Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
EuGH 02.03.2017 - C-496/15
EuGH 02.03.2017 - C-496/15 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer) - 2. März 2017 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung — Freizügigkeit der Arbeitnehmer — Art. 45 AEUV — Verordnung (EU) Nr. 492/2011 — Art. 7 — Gleichbehandlung — Grenzgänger, der im Wohnsitzmitgliedstaat einkommensteuerpflichtig ist — Vom Beschäftigungsmitgliedstaat gezahlte Leistung bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers — Berechnungsmodalitäten dieses Insolvenzgelds — Fiktive Berücksichtigung der Lohnsteuer des Beschäftigungsmitgliedstaats — Insolvenzgeld, das niedriger ist als das bisherige Nettoarbeitsentgelt — Bilaterales Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung“
Leitsatz
In der Rechtssache C-496/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Mainz (Deutschland) mit Entscheidung vom 23. Juli 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 22. September 2015, in dem Verfahren
Alphonse Eschenbrenner
gegen
Bundesagentur für Arbeit
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal, des Richters A. Rosas (Berichterstatter), der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juli 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Bundesagentur für Arbeit, vertreten durch B. Klug als Bevollmächtigten,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und A. Lippstreu als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer, M. Wasmeier und D. Martin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. September 2016
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Alphonse Eschenbrenner, einem in Frankreich wohnhaften und in Deutschland arbeitenden französischen Staatsangehörigen, und der Bundesagentur für Arbeit (Deutschland) (im Folgenden: BA) wegen der fiktiven Berücksichtigung der deutschen Lohnsteuer bei der Festlegung der Höhe des Herrn Eschenbrenner gewährten Insolvenzgelds.
Rechtlicher Rahmen
Internationales Recht
In Art. 13 des Abkommens vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern in geänderter Fassung (im Folgenden: deutsch-französisches Steuerabkommen) heißt es:
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit können vorbehaltlich der Vorschriften der nachstehenden Absätze nur in dem Vertragstaate besteuert werden, in dem die persönliche Tätigkeit, aus der die Einkünfte herrühren, ausgeübt wird. Als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gelten insbesondere Gehälter, Besoldungen, Löhne, Gratifikationen oder sonstige Bezüge sowie alle ähnlichen Vorteile, die von anderen als den in Artikel 14 bezeichneten Personen gezahlt oder gewährt werden.
…
-
Abweichend von [Absatz 1] können Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von Personen, die im Grenzgebiet eines Vertragsstaats arbeiten und ihre ständige Wohnstätte, zu der sie in der Regel jeden Tag zurückkehren, im Grenzgebiet des anderen Vertragsstaats haben, nur in diesem anderen Staat besteuert werden;
…“
Art. 14 dieses Abkommens bestimmt:
„(1) Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen sowie Ruhegehälter, die einer der Vertragstaaten, ein Land oder eine juristische Person des öffentlichen Rechtes dieses Staates oder dieses Landes an in dem anderen Staat ansässige natürliche Personen für gegenwärtige oder frühere Dienstleistungen in der Verwaltung oder in den Streitkräften zahlt, können nur in dem erstgenannten Staate besteuert werden. …
(2) Absatz (1) Satz 1 gilt auch für
Bezüge, die aus der gesetzlichen Sozialversicherung gezahlt werden;
…“
Unionsrecht
Verordnung Nr. 492/2011
Kapitel I der Verordnung Nr. 492/2011 trägt die Überschrift „Die Beschäftigung, die Gleichbehandlung und die Familienangehörigen der Arbeitnehmer“. In Abschnitt 2 („Ausübung der Beschäftigung und Gleichbehandlung“) dieses Kapitels sieht Art. 7 der Verordnung vor:
„(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.
(2) Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.
…“
Richtlinie 2008/94/EG
In Kapitel 1 („Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. 2008, L 283, S. 36) bestimmt Art. 1 Abs. 1:
„Diese Richtlinie gilt für Ansprüche von Arbeitnehmern aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen gegen Arbeitgeber, die zahlungsunfähig im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 sind.“
Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 dieser Richtlinie lautet:
„Diese Richtlinie lässt das einzelstaatliche Recht bezüglich der Begriffsbestimmung der Worte ‚Arbeitnehmer‘, ‚Arbeitgeber‘, ‚Arbeitsentgelt‘, ‚erworbenes Recht‘ und ‚Anwartschaftsrecht‘ unberührt.“
In Kapitel II („Vorschriften über die Garantieeinrichtungen“) der Richtlinie 2008/94 ist Art. 3 wie folgt gefasst:
„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vorbehaltlich des Artikels 4 Garantieeinrichtungen die Befriedigung der nicht erfüllten Ansprüche der Arbeitnehmer aus Arbeitsverträgen und Arbeitsverhältnissen sicherstellen, einschließlich, sofern dies nach ihrem innerstaatlichen Recht vorgesehen ist, einer Abfindung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Die Ansprüche, deren Befriedigung die Garantieeinrichtung übernimmt, sind die nicht erfüllten Ansprüche auf Arbeitsentgelt für einen Zeitraum, der vor und/oder gegebenenfalls nach einem von den Mitgliedstaaten festgelegten Zeitpunkt liegt.“
Im gleichen Kapitel bestimmt Art. 4 der Richtlinie 2008/94:
„(1) Die Mitgliedstaaten können die in Artikel 3 vorgesehene Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen begrenzen.
(2) Machen die Mitgliedstaaten von der in Absatz 1 genannten Möglichkeit Gebrauch, so legen sie die Dauer des Zeitraums fest, für den die Garantieeinrichtung die nicht erfüllten Ansprüche zu befriedigen hat. Diese Dauer darf jedoch einen Zeitraum, der die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses und die damit verbundenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt umfasst und der vor und/oder nach dem Zeitpunkt gemäß Artikel 3 Absatz 2 liegt, nicht unterschreiten.
…
(3) Die Mitgliedstaaten können Höchstgrenzen für die von der Garantieeinrichtung zu leistenden Zahlungen festsetzen. Diese Höchstgrenzen dürfen eine mit der sozialen Zielsetzung dieser Richtlinie zu vereinbarende soziale Schwelle nicht unterschreiten.
…“
Deutsches Recht
Nach § 3 Abs. 2 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist das Insolvenzgeld einkommensteuerfrei.
§ 165 („Anspruch“) des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch –Arbeitsförderung (SGB III) sieht in Abs. 1 Satz 1 vor:
„Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.“
In § 167 („Höhe“) SGB III heißt es:
„(1) Insolvenzgeld wird in Höhe des Nettoarbeitsentgelts gezahlt, das sich ergibt, wenn das auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze (§ 341 Absatz 4 [SGB III]) begrenzte Bruttoarbeitsentgelt um die gesetzlichen Abzüge vermindert wird.
(2) Ist die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer
…
im Inland nicht einkommensteuerpflichtig und unterliegt das Insolvenzgeld nach den für sie oder ihn maßgebenden Vorschriften nicht der Steuer, sind vom Arbeitsentgelt die Steuern abzuziehen, die bei einer Einkommensteuerpflicht im Inland durch Abzug vom Arbeitsentgelt erhoben würden.“
§ 169 („Anspruchsübergang“) Satz 1 SGB III lautet:
„Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen, gehen mit dem Antrag auf Insolvenzgeld auf die Bundesagentur über.“
Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits und Vorlagefragen
Herr Eschenbrenner ist französischer Staatsangehöriger und wohnt in Rahling (Frankreich), nahe der deutschen Grenze. Seit 1996 arbeitete er als Fahrer bei dem Unternehmen Philipp’s Reisen in Pirmasens (Deutschland). Nach einer Bescheinigung des Vorstehers des zuständigen französischen Centre des impôts (Finanzamt) erfüllte er durch diese Beschäftigung die Voraussetzungen, um als Grenzgänger im Sinne von Art. 13 Abs. 5 Buchst. a des deutsch-französischen Steuerabkommens angesehen zu werden, und sein in Deutschland bezogenes Gehalt war demzufolge gemäß diesem Abkommen in Frankreich steuerpflichtig.
Am 29. Juni 2012 wurde das Insolvenzverfahren gegen das Unternehmen Philipp’s Reisen eröffnet. Während die Löhne und Gehälter von dem Unternehmen bis März 2012 vollständig gezahlt worden waren, hatte Herr Eschenbrenner bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die Monate April bis Juni 2012 eine Arbeitsentgeltforderung gegen seinen Arbeitgeber in Höhe von 5571,88 Euro ausstehen.
Entsprechend diesen offenen Arbeitsentgeltansprüchen beantragte Herr Eschenbrenner am 13. Juli 2012 Insolvenzgeld. Die BA errechnete die Höhe des Insolvenzgelds, indem sie vom Bruttoarbeitsentgelt von Herrn Eschenbrenner einen Betrag von 3550,24 Euro, den der vorläufige Insolvenzverwalter als Vorfinanzierung für den Zeitraum vom 1. April bis zum 28. Juni 2012 gewährt hatte, sowie einen Betrag, der den Sozialversicherungsbeiträgen und einem Herrn Eschenbrenner für den April 2012 als Spesenabrechnung gezahlten Vorschuss entsprach, abzog. Darüber hinaus zog sie vom Bruttoarbeitsentgelt nach § 167 Abs. 2 SGB III einen Betrag ab, der der nach deutschem Recht berechneten Lohnsteuer entsprach und sich für die betroffenen drei Monate auf 185 Euro, 175 Euro bzw. 173 Euro belief. Mit Bescheid vom 18. Juli 2012 wurde Herrn Eschenbrenner infolgedessen Insolvenzgeld in Höhe von insgesamt 356,77 Euro gewährt.
In seinem Widerspruch gegen diesen Bescheid machte Herr Eschenbrenner unter Hinweis darauf, dass er in Deutschland nicht steuerpflichtig sei, im Wesentlichen geltend, die Berücksichtigung der Steuer zum in Deutschland geltenden Steuersatz bei der Berechnung des Insolvenzgelds sei diskriminierend und mithin unionsrechtswidrig. Die BA wies den Widerspruch mit Bescheid vom 18. September 2012 zurück.
Herr Eschenbrenner erhob gegen diesen Bescheid Klage und machte geltend, die Methode der Berechnung des Insolvenzgelds sei mit dem Unionsrecht unvereinbar, weil Grenzgänger wie er damit kein Insolvenzgeld beziehen könnten, das ihrem bisherigen Nettoarbeitsentgelt entspreche. Anders als bei Personen, die in Deutschland arbeiteten und wohnten, sei das Insolvenzgeld für Grenzgänger namentlich aufgrund der Unterschiede zwischen den in Deutschland und in Frankreich geltenden Steuersätzen niedriger als ihr bisheriges Nettoarbeitsentgelt. Die Klage wurde vom Sozialgericht Speyer (Deutschland) abgewiesen, und Herr Eschenbrenner legte Berufung beim Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Mainz (Deutschland) ein.
Nach den Ausführungen dieses Gerichts kann Herr Eschenbrenner nur obsiegen, wenn das unionsrechtliche Gebot der Gleichbehandlung mit den inländischen Arbeitnehmern die fiktive Berücksichtigung der deutschen Einkommensteuer gemäß § 167 Abs. 2 SGB III bei der Berechnung des Insolvenzgelds ausschließe. Es stellt fest, dass das Insolvenzgeld eine soziale Vergünstigung im Sinne von Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 darstelle und dass nach dieser Bestimmung Grenzgänger nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit anders behandelt werden dürften als die inländischen Arbeitnehmer und insbesondere die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie diese genießen müssten.
Der Gerichtshof habe insoweit bereits entschieden, dass im Kontext der Berechnung des Betrags der Überbrückungsbeihilfe für die ehemaligen zivilen Arbeitnehmer der alliierten Streitkräfte in Deutschland (Urteil vom 16. September 2004, Merida, C-400/02, EU:C:2004:537) und im Rahmen der Berechnung des Betrags von Aufstockungsleistungen im Fall von Altersteilzeit (Urteil vom 28. Juni 2012, Erny, C-172/11, EU:C:2012:399) der fiktive Abzug der deutschen Einkommensteuer eine mittelbare Diskriminierung dargestellt habe.
Zwar ziehe anders als bei den Sachverhalten jener beiden Rechtssachen § 167 Abs. 2 SGB III unter den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umständen keine faktische Doppelbesteuerung nach sich, da das Insolvenzgeld nach Art. 14 Abs. 2 Nr. 1 des deutsch-französischen Steuerabkommens in dem Staat zu versteuern sei, der es gewähre, da es in Deutschland gemäß § 3 Abs. 2 Buchst. b EStG steuerfrei sei und da demzufolge bei der Berechnung des Insolvenzgelds nur die deutsche Steuer fiktiv berücksichtigt werde.
Allerdings müsse das Insolvenzgeld der Höhe nach grundsätzlich dem bisherigen Nettoarbeitsentgelt des Arbeitnehmers entsprechen. Auch wenn aber Grenzgänger in Anwendung der in § 167 Abs. 2 SGB III vorgesehenen Berechnungsmethode den in Deutschland wohnhaften und arbeitenden Personen hinsichtlich der Höhe des bezogenen Insolvenzgelds gleichgestellt würden, erlaube es ihnen diese Methode gerade nicht, einen Ausgleich in Höhe ihres bisherigen Nettoarbeitsentgelts zu erhalten.
Das vorlegende Gericht fragt sich auch, ob ein solches Ergebnis mit der Richtlinie 2008/94 vereinbar ist. Unter Hinweis namentlich auf die Urteile vom 4. März 2004, Barsotti u. a. (C-19/01, C-50/01 und C-84/01, EU:C:2004:119), und vom 17. November 2011, van Ardennen (C-435/10, EU:C:2011:751), führt es aus, dass zwar diese Richtlinie den Mitgliedstaaten die Festsetzung von Höchstgrenzen für die von der Garantieeinrichtung zu leistenden Zahlungen gestatte, aber auch einen vollständigen Ausgleich der nicht erfüllten Ansprüche auf Arbeitsentgelt unterhalb dieser Höchstgrenzen vorsehe. Unter den Umständen des vorliegenden Verfahrens führe die Anwendung der in Rede stehenden gesetzlichen Regelung aber dazu, dass die nicht erfüllten Ansprüche auf Arbeitsentgelt nicht vollständig ausgeglichen würden.
Das vorlegende Gericht stellt auch klar, dass entgegen den Ausführungen in dem im ersten Rechtszug ergangenen Urteil nicht eindeutig geklärt erscheine, dass Herr Eschenbrenner nach deutschem Recht einen Anspruch in Höhe des Differenzbetrags zwischen dem nach § 167 Abs. 2 SGB III berechneten Insolvenzgeld und seinem bisherigen Bruttogehalt gegen seinen Arbeitgeber geltend machen könne.
Unter diesen Umständen hat das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Mainz beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist es mit den Regelungen des primären und/oder sekundären Rechts der Europäischen Union (insbesondere Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011) vereinbar, dass bei einem zunächst in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer, der in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, der im Inland nicht einkommensteuerpflichtig ist und bei dem Insolvenzgeld nach den für ihn maßgebenden Vorschriften nicht der Steuer unterliegt, im Fall der Insolvenz seines Arbeitgebers von dem für die Berechnung des ihm zustehenden Insolvenzgelds maßgeblichen Arbeitsentgelt fiktiv die Steuern erhoben werden, die bei einer Einkommensteuerpflicht im Inland durch Abzug vom Arbeitsentgelt erhoben würden, wenn er den Bruttorestlohnanspruch nicht mehr gegen den Arbeitgeber geltend machen kann?
Falls Frage 1 verneint wird, liegt eine Vereinbarkeit mit den Regelungen des primären und/oder sekundären Rechts der Europäischen Union vor, wenn der Arbeitnehmer in der genannten Konstellation den Bruttorestlohnanspruch weiterhin gegen seinen Arbeitgeber geltend machen kann?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass die Höhe des Insolvenzgelds, das ein Mitgliedstaat einem Grenzgänger gewährt, der in diesem Staat nicht einkommensteuerpflichtig ist und bei dem das Insolvenzgeld nicht der Steuer unterliegt, ermittelt wird, indem von dem für die Berechnung des Insolvenzgelds maßgeblichen Arbeitsentgelt die Lohnsteuer, wie sie in diesem Staat zur Anwendung kommt, mit der Folge abgezogen wird, dass der Grenzgänger im Gegensatz zu Personen, die in dem betreffenden Staat wohnen und arbeiten, kein Insolvenzgeld erhält, das seinem bisherigen Nettoarbeitsentgelt entspricht. Außerdem fragt sich das vorlegende Gericht, welche Auswirkung es für die Beantwortung dieser Frage hat, dass ein solcher Grenzgänger gegen seinen Arbeitgeber keinen Anspruch auf den Teil seines bisherigen Bruttogehalts geltend machen kann, den er aufgrund dieses Abzugs nicht erhalten hat.
Vorab ist auf die steuerliche Behandlung des Insolvenzgelds bei Grenzgängern wie Herrn Eschenbrenner einzugehen.
Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts steht fest, dass nach Art. 14 Abs. 2 Nr. 1 des deutsch-französischen Steuerabkommens die Befugnis zur Besteuerung sozialer Vergünstigungen, die von den zuständigen Stellen der Bundesrepublik Deutschland gewährt werden – wie des in Rede stehenden Insolvenzgelds –, dem letztgenannten Staat zusteht. Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich auch, dass im vorliegenden Fall Herr Eschenbrenner in Frankreich nicht faktisch zur Steuer auf das Insolvenzgeld herangezogen wird.
Nach deutschem Steuerrecht ist das Insolvenzgeld gemäß § 3 Abs. 2 Buchst. b EStG einkommensteuerfrei.
Somit unterliegt die Gewährung von Insolvenzgeld unter den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umständen weder einer Doppelbesteuerung noch der deutschen Einkommensteuer im formellen Sinn. Dagegen wird die Steuer fiktiv berücksichtigt, die auf das Gehalt von Herrn Eschenbrenner einbehalten worden wäre, wenn er in der Zeit vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers in Deutschland einkommensteuerpflichtig gewesen wäre.
In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Umstände des Ausgangsrechtsstreits von denjenigen der Rechtssachen, in denen die Urteile vom 16. September 2004, Merida (C-400/02, EU:C:2004:537), und vom 28. Juni 2012, Erny (C-172/11, EU:C:2012:399), ergingen, auf die das vorlegende Gericht Bezug nimmt und die Situationen betrafen, wo die fraglichen Leistungen tatsächlich in zwei Mitgliedstaaten besteuert wurden. Im Unterschied zu der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Situation stand nämlich die Befugnis zur Besteuerung der Leistungen, um die es in jenen Rechtssachen ging, nach dem deutsch-französischen Steuerabkommen einem Mitgliedstaat zu, während im anderen Mitgliedstaat die betreffenden Leistungen einem fiktiven Steuerabzug unterlagen (vgl. Urteile vom 16. September 2004, Merida, C-400/02, EU:C:2004:537, Rn. 11 und 24, und vom 28. Juni 2012, Erny, C-172/11, EU:C:2012:399, Rn. 34).
Was sodann den Grundsatz der Gleichbehandlung betrifft, umfasst nach Art. 45 Abs. 2 AEUV die Freizügigkeit der Arbeitnehmer die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Diese Bestimmung wird in Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 konkretisiert, der klarstellt, dass ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen genießt wie die inländischen Arbeitnehmer.
Es ist von Anfang an festzustellen, dass die in § 167 Abs. 2 SGB III genannte Berechnungsmethode keine unterschiedliche Behandlung je nach der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer vorsieht, da die verschiedenen Kategorien von Arbeitnehmern namentlich danach unterschieden werden, ob der Arbeitnehmer in Deutschland steuerpflichtig ist oder nicht.
Herr Eschenbrenner macht aber vor dem vorlegenden Gericht im Wesentlichen geltend, dass sich § 167 Abs. 2 SGB III für ihn, ohne dass es sich um eine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit handle, im Vergleich zu der Situation von in Deutschland arbeitenden und wohnhaften Beziehern von Insolvenzgeld gleichwohl nachteilig auswirke.
Insoweit ist daran zu erinnern, dass der sowohl in Art. 45 AEUV als auch in Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur unmittelbare Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle mittelbaren Formen der Diskriminierung verbietet, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 2016, Bragança Linares Verruga u. a., C-238/15, EU:C:2016:949, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Eine Vorschrift des nationalen Rechts ist, wenn sie sich ihrem Wesen nach stärker auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt, auch wenn sie ungeachtet der Staatsangehörigkeit anwendbar ist, als mittelbar diskriminierend anzusehen, sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt ist und in angemessenem Verhältnis zum verfolgten Ziel steht (Urteil vom 5. Dezember 2013, Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken, C-514/12, EU:C:2013:799, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Um festzustellen, ob die in § 167 Abs. 2 SGB III festgelegte Methode zur Berechnung des Insolvenzgelds eine gegen Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 verstoßende Ungleichbehandlung darstellt, ist somit zu prüfen, ob ein Grenzgänger wie Herr Eschenbrenner gegenüber einer in Deutschland arbeitenden und wohnhaften Person bei sonst gleichen Rahmenbedingungen benachteiligt wird.
Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts beziehen Personen, die in Deutschland arbeiten und wohnen, gemäß § 167 Abs. 1 SGB III Insolvenzgeld in einer Höhe, die grundsätzlich ihrem bisherigen Nettoarbeitsentgelt entspricht.
Dagegen ist für in Deutschland nicht einkommensteuerpflichtige Grenzgänger wie Herrn Eschenbrenner die Methode zur Berechnung der Höhe des Insolvenzgelds in § 167 Abs. 2 SGB III vorgesehen, nach dem für diese Zwecke vom bisherigen Arbeitsentgelt des betreffenden Arbeitnehmers die Steuern abzuziehen sind, die bei einer Einkommensteuerpflicht in Deutschland vom Arbeitsentgelt erhoben worden wären.
Gemäß dem deutsch-französischen Steuerabkommen unterlag aber das Arbeitsentgelt von Herrn Eschenbrenner zu seiner aktiven Zeit der Einkommensteuer in Frankreich, und der dort geltende Steuersatz war zu der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit niedriger als der in Deutschland. Daher hatte im Fall dieses Grenzgängers die in der vorstehenden Randnummer genannte Berechnungsmethode zwangsläufig zur Folge, dass das von ihm bezogene Insolvenzgeld nicht seinem bisherigen Nettoarbeitsentgelt entsprach.
Was die Vereinbarkeit eines solchen Ergebnisses mit Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall, wie oben in Rn. 28 festgestellt, die Befugnis zur Besteuerung des Insolvenzgelds nach dem deutsch-französischen Steuerabkommen der Bundesrepublik Deutschland zusteht. Der Umstand, dass diese das Insolvenzgeld von der Steuer freistellt, gleichzeitig aber bei der Berechnung seiner Höhe einen Abzug vorsieht, der der Einkommensteuer zu dem im Inland geltenden Steuersatz entspricht, ändert nichts daran, dass mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung im Wesentlichen die Besteuerungsbefugnis dieses Staates zur Ausübung gelangt.
Wie nämlich die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, sind diese Freistellung und der fiktive Abzug insbesondere vorgesehen, um in Anbetracht der Vielzahl von Anträgen auf Insolvenzgeld im Fall der Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens ein zweistufiges Besteuerungsverfahren – Berechnung des Insolvenzgelds unter Berücksichtigung des Bruttoarbeitsentgelts in einem ersten Schritt und Erhebung der Einkommensteuer darauf in einem zweiten Schritt – zu vermeiden.
Desgleichen ist festzustellen, dass, obschon die Methode zur Berechnung des Insolvenzgelds für Grenzgänger wie Herrn Eschenbrenner in § 167 Abs. 2 SGB III, einer Bestimmung des Sozialrechts, geregelt ist, diese Bestimmung gleichwohl auf die Einkommensteuer verweist und deren Berücksichtigung bei der Berechnung der Höhe des Insolvenzgelds vorsieht.
Daraus folgt, dass die Auswirkung dieser nationalen Regelung auf dem Gebiet der Arbeitnehmerfreizügigkeit anhand der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu steuerlichen Maßnahmen zu bewerten ist.
Die Mitgliedstaaten müssen zwar ihre Befugnisse im Bereich der direkten Steuern unter Wahrung des Unionsrechts und insbesondere der vom AEU-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten ausüben (vgl. Urteil vom 23. Februar 2016, Kommission/Ungarn, C-179/14, EU:C:2016:108, Rn. 171 und die dort angeführte Rechtsprechung), doch steht das Unionsrecht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht den nachteiligen Auswirkungen auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit entgegen, die sich aus den Unterschieden zwischen den Steuersätzen in den Mitgliedstaaten ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 1998, Gilly, C-336/96, EU:C:1998:221, Rn. 47 und 53).
Somit kann in Anbetracht der Unterschiede im Steuerrecht der Mitgliedstaaten die Entscheidung eines Arbeitnehmers, seine Freizügigkeit gemäß insbesondere Art. 45 AEUV in Anspruch zu nehmen, für ihn in steuerlicher Hinsicht je nach Einzelfall mehr oder weniger vorteilhaft oder nachteilig sein (vgl. entsprechend zum Diskriminierungsverbot Urteile vom 15. Juli 2004, Lindfors, C-365/02, EU:C:2004:449, Rn. 34, und vom 12. Juli 2005, Schempp, C-403/03, EU:C:2005:446, Rn. 45, zur Niederlassungsfreiheit Urteile vom 6. Dezember 2007, Columbus Container Services, C-298/05, EU:C:2007:754, Rn. 51, und vom 28. Februar 2008, Deutsche Shell, C-293/06, EU:C:2008:129, Rn. 43, sowie zum freien Kapitalverkehr Urteil vom 7. November 2013, K, C-322/11, EU:C:2013:716, Rn. 80).
Im vorliegenden Fall ist zwar das Insolvenzgeld von Herrn Eschenbrenner niedriger als sein Nettoarbeitsentgelt vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers, doch rührt diese nachteilige Folge allein daher, dass der Steuersatz, der in dem Mitgliedstaat zur Anwendung kommt, der das Insolvenzgeld gewährt und dem die Befugnis zu dessen Besteuerung zusteht, zu dem Zeitpunkt, als die Höhe des Insolvenzgelds bestimmt wurde, höher war als der Steuersatz, der in dem Mitgliedstaat zur Anwendung kam, in dem der Arbeitnehmer zu seiner aktiven Zeit wohnte.
Im Übrigen ist es zufallsbedingt, wie sich unterschiedliche steuerliche Regelungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden auf die Höhe des von einem Grenzgänger wie Herrn Eschenbrenner bezogenen Insolvenzgelds auswirken, weil dies von den Gegebenheiten des Einzelfalls abhängt. Der betreffende Betrag kann nämlich je nach den Steuersätzen in den betroffenen Mitgliedstaaten höher oder niedriger ausfallen als das bisherige Nettoarbeitsentgelt des Grenzgängers.
Folglich stehen Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegen, da die nachteilige Folge, um die es im Ausgangsverfahren geht, allein auf die Unterschiede zwischen den Steuersätzen in den beteiligten Mitgliedstaaten zurückgeht.
Diese Schlussfolgerung wird durch die Überlegungen des vorlegenden Gerichts zur Richtlinie 2008/94 nicht in Frage gestellt.
Die Richtlinie 2008/94 gilt nach ihrem Art. 1 Abs. 1 für Ansprüche von Arbeitnehmern aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen gegen Arbeitgeber, die zahlungsunfähig sind.
Nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht die soziale Zweckbestimmung dieser Richtlinie darin, allen Arbeitnehmern durch die Befriedigung nicht erfüllter Ansprüche aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen, die sich auf Arbeitsentgelt für einen bestimmten Zeitraum beziehen, auf der Ebene der Europäischen Union einen Mindestschutz bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zu garantieren (vgl. Urteil vom 17. November 2011, van Ardennen, C-435/10, EU:C:2011:751, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie in diesem Sinne Urteil vom 24. November 2016, Webb-Sämann, C-454/15, EU:C:2016:891, Rn. 32 und 35).
Die Mitgliedstaaten müssen deshalb bis zu einer Höchstgrenze, die sie für die Garantie nicht erfüllter Ansprüche festsetzen können, die Befriedigung aller dieser Ansprüche gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. März 2004, Barsotti u. a., C-19/01, C-50/01 und C-84/01, EU:C:2004:119, Rn. 36).
Auch wenn die Garantieeinrichtungen so die Befriedigung dieser unerfüllten Ansprüche namentlich nach Art. 3 der Richtlinie 2008/94 übernehmen müssen, hat aber gemäß Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie die Bestimmung des Begriffs „Arbeitsentgelt“ und die Festlegung seines Inhalts im nationalen Recht zu erfolgen (vgl. Urteil vom 16. Juli 2009, Visciano, C-69/08, EU:C:2009:468, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Demzufolge ist die steuerliche Behandlung nicht erfüllter Ansprüche auf Arbeitsentgelt, wenn ihre Befriedigung gemäß der Richtlinie 2008/94 von Garantieeinrichtungen übernommen wird, im innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten zu regeln. Die entsprechende Regelung darf jedoch nicht die soziale Zweckbestimmung dieser Richtlinie, wie sie oben in Rn. 52 in Erinnerung gerufen worden ist, und – allgemeiner – die Achtung des Unionsrechts beeinträchtigen.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Richtlinie 2008/94 nicht verlangt, dass die Mitgliedstaaten dem Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers einen Ausgleich in Höhe seines bisherigen Bruttoarbeitsentgelts einschließlich insbesondere des darauf entfallenden Steueranteils gewährleisten.
Unter diesen Umständen muss nach der Richtlinie 2008/94 der Arbeitnehmer auch keinen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf den von dem gewährten Insolvenzgeld nicht abgedeckten Steueranteil seines bisherigen Bruttogehalts haben.
Dieser Umstand wirkt sich auch nicht auf die Antwort aus, die dem vorlegenden Gericht in Bezug auf die Vereinbarkeit der betreffenden nationalen Regelung mit Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 zu erteilen ist. Die genannten Bestimmungen verlangen nämlich, wie sich aus der Schlussfolgerung oben in Rn. 49 ergibt, nicht, dass ein Grenzgänger wie Herr Eschenbrenner Insolvenzgeld in Höhe seines bisherigen Bruttogehalts erhält, und sie erfordern infolgedessen auch nicht, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf den von dem gewährten Insolvenzgeld nicht abgedeckten Teil seines bisherigen Bruttogehalts hat.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 dahin auszulegen sind, dass sie dem nicht entgegenstehen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Höhe des Insolvenzgelds, das ein Mitgliedstaat einem Grenzgänger gewährt, der in diesem Staat nicht einkommensteuerpflichtig ist und bei dem das Insolvenzgeld nicht der Steuer unterliegt, ermittelt wird, indem von dem für die Berechnung des Insolvenzgelds maßgeblichen Arbeitsentgelt die Lohnsteuer, wie sie in diesem Staat zur Anwendung kommt, mit der Folge abgezogen wird, dass der Grenzgänger im Gegensatz zu Personen, die in dem betreffenden Staat wohnen und arbeiten, kein Insolvenzgeld erhält, das seinem bisherigen Nettoarbeitsentgelt entspricht. Der Umstand, dass dieser Grenzgänger keinen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf den aufgrund dieses Abzugs nicht erhaltenen Teil seines bisherigen Bruttogehalts besitzt, hat insoweit keine Auswirkung.
Zur zweiten Frage
In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union sind dahin auszulegen, dass sie dem nicht entgegenstehen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Höhe des Insolvenzgelds, das ein Mitgliedstaat einem Grenzgänger gewährt, der in diesem Staat nicht einkommensteuerpflichtig ist und bei dem das Insolvenzgeld nicht der Steuer unterliegt, ermittelt wird, indem von dem für die Berechnung des Insolvenzgelds maßgeblichen Arbeitsentgelt die Lohnsteuer, wie sie in diesem Staat zur Anwendung kommt, mit der Folge abgezogen wird, dass der Grenzgänger im Gegensatz zu Personen, die in dem betreffenden Staat wohnen und arbeiten, kein Insolvenzgeld erhält, das seinem bisherigen Nettoarbeitsentgelt entspricht. Der Umstand, dass dieser Grenzgänger keinen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf den aufgrund dieses Abzugs nicht erhaltenen Teil seines bisherigen Bruttogehalts besitzt, hat insoweit keine Auswirkung.
Ilešič
Prechal
Rosas
Toader
Jarašiūnas
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 2. März 2017.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Zweiten Kammer
M. Ilešič
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
Kontakt zur AOK Rheinland/Hamburg
Persönlicher Ansprechpartner
Firmenkundenservice
E-Mail-Service