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BSG 26.11.2020 - B 14 AS 13/19 R
BSG 26.11.2020 - B 14 AS 13/19 R - (Grundsicherung für Arbeitsuchende - Versagungsbescheid wegen fehlender Mitwirkung - Überprüfung der Erwerbsfähigkeit im Verfahren nach § 44a SGB 2 - Nichterteilung einer Schweigepflichtsentbindung zur Weiterleitung des Gutachtens des Ärztlichen Dienstes der BA an den Rentenversicherungsträger zur Erstellung der gutachterlichen Stellungnahme zur Erwerbsfähigkeit - erhebliche Erschwerung der Sachverhaltsaufklärung - Kausalität)
Normen
§ 66 Abs 1 S 1 SGB 1, § 66 Abs 3 SGB 1, § 60 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 1, § 65 Abs 1 SGB 1, § 44a Abs 1 S 1 SGB 2, § 44a Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2, § 44a Abs 1 S 4 SGB 2, § 44a Abs 1 S 5 SGB 2, § 44a Abs 1 S 7 SGB 2, § 44a Abs 2 SGB 2, § 109a Abs 3 SGB 6
Vorinstanz
vorgehend SG Heilbronn, 25. Februar 2016, Az: S 3 AS 2232/14, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 2. Mai 2018, Az: L 7 AS 1264/16, Beschluss
Leitsatz
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Aus dem Rechtsverhältnis zwischen Jobcenter und hilfebedürftiger Person ergeben sich auch Mitwirkungsobliegenheiten ihrerseits gegenüber dem Rentenversicherungsträger im Hinblick auf die von diesem abzugebende gutachterliche Stellungnahme zu ihrer Erwerbsfähigkeit.
Tenor
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Auf die Revision der Klägerin werden der Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 2. Mai 2018, das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25. Februar 2016 und der Bescheid des Beklagten vom 24. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Mai 2014 aufgehoben.
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Der Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits für alle drei Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand
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Im Streit steht die Versagung von Leistungen nach dem SGB II gegenüber der Klägerin seitens des beklagten Jobcenters für Februar bis Juli 2014 wegen ihrer fehlenden Mitwirkung an der Feststellung ihrer Erwerbsfähigkeit.
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Die 1983 geborene Klägerin stand seit 2005 im Leistungsbezug nach dem SGB II. Der Ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit verneinte nach beigezogenen ärztlichen Unterlagen im Teil B eines Gutachtens nach Aktenlage vom 27.9.2010 ein ausreichendes Leistungsvermögen der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt; es bestehe eine Ernährungsproblematik und es sei von einer psychischen Problematik auszugehen. Nach Widerspruch des Sozialhilfeträgers vom 12.12.2011 gegen diese Beurteilung wurde die Deutsche Rentenversicherung um eine gutachterliche Stellungnahme gebeten (Schreiben vom 28.11.2012), wofür diese die vollständige Vorlage des Gutachtens des Ärztlichen Dienstes als notwendig ansah. Die Klägerin übersandte ein Attest ihres Hausarztes und Unterlagen des Universitätsklinikums U, stimmte aber einer Beiziehung des vollständigen Gutachtens des Ärztlichen Dienstes nicht zu, weil das Gutachten falsch und ohne ihr Wissen erstellt worden sei.
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Nach Eingang des Weiterbewilligungsantrags der Klägerin vom Februar 2014 forderte der Beklagte sie - wie bereits zuvor mehrfach - unter Hinweis auf die Folgen fehlender Mitwirkung auf, in die Übermittlung des vollständigen Gutachtens einzuwilligen (Schreiben vom 20.3.2014) und versagte nach fruchtlosem Fristablauf die Leistungen - wie für vorangegangene Bewilligungszeiträume - ab dem 1.2.2014 ganz (Bescheid vom 24.4.2014; Widerspruchsbescheid vom 23.5.2014).
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Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25.2.2016), das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Beschluss vom 2.5.2018): Die Voraussetzungen für eine Leistungsversagung seien gegeben. Die Klägerin sei der Aufforderung zur Weitergabe der erforderlichen Unterlagen nicht nachgekommen. Ohne Sanktionierung dessen hätte sie einen zeitlich unbegrenzten Anspruch nach § 44a Abs 1 Satz 7 SGB II. Auf die Rechtsfolgen fehlender Mitwirkung sei sie hingewiesen worden. Für krankheitsbedingte Mitwirkungshindernisse bestünden keine Anhaltspunkte.
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Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin ua die Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des § 67 SGB X sowie von §§ 66, 60 SGB I. Das Gutachten des Ärztlichen Dienstes sei auf Befundberichte gestützt, die ohne ihre Zustimmung aufgrund von Schweigepflichtentbindungserklärungen ihres damaligen Betreuers beigezogen worden seien. Diese habe er nicht wirksam abgeben können, was die Unverwertbarkeit des Gutachtens zur Folge habe und dem Mitwirkungsverlangen, auf das sich die Versagungsentscheidung stütze, die Grundlage entziehe.
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Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 2. Mai 2018, das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25. Februar 2016 und den Bescheid des Beklagten vom 24. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Mai 2014 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Der Beschluss des LSG und das Urteil des SG, die den Bescheid des beklagten Jobcenters als rechtmäßig angesehen haben, sind ebenso wie der Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids aufzuheben. Denn die Voraussetzungen für eine Versagung der Leistungen nach § 66 SGB I lagen gegenüber der Klägerin nicht vor.
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1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom 24.4.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.5.2014, durch den der Beklagte die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II mit Wirkung ab dem 1.2.2014 vollständig versagt hat, im Hinblick auf den für den Zeitraum ab dem 1.8.2014 gestellten Weiterbewilligungsantrag zeitlich begrenzt bis zum 31.7.2014 (vgl zur zeitlichen Begrenzung des Streitzeitraums allgemein BSG vom 24.5.2017 - B 14 AS 16/16 R - BSGE 123, 188 = SozR 4-4200 § 9 Nr 16, RdNr 13 mwN; zur den streitigen Zeitraum begrenzenden Wirkung eines neuen Leistungsantrags BSG vom 22.3.2012 - B 4 AS 99/11 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 18 RdNr 11).
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2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Insbesondere hat sich das Verfahren nicht erledigt durch den Vergleich in dem Verfahren - L 12 AS 5185/13 - der Beteiligten vor dem LSG, weil dieser keine endgültige Regelung enthielt, sondern wegen der Übermittlung des Gutachtens ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Einverständniserklärung der Klägerin stand, weshalb ihre Mitwirkungsobliegenheit durch den Vergleich selbst nicht anerkannt ist und er dem Klagebegehren nicht entgegensteht. Dieses verfolgt die Klägerin im Revisionsverfahren zutreffend nur noch mit der (isolierten) Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGG; vgl nur BSG vom 19.9.2008 - B 14 AS 45/07 R - BSGE 101, 260 = SozR 4-1200 § 60 Nr 2, RdNr 12).
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3. Rechtsgrundlage des umstrittenen Versagungsbescheids ist § 66 Abs 1 Satz 1, Abs 3 SGB I in der Fassung, die das SGB I zuletzt durch das BUK-Neuorganisationsgesetz vom 19.10.2013 (BGBl I 3836) erhalten hatte (Geltungszeitraumprinzip, vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f). § 66 Abs 1 Satz 1 SGB I lautet: "Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 (SGB I) nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind." Leistungen können danach ua versagt werden, wenn Antragsteller dem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers nicht nachkommen, der Vorlage von Beweisurkunden zuzustimmen (§ 60 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB I), soweit nicht Grenzen der Mitwirkung überschritten sind (§ 65 SGB I).
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Aufgrund des Fehlens einer abweichenden Regelung (vgl § 37 SGB I) gelten diese Vorschriften auch für das Verfahren zur Feststellung von Erwerbsfähigkeit nach § 44a Abs 1 bis 3 SGB II, wenn begründete Zweifel an der Erwerbsfähigkeit der hilfebedürftigen Person ohne deren Mitwirkung nicht auszuräumen sind. Dem steht die Nahtlosigkeitsregelung in § 44a Abs 1 Satz 7 SGB II, wonach Leistungen nach dem SGB II bei Erfüllung der übrigen Leistungsvoraussetzungen bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens zu erbringen sind, nicht entgegen. Die Versagung von Leistungen wegen fehlender Mitwirkung an der Aufklärung der Erwerbsfähigkeit ist von der materiellen Ablehnung von Leistungen zu unterscheiden, weil bei nachgeholter Mitwirkung die Leistungen nachgezahlt werden können (§ 67 SGB I; vgl Gutzler in Lilge/Gutzler, SGB I, 5. Aufl 2019, RdNr 28; Spellbrink in KassKomm Sozialversicherungsrecht, § 66 SGB I RdNr 31, Stand der Einzelkommentierung 8/2019). § 44a Abs 1 Satz 7 SGB II soll verhindern, dass Leistungsempfänger "zwischen zwei Stühlen sitzen", bis ihre Erwerbsfähigkeit geklärt ist, und einen Zuständigkeitsstreit zu Lasten des Leistungsempfängers vermeiden (BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 19 f). Die Norm soll jedoch nicht die Erforderlichkeit von Ermittlungen, die Erheblichkeit von Beweismitteln und die Mitwirkungsobliegenheiten hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit aufheben.
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4. Von den "strengen" (so die Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Drucks 7/868 S 34) Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Versagungsbescheids nach § 66 Abs 1 Satz 1 SGB I ist zumindest die "erhebliche Erschwerung der Aufklärung des Sachverhalts" durch das Nichtmitwirken der Klägerin, indem sie die Schweigepflichtentbindung zur vollständigen Vorlage des Gutachtens des Ärztlichen Dienstes vom 27.9.2010 nicht abgab, nach den Feststellungen des LSG nicht erfüllt.
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Dass ein Nichtmitwirken der antragstellenden Person - und sei es nur hinsichtlich bestimmter Angaben oder Unterlagen - oftmals zu einer Erschwerung der Sachverhaltsaufklärung führt, liegt auf der Hand. Dies verhindern sollen die Mitwirkungsobliegenheiten in §§ 60 ff SGB I und die Pflicht der Beteiligten in § 21 Abs 2 SGB X, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken (vgl zum grundsätzlichen Bestehen von Mitwirkungs"pflichten" nach §§ 60 ff SGB I, die keine Pflichten im klassischen Sinne, sondern nur Obliegenheiten sind, und den Ermittlungsbefugnissen der Leistungsträger BSG vom 17.2.2004 - B 1 KR 4/02 R - SozR 4-1200 § 66 Nr 1 RdNr 13; zum SGB II BSG vom 19.9.2008 - B 14 AS 45/07 R - BSGE 101, 260 = SozR 4-1200 § 60 Nr 2, RdNr 13 ff).
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Die Nichterfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten allein rechtfertigt die sich aus § 66 SGB I ergebende Rechtsfolge "Versagung" nicht, vielmehr muss "hierdurch" die Aufklärung des Sachverhalts "erheblich" erschwert werden, wie dem Wortlaut dessen Abs 1 Satz 1 klar zu entnehmen ist. Erforderlich sind eine Kausalität (vgl dazu schon die Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Drucks 7/868 S 34; BVerwG vom 17.1.1985 - 5 C 133/81 - BVerwGE 71, 8, juris-RdNr 13; BSG vom 10.7.1986 - 11a RLw 3/85 - SozR 5850 § 7 Nr 2 juris-RdNr 13) und ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen unterlassener Mitwirkung und den Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsaufklärung (vgl zu einer Verzögerung seitens des Klägers BSG vom 26.5.1983 - 10 RKg 13/82 - SozR 1200 § 66 Nr 10 juris-RdNr 13). Zudem muss die Erschwerung erheblich sein, was insbesondere gegeben ist, wenn der Leistungsträger den Sachverhalt ohne die Mitwirkungshandlung nur mit beträchtlichem zusätzlichen Verwaltungsaufwand an Zeit und/oder Kosten aufklären kann. Maßgeblich dafür sind die jeweilige Fallgestaltung und Umstände des Einzelfalls. Führt eine Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit nicht zu einer erheblichen Erschwerung der Aufklärung, bleibt sie ohne Konsequenzen (vgl zu alledem Gutzler in Lilge/Gutzler, SGB I, 5. Aufl 2019, § 66 RdNr 18 f; Sichert in Hauck/Noftz, SGB I, § 66 RdNr 13, Stand der Einzelkommentierung 11/2011; Spellbrink in KassKomm Sozialversicherungsrecht, § 66 SGB I RdNr 14, Stand der Einzelkommentierung 8/2019; Voelzke in jurisPK-SGB I, 3 Aufl 2018, § 66 RdNr 34, 37, Stand der Einzelkommentierung 30.10.2020). Eine erhebliche Erschwerung liegt zudem vor, wenn die Aufklärung des Sachverhalts durch die fehlende Mitwirkung unmöglich gemacht wird (BT-Drucks 7/868 S 34; BSG vom 22.2.1995 - 4 RA 44/94 - BSGE 76, 16 = SozR 3-1200 § 66 Nr 3, juris-RdNr 30).
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5. Zweck der strittigen Mitwirkungsobliegenheit der Klägerin ist ein Verfahren zur Feststellung ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 44a Abs 1 bis 3 SGB II in der ab 1.4.2011 geltenden Fassung aufgrund der Neubekanntmachung des SGB II vom 13.5.2011 (BGBl I 850).
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a) Diese Regelung beinhaltet einen Streitbeilegungsmechanismus für Fälle, in denen bei ungeklärter Erwerbsfähigkeit (§ 8 Abs 1 SGB II) Streit über die Leistungszuständigkeit zwischen Leistungsträgern besteht. Bis die Frage der Erwerbsfähigkeit im Verfahren nach § 44a Abs 1 ff SGB II verbindlich geklärt ist, hat das Jobcenter trotz Zweifeln an der Erwerbsfähigkeit einer Person dieser aufgrund der Nahtlosigkeitsregelung in § 44a Abs 1 Satz 7 SGB II Leistungen nach dem SGB II zu erbringen (vgl grundlegend BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 19 f).
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Zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen dieses Verfahrens formell zuständig ist auch im Streitfall die Agentur für Arbeit (§ 44a Abs 1 Satz 1 SGB II), die dabei jedoch an die von ihr einzuholende "gutachterliche Stellungnahme" des Rentenversicherungsträgers - ebenso wie andere Leistungsträger - gebunden ist (§ 44a Abs 1a Satz 2, Abs 2 Halbsatz 1 SGB II). Anlass zur Befassung des Rentenversicherungsträgers gibt der "Widerspruch" ua des bei voller Erwerbsminderung zuständigen Trägers (§ 44a Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II) gegen die von der Agentur für Arbeit - auf der ersten Stufe - zunächst in eigener Verantwortung getroffene feststellende "Entscheidung" nach § 44a Abs 1 Satz 1 SGB II. Darauf hat der Rentenversicherungsträger - auf der zweiten Stufe - gemäß § 109a Abs 3 SGB VI eine eigenständige Prüfung vorzunehmen und eine gutachterliche Stellungnahme dazu abzugeben, "ob hilfebedürftige Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet haben, erwerbsfähig im Sinne des § 8 des Zweiten Buches sind" (Satz 1). Ergibt dies, "dass Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs 2 Satz 2 SGB II sind, ist ergänzend zu prüfen, ob es unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann" (Satz 2).
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Aus diesem gesetzlich vorgegebenen Verfahrensablauf folgt, dass weder die Feststellung der Erwerbsfähigkeit durch die Agentur für Arbeit nach § 44a Abs 1 Satz 1 SGB II noch die gutachterliche Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers ein eigenständiges, mit einem gesonderten Feststellungsbescheid abzuschließendes Feststellungsverfahren erfordern, sondern als Vorfragen im Zusammenhang mit der für den Bewilligungsbescheid zu prüfenden Leistungsgewährung geregelt sind (vgl Korte in LPK-SGB II, 7. Aufl 2021, § 44a RdNr 10; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, K § 44a RdNr 44, Stand der Einzelkommentierung 4/2019).
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b) Erfordert im Hinblick auf die Erwerbsfähigkeit der hilfebedürftigen Person die Ermittlung des Sachverhalts (§ 20 SGB X) deren Mitwirkung oder die Beiziehung von Behandlungsunterlagen, richten sich das Verfahren und die Folgen der Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten nach den insoweit für das SGB II allgemein geltenden Vorschriften der §§ 60 ff SGB I (vgl nur BSG vom 19.9.2008 - B 14 AS 45/07 R - BSGE 101, 260 = SozR 4-1200 § 60 Nr 2, RdNr 14 f mwN). Werden hiernach rechtmäßig begründete Mitwirkungsobliegenheiten verletzt, kann das eine Versagung von existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II rechtfertigen (zur Anwendbarkeit des § 66 SGB I im Rahmen des SGB II vgl BSG vom 19.9.2008 - B 14 AS 45/07 R - BSGE 101, 260 = SozR 4-1200 § 60 Nr 2, RdNr 14).
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c) Diese Obliegenheiten und die Folgen ihrer Verletzung gelten uneingeschränkt auch dann, wenn die Feststellung nach § 44a Abs 1 SGB II in das Gutachtenverfahren beim Rentenversicherungsträger nach § 44a Abs 1 Satz 5 SGB II übergegangen ist. Insoweit begründet das Rechtsverhältnis zwischen Jobcenter und hilfebedürftiger Person zugleich Mitwirkungsobliegenheiten im Verhältnis zum Rentenversicherungsträger, soweit die abzugebende gutachterliche Stellungnahme zur Erwerbsfähigkeit die Beiziehung ärztlicher Unterlagen nach § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB I oder ärztliche oder psychologische Untersuchungen gemäß § 62 SGB I erfordert. Kommt die Person den erforderlichen Mitwirkungshandlungen nicht nach, erschwert das die Aufklärung des Sachverhalts (§ 66 Abs 1 Satz 1 SGB I) für die von der Agentur für Arbeit auf der Grundlage der Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers zu treffende Feststellung nach § 44a Abs 1 Satz 1 SGB II und damit die Entscheidung über den Leistungsanspruch der Person unter Berücksichtigung der gutachterlichen Feststellung zu ihrer - aktuell bestehenden oder fehlenden - Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 1 SGB II.
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Hinsichtlich welcher Angaben, Unterlagen oder Untersuchungen die Mitwirkung der hilfebedürftigen Person gefordert werden darf, ist anhand der §§ 60 ff SGB I zu entscheiden. Zur Einwilligung in die Beiziehung ärztlicher Unterlagen oder zur Duldung einer ärztlichen oder psychologischen Untersuchung für die Zwecke des Feststellungsverfahrens nach § 44a Abs 1 SGB II darf eine hilfebedürftige Person nur aufgefordert werden, soweit Zweifel an ihrer Erwerbsfähigkeit anders nicht auszuräumen sind. Leistet eine hilfebedürftige Person einem grundsätzlich berechtigten Mitwirkungsverlangen zur Klärung ihrer Erwerbsfähigkeit keine Folge, dürfen existenzsichernde Leistungen nicht versagt werden, wenn nicht auszuschließen ist, dass ihr die Mitwirkungshandlung krankheitsbedingt unmöglich ist, was insbesondere bei "psychischen Problematiken", die das Gutachten des Ärztlichen Dienstes vorliegend anführt, der Fall sein kann. Der bloße Umstand, dass der Rentenversicherungsträger eine Unterlage als notwendig ansieht, begründet keine derartige Mitwirkungsobliegenheit oder gar Pflicht der hilfebedürftigen Person, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 60 ff SGB I nicht erfüllt sind.
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d) Ein möglicher verwaltungsinterner Konflikt zwischen Arbeitsagentur und Rentenversicherungsträger ist im Zweifel mit Hilfe der Aufsichtsbehörden zu klären, ein gerichtliches Verfahren - wie zB bei einem Streit um die Hilfebedürftigkeit nach § 44a Abs 4 ff SGB II - sieht das Verfahren zur Klärung der Erwerbsfähigkeit nach § 44a Abs 1 ff SGB II zwischen beiden Behörden nicht vor. Eine gerichtliche Entscheidung in einem Rechtsstreit zwischen Jobcenter und leistungsberechtigter Person - wie vorliegend - über die Mitwirkungsobliegenheit der letzteren ist entsprechend dem Regelungskonzept des § 44a Abs 1 ff SGB II auch für den Rentenversicherungsträger bindend.
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6. Die Voraussetzung "erhebliche Erschwerung der Aufklärung des Sachverhalts" für einen Versagungsbescheid nach § 66 Abs 1 Satz 1 SGB I ist vorliegend nicht erfüllt. Das LSG hat sich zwar mit dieser Voraussetzung nicht beschäftigt und keine ausdrücklichen Ausführungen dazu gemacht, wieso die Nichterteilung der Schweigepflichtentbindung seitens der Klägerin zur vollständigen Vorlage des Gutachtens des Ärztlichen Dienstes vom 27.9.2010 zu einer erheblichen Erschwerung der Sachverhaltsaufklärung bezogen auf die Feststellung ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 44a Abs 1 ff SGB II geführt hat. Dennoch können dem ausführlichen Beschluss des LSG hinreichende Feststellungen entnommen werden, sodass diese Voraussetzung ohne weitere Feststellungen vorliegend zu verneinen ist.
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Ausgehend von den dargestellten Maßstäben zur Beurteilung dieser Voraussetzung (siehe oben 4.) kann eine Zeitverzögerung hinsichtlich des Verfahrens zur Klärung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin aufgrund ihrer Nichtmitwirkung, die zu einer erheblichen Erschwerung der Sachverhaltsaufklärung geführt hat, angesichts der behördlichen Arbeitsweisen und Zeitabläufe nicht angenommen werden (zur gesetzlich angeordneten zügigen Durchführung von Verwaltungsverfahren § 9 Satz 2 SGB X): Das strittige Gutachten des Ärztlichen Dienstes datiert vom 27.9.2010, das Schreiben des Sozialhilfeträgers, in dem dieser der Beurteilung des Gutachtens widersprach, datiert vom 12.12.2011 und der Auftrag des Beklagten an den Rentenversicherungsträger vom 28.11.2012. Zwischen jedem der behördlichen Verfahrensschritte lag demgemäß circa ein Jahr, selbst wenn die Neuregelung des § 44b SGB II zum 1.1.2011 in den Blick genommen wird. Erstmals mit Schreiben vom 11.2.2013 forderte der Beklagte die Klägerin auf, innerhalb von zwei Wochen die beigefügte Entbindungserklärung unterschrieben zurückzusenden.
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Angesichts dieser langen Zeit von September 2010 bis zu dieser ersten Aufforderung vom 11.2.2013 an die Klägerin und später bis zu der Aufforderung vom 20.3.2014, die dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegt, ist nicht zu erkennen, dass das Gutachten vom 27.9.2010 für die im Februar/März 2013 oder gar die im März/April 2014 zu treffende Beurteilung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin von erheblicher Bedeutung für die Aufklärung des Sachverhalts hätte sein können. Nach den vom LSG festgestellten Aussagen in dem vorliegenden Teil B des Gutachtens lag ein ausreichendes Leistungsvermögen der Klägerin für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht vor; es handele sich um eine dauerhafte Einschränkung der Leistungsfähigkeit, das Leistungsvermögen liege dauerhaft unter drei Stunden täglich, es liege eine Ernährungsproblematik vor, die bereits mehrfach zu schwerwiegenden lebensbedrohlichen Komplikationen geführt habe, darüber hinaus sei von einer psychischen Problematik auszugehen.
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Dass ein Zeitabstand von annähernd bzw über drei Jahren von Bedeutung bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit nach §§ 8, 44a Abs 1 ff SGB II, die mit der Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI korrespondiert, ist, folgt aus § 102 Abs 2 SGB VI über die Befristung von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
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Wird die abzugebende gutachterliche Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers über die Erwerbsfähigkeit der Klägerin nach § 44a Abs 1 SGB II mit der Entscheidung über das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nach § 43 SGB VI verglichen, so wird vollends deutlich, dass für eine solche medizinische Beurteilung im Februar/März 2013 oder März/April 2014 die Vorlage des vollständigen Gutachtens des Ärztlichen Dienstes vom 27.9.2010 zwar wünschenswert, aber keinesfalls streitentscheidend wäre. Zur Klärung der medizinischen Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente wird im Verwaltungsverfahren in aller Regel ein Gutachten nach körperlicher Untersuchung eingeholt und in einem sich bei einem ablehnenden Bescheid anschließenden Gerichtsverfahren in aller Regel ebenfalls zumindest ein Gutachten, ggf nach stationärer Untersuchung. Auch wenn ein Gutachten oder eine gutachterliche Stellungnahme nach Untersuchung eine Erschwerung gegenüber einem Gutachten nach Aktenlage darstellt, ist ein solches für eine realistische Beurteilung des Leistungsvermögens gerade bei einem Krankheitsbild mit einer "psychischen Problematik" oft unentbehrlich. Unterlagen, die wie vorliegend über zwei oder gar drei Jahre alt sind, sind in der Regel für die Beurteilung der aktuellen Erwerbsfähigkeit ohne Bedeutung. Von daher erschließt es sich nicht, wieso für die Entscheidung über die Erwerbsfähigkeit der Klägerin im März/April 2014, im vorliegend maßgeblichen Zeitraum, das Gutachten des Ärztlichen Dienstes vom 27.9.2010 überhaupt (noch) von derartigem Gewicht war, dass die Aufklärung des Sachverhalts hinsichtlich der abzugebenden gutachterlichen Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers von dessen vollständiger Vorlage abhing.
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7. Ob der Beklagte das vor einer Versagungsentscheidung auszuübende Ermessen (vgl zur Ermessensausübung allgemein nur BSG vom 29.4.2015 - B 14 AS 19/14 R - BSGE 119, 17 = SozR 4-4200 § 31a Nr 1, RdNr 35 ff) zutreffend ausgeübt hat, kann im Ergebnis dahingestellt bleiben. Zweifel bestehen jedoch insbesondere im Hinblick auf die aufgezeigten zeitlichen Verzögerungen auf Behördenseite und das beharrliche Festhalten des Jobcenters an der vollständigen Vorlage eines bestimmten ärztlichen Gutachtens nach Aktenlage, dessen Bedeutung für die zu treffende Entscheidung Zweifeln unterliegt, während es zahlreiche Möglichkeiten gab und gibt, die entscheidende Frage durch andere Beweiserhebungen zu klären, wie insbesondere eine gutachterliche Untersuchung der Klägerin. Ebenfalls dahingestellt bleiben kann eine Entscheidung über die im Mittelpunkt der Revisionsbegründung stehenden Fragen zum Datenschutz (vgl dazu letztens BSG vom 14.5.2020 - B 14 AS 7/19 R - vorgesehen für BSGE und SozR).
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
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