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BSG 30.10.2019 - B 14 AS 7/19 B
BSG 30.10.2019 - B 14 AS 7/19 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verwerfung der Berufung als unzulässig durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung - Ermessensentscheidung - Berufung gegen einen Gerichtsbescheid - Feststehen einer mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht - absoluter Revisionsgrund
Normen
§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 158 S 1 SGG, § 158 S 2 SGG, § 105 Abs 2 S 2 SGG, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, Art 19 Abs 4 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Neubrandenburg, 20. Oktober 2017, Az: S 13 AS 565/17, Gerichtsbescheid
vorgehend Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, 26. November 2018, Az: L 8 AS 557/17, Beschluss
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 26. November 2018 - L 8 AS 557/17 - aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG vom 26.11.2018 ist zulässig, denn er hat mit ihr eine Verletzung von § 158 Satz 2 SGG und zugleich einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Die Beschwerde ist auch begründet.
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Nach § 158 Satz 2 SGG kann die Entscheidung über die Verwerfung der Berufung als unzulässig durch Beschluss ergehen. Damit ist dem Berufungsgericht - insoweit vergleichbar der Regelung des § 153 Abs 4 Satz 1 SGG - Ermessen eingeräumt, durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Die Ermessensentscheidung kann im Revisionsverfahren zwar nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen erkennbar fehlerhaft Gebrauch gemacht, dh etwa sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde gelegt hat. Allerdings verbietet es im Regelfall das Gebot fairen und effektiven Rechtsschutzes sowie das Recht auf eine mündliche Verhandlung, über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung nach § 158 Satz 2 SGG zu entscheiden, wenn diese sich gegen einen Gerichtsbescheid richtet (vgl BSG vom 8.11.2005 - B 1 KR 76/05 B - SozR 4-1500 § 158 Nr 2 RdNr 7 ff; BSG vom 12.7.2012 - B 14 AS 31/12 B - SozR 4-1500 § 105 Nr 3 RdNr 5; BSG vom 8.4.2014 - B 8 SO 22/14 B - RdNr 6 f; zuletzt Westermann, jurisPR-SozR 18/2019 Anm 4).
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Vorliegend hat das LSG in Verletzung dieses Grundsatzes durch Beschluss nach § 158 Satz 2 SGG entschieden, obwohl sich die Berufung gegen einen Gerichtsbescheid gerichtet hat. Zwar ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass eine Entscheidung nach § 158 Satz 2 SGG in einer solchen Konstellation ausnahmsweise zulässig sein kann. Dies ist etwa der Fall, wenn sicher feststeht, dass in der Sache noch eine mündliche Verhandlung vor dem SG stattfinden wird (so für den vorrangigen Antrag des Gegners auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs 2 Satz 3 SGG: BSG vom 12.7.2012 - B 14 AS 31/12 B - SozR 4-1500 § 105 Nr 3). Ob durch Beschluss entschieden werden kann, wenn ein Beteiligter von seiner Möglichkeit, mündliche Verhandlung nach § 105 Abs 2 Satz 2 SGG zu beantragen, keinen Gebrauch macht, hat der Senat seinerzeit offengelassen (BSG aaO RdNr 13 mwN zum Meinungsstand). Jedenfalls im vorliegenden Fall ist kein Raum für eine solche Ausnahme: Das SG hatte in seinem dem Kläger am 27.10.2017 zugestellten Gerichtsbescheid ausdrücklich nur über das Rechtsmittel Berufung belehrt. Erstmals hingewiesen auf eine mögliche Unzulässigkeit der Berufung hat das LSG in seinem Anhörungsschreiben vom 16.10.2018. Davon ausgehend, dass wegen der - bei Unzulässigkeit der Berufung - falschen Rechtsmittelbelehrung des SG die mündliche Verhandlung vor dem SG noch binnen einer Frist von einem Jahr hätte beantragt werden können (§§ 105 Abs 2 Satz 1 und 2, 66 Abs 1 und Abs 2 Satz 1 SGG), wäre dem Kläger hierfür ein deutlich zu kurzer Zeitraum von nur einigen Tagen verblieben.
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Hinzu kommt, dass das LSG zur Begründung seiner Auffassung in dem Anhörungsschreiben allein auf einen Änderungsbescheid vom 29.4.2016 Bezug genommen hat, der im Verfahren bisher keine Rolle spielte. Es erschließt sich auch nicht ohne Weiteres, worauf der Kläger zu Recht hinweist, warum eine auf Überprüfung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides über einen Betrag von ca 2000 Euro gerichtete Klage durch eine spätere Leistungsbewilligung, bei der nicht problematisiert wird, ob und in welcher Weise sie Bedeutung für den Gegenstand des Klageverfahrens haben kann, den Wert des Beschwerdegegenstandes iS von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG einschränken soll. Diese Fragen hätten in einer - vom LSG auch zunächst anberaumten - mündlichen Verhandlung möglicherweise einer Klärung zugeführt werden können.
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Bei seiner Entscheidung über die Berufung des Klägers durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter war das LSG nicht vorschriftsmäßig besetzt. Denn eine Verletzung des § 158 Satz 2 SGG führt zur unvorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts nur mit den Berufsrichtern und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes (§ 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG), bei dem eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen ist (vgl letztens etwa BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 155/16 B - juris RdNr 4). Dieser die angefochtene Entscheidung des LSG insgesamt betreffende absolute Revisionsgrund führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 SGG).
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Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.
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