vom 11. Juni 2003 IX B 16/03, BFHE 202, 53, BStBl II 2003, 663, m.w.N.). Dabei setzt eine AdV nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (BFH-Beschluss vom 25. August 2009 VI B 69/09, BFHE 226, 85, BStBl II 2009, 826).
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2. Der Antrag ist zulässig.
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Das FG hat den Antrag auf AdV als zulässig beurteilt. Der Einspruch und der damit verbundene Antrag auf AdV vom 21. Dezember 2000 sei zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes als von den Feststellungsbeteiligten eingelegt bzw. erhoben auszulegen. Dieser Antrag sei (ebenso wie der Einspruch) ohne Mitteilung von Gründen noch nicht beschieden worden. Denn der Bescheid über die AdV vom 28. Dezember 2000 habe sich ebenso wenig an die Feststellungsbeteiligten gerichtet wie die mit der Einspruchsentscheidung verbundene Aufhebung der AdV.
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Dieser Einschätzung des FG, der das FA im Beschwerdeverfahren nicht entgegengetreten ist, ist auf der Grundlage der im hier anhängigen Verfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage beizupflichten.
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3. Ob der Antrag ganz oder teilweise begründet ist, kann auf der Grundlage des bisherigen Sachstandes nicht entschieden werden. Der Beschluss der Vorinstanz ist aufzuheben. Es bedarf für eine abschließende Entscheidung umfangreicher weiterer Sachaufklärung zu der zu prüfenden Frage danach, ob die X-AG tatsächlich gewerblich oder aber nur vermögensverwaltend tätig war. Davon --und von einer aus den vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlichen Ermittlung des Hinzurechnungsbetrages-- hängt die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Der Senat hält es angesichts der vom FG formulierten Einschätzung, dass im (offensichtlich noch nicht rechtskräftig entschiedenen) Hauptsacheverfahren --d.h. beim FG-- "zu prüfen sein (wird), ob sich aus diesen Unterlagen eine gewerbliche Tätigkeit der AG ergibt" (II.2. der Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses), für sachgerecht, die Sache an das FG zurückzuverweisen (zur Zurückverweisung im Verfahren auf AdV s. z.B. Gosch in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 69 FGO Rz 309; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 69 FGO Rz 998 ff.; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Rz 159, jeweils m.w.N.). Die besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens auf AdV steht der Zurückverweisung im Streitfall nicht entgegen.
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