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BFH 30.06.2010 - XI R 22/08
BFH 30.06.2010 - XI R 22/08 - Bereitstellungsentgelte als pauschalierte Entschädigung nicht umsatzsteuerbar
Normen
§ 1 Abs 1 Nr 1 S 1 UStG, § 3 Abs 9 S 1 UStG, § 415 Abs 2 HGB, Art 2 Nr 1 EWGRL 388/77
Vorinstanz
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 3. April 2008, Az: 5 K 68/02, Urteil
Leitsatz
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So genannte Bereitstellungsentgelte, die ein Speditionsunternehmen erhält, wenn eine Zwangsräumung kurzfristig von dem Gerichtsvollzieher abgesagt wird, stellen eine pauschalierte Entschädigung dar und unterliegen mangels eines Leistungsaustauschs nicht der Umsatzsteuer .
Tatbestand
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I. Die Beteiligten streiten über die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von sog. Bereitstellungsentgelten bei Zwangsräumungen.
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Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt ein Speditionsunternehmen in der Rechtsform einer GmbH. Sie führt u.a. im Auftrag von Gerichtsvollziehern Zwangsräumungen durch. Hierfür erhält sie --gestaffelt nach der Anzahl der zu räumenden Zimmer-- ein Entgelt, das der Umsatzsteuer unterworfen wird. Werden Zwangsräumungen innerhalb von vier Tagen vor dem Räumungstermin vom zuständigen Gerichtsvollzieher abgesagt, so erhält sie von diesem 30 % des für eine tatsächlich durchgeführte Räumung vereinbarten Entgelts. Die Klägerin hat die sog. Bereitstellungsentgelte nicht der Umsatzsteuer unterworfen. Bestimmte Vorbereitungshandlungen für eine bevorstehende Wohnungsräumung, wie etwa Zurverfügungstellung von Personal, Fahrzeugen oder Räumlichkeiten, erbringt sie bis zum Kündigungstermin nicht.
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Im Rahmen einer Außenprüfung für die Streitjahre 1995 bis 1999 vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, dass auch die sog. Bereitstellungsentgelte der Umsatzsteuer zu unterwerfen seien. Den Einspruch der Klägerin wies das FA zurück.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt; die Klägerin habe keine steuerbaren Leistungen erbracht. Die Entscheidung ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1073.
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Zur Begründung seiner Revision trägt das FA vor, kennzeichnend für einen nicht steuerbaren Schadensersatz sei, dass die Vergütung für ein vertragswidriges Verhalten geschuldet und somit losgelöst vom ursprünglichen Rechtsgrund gezahlt werde. Die sog. Bereitstellungsentgelte würden dagegen nicht für eine vertragswidrige Auflösung gezahlt, sondern für eine Leistung innerhalb des vereinbarten Leistungsaustausches, denn es handele sich bei der Zahlung um einen für Zwangsräumungen typischen Vorgang und dieser beruhe nicht auf einem vom ursprünglichen Rechtsgrund losgelösten eigenen Rechtsgrund. Nach den Abrechnungen werde die von vornherein festgelegte Abstandspauschale für eine bestimmte und nach Anzahl der Wagen und Arbeitskräfte genau bezeichnete Leistung bezahlt.
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Zu Unrecht sei das FG unter Verweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. August 1970 V R 159/66 (BFHE 100, 259, BStBl II 1971, 6) davon ausgegangen, dass die Klägerin noch keine Leistung erbracht habe. Denn dort sei nicht, wie hier, eine sonstige Leistung Vertragsgegenstand gewesen, sondern eine Werklieferung, bei der der Liefervorgang im Vordergrund stehe und damit die Verschaffung der Verfügungsmacht an der bestellten Sache. Gegenstand der sonstigen Leistung im Streitfall sei hingegen nicht nur die eigentliche Räumung, sondern seien auch etwaige "Vorleistungen", zu denen gehöre, dass die Klägerin durch organisatorische Maßnahmen sicherstelle, zum vereinbarten Termin über die notwendigen Kapazitäten zu verfügen.
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Das FA beantragt sinngemäß,
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die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zutreffend ist das FG zu dem Ergebnis gekommen, dass die sog. Bereitstellungsentgelte nicht im Rahmen eines Leistungsaustausches i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (UStG) gezahlt worden sind, weil ihnen keine Leistungen der Klägerin gegenüberstanden.
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1. Sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, unterliegen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG der Umsatzsteuer. Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferungen sind (§ 3 Abs. 9 Satz 1 UStG).
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a) Für das Vorliegen einer entgeltlichen Leistung, die in Übereinstimmung mit Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar ist, sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), der sich der BFH angeschlossen hat, im Wesentlichen folgende unionsrechtlich geklärten Grundsätze zu berücksichtigen:
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Zwischen der Leistung und dem erhaltenen Gegenwert muss ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen, wobei die gezahlten Beträge die tatsächliche Gegenleistung für eine bestimmbare Leistung darstellen, die im Rahmen eines zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger bestehenden Rechtsverhältnisses, in dem gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, erbracht wurde (EuGH-Urteile vom 18. Juli 2007 Rs. C-277/05 --Societé thermale d'Eugénie-les-Bains--, Slg. 2007, I-6415, BFH/NV Beilage 2007, 424, Rz 19; vom 21. März 2002 Rs. C-174/00 --Kennemer Golf & Country Club--, Slg. 2002, I-3293, BFH/NV Beilage 2002, 95, Rz 39, und vom 3. März 1994 Rs. C-16/93 --Tolsma--, Slg. 1994, I-743, Umsatzsteuer-Rundschau 1994, 399, Rz 13; BFH-Urteile vom 19. Februar 2004 V R 10/03, BFHE 205, 495, BStBl II 2004, 675; vom 5. Dezember 2007 V R 60/05, BFHE 219, 455, BStBl II 2009, 486, jeweils m.w.N.; Schlosser-Zeuner in Bunjes/Geist, UStG, 9. Aufl., § 1 Rz 14 ff., 28, m.w.N.).
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Dabei bestimmt sich in erster Linie nach dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis, ob die Leistung des Unternehmers derart mit der Zahlung verknüpft ist, dass sie sich auf die Erlangung einer Gegenleistung (Zahlung) richtet (BFH-Urteil vom 18. Dezember 2008 V R 38/06, BFHE 225, 155, BStBl II 2009, 749).
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Echte Entschädigungs- oder Schadensersatzleistungen sind demgegenüber kein Entgelt im Sinne des Umsatzsteuerrechts, wenn die Zahlung nicht für eine Lieferung oder sonstige Leistung an den Zahlungsempfänger erfolgt, sondern weil der Zahlende nach Gesetz oder Vertrag für den Schaden und seine Folgen einzustehen hat (vgl. BFH-Urteil vom 10. Dezember 1998 V R 58/97, BFH/NV 1999, 987).
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b) Entsprechend diesen Grundsätzen hat der EuGH in seinem Urteil Societé thermale d'Eugénie-les-Bains (Slg. 2007, I-6415, BFH/NV Beilage 2007, 424) entschieden, dass die von einem Gast an einen Hotelbetreiber als Angeld geleisteten Beträge in Fällen, in denen der Erwerber von der ihm eröffneten Möglichkeit des Rücktritts Gebrauch macht und der Hotelbetreiber diese Beträge einbehält, als pauschalierte Entschädigung zum Ausgleich des infolge des Vertragsrücktritts des Gastes entstandenen Schadens --ohne direkten Bezug zu einer entgeltlichen Dienstleistung-- und als solche nicht als mehrwertsteuerpflichtig anzusehen sind.
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Da die Zahlung des Angelds zum einen kein Entgelt für eine eigenständige, bestimmbare Leistung darstelle, die der Hotelbetreiber seinem Gast erbracht habe, und die Einbehaltung des Angelds nach einer Stornierung zum anderen den Zweck habe, die Folgen der Nichterfüllung des Vertrags auszugleichen, falle weder die Zahlung noch die Einbehaltung des Angelds unter Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG (Rz 35 des Urteils). Das Angeld sei keine Gegenleistung für eine der Mehrwertsteuer unterliegende Reservierungsleistung, die sich bereits direkt aus dem Beherbergungsvertrag ergebe, sondern eine pauschalierte Entschädigungszahlung, bei der es normal sei, dass der Betrag des entstandenen Schadens und das einbehaltene Angeld in den meisten Fällen nicht übereinstimmten (Rz 23 f. und 32 f. des Urteils).
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2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellen die sog. Bereitstellungsentgelte eine pauschalierte Entschädigung und kein Entgelt für eine Dienstleistung dar.
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a) Nach der zwischen der Klägerin und den Gerichtsvollziehern getroffenen Vereinbarung erhält sie 30 % der für eine tatsächlich durchgeführte Räumung vereinbarten Pauschale, wenn die Zwangsräumung innerhalb von vier Tagen vor dem Räumungstermin vom zuständigen Gerichtsvollzieher abgesagt wird.
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Wird ein Speditionsvertrag vorzeitig gekündigt, so behält der Unternehmer grundsätzlich den Anspruch auf die vereinbarte Vergütung. Er muss sich jedoch gemäß § 649 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ersparte Aufwendungen oder dasjenige, was er durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erzielt oder zu erwerben böswillig unterlässt, anrechnen lassen (vgl. z.B. Beschluss des Landgerichts Frankfurt vom 19. September 2005 2/9 T 614/05, Deutsche Gerichtsvollzieherzeitung 2006, 115).
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Für den Fall der Kündigung eines Frachtvertrages ist in § 415 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches (HGB) ausdrücklich geregelt, dass der Frachtführer entweder die vereinbarte Fracht unter Anrechnung bestimmter Beträge oder "ein Drittel der vereinbarten Fracht (Fautfracht)" verlangen kann. Das Rechtsinstitut der "Fautfracht" (vgl. hierzu auch BFH-Urteile vom 22. Januar 1970 V R 118/66, BFHE 98, 225, BStBl II 1970, 363, und vom 27. August 1970 V R 130/66, BFHE 100, 150, BStBl II 1970, 856) versteht sich als eine gesetzlich festgelegte, pauschale Kündigungsentschädigung, die nach der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts (Transportrechtsreformgesetz) weder Leistungsentgelt noch Schadensersatz ist (BTDrucks 13/8445, S. 45; vgl. auch MünchKommHGB/Czerwenka, § 415 Rz 17). Die Bundesregierung hat den Vorteil der "Fautfracht" darin gesehen, dass auf diese Weise eine leicht handhabbare, zugleich streit- und prozessverhindernde Regelung geschaffen werden könne (BTDrucks 13/8445, S. 45).
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Da ein Gerichtsvollzieher Nichtkaufmann ist, unterliegt der Speditionsvertrag nicht den Vorschriften des HGB, sondern des BGB. Es steht den Vertragspartnern jedoch frei, den Inhalt ihres Rechtsverhältnisses einschließlich der Folgen eines eventuellen Rücktritts oder der etwaigen Nichterfüllung ihrer Verpflichtungen unter Beachtung zwingender Vorschriften und der öffentlichen Ordnung zu bestimmen (EuGH-Urteil Societé thermale d'Eugénie-les-Bains in Slg. 2007, I-6415, BFH/NV Beilage 2007, 424, Rz 28 f.). Dabei muss es ihnen insbesondere gestattet sein, eine Rechtsfolge, die der Gesetzgeber für Kaufleute für den Fall der Kündigung als vorteilhaft angesehen und deshalb wahlweise vorgesehen hat, ausdrücklich zu vereinbaren.
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Die vertraglich vereinbarte pauschale Kündigungsentschädigung kann umsatzsteuerrechtlich nicht anders qualifiziert werden als die in § 415 Abs. 2 Nr. 2 HGB ausdrücklich geregelte (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE 98, 225, BStBl II 1970, 363, und in BFHE 100, 150, BStBl II 1970, 856). Deshalb gilt für beide Fälle, dass es sich jedenfalls nicht um ein Leistungsentgelt handelt und die pauschale Entschädigung daher nicht der Umsatzsteuer unterliegt.
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b) Die Entscheidung, dass die sog. Bereitstellungsentgelte nicht als Leistungsentgelte zu beurteilen sind, steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH in dem oben zitierten Urteil Societé thermale d'Eugénie-les-Bains (Slg. 2007, I-6415, BFH/NV Beilage 2007, 424). Das "Angeld" und die Bereitstellungsentgelte sind vergleichbar, so dass es sich in beiden Fällen um eine pauschalierte Kündigungsentschädigung ohne Entgeltcharakter handelt.
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