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BSG 17.12.2013 - B 11 AL 82/13 B
BSG 17.12.2013 - B 11 AL 82/13 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss - neuer entscheidungserheblicher Tatsachenvortrag und Berufungsbegründung nach Anhörung - Verletzung der Pflicht zur erneuten Anhörung
Normen
§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 62 SGG, § 76 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB 4
Vorinstanz
vorgehend SG Karlsruhe, 7. Dezember 2012, Az: S 17 AL 4839/11, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 21. Mai 2013, Az: L 3 AL 457/13Bes
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Mai 2013 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Der Kläger begehrt die Stundung einer Erstattungsforderung der Beklagten.
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Den Stundungsantrag des Klägers lehnte die Beklagte wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 76 Abs 2 S 1 Nr 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) ab (Bescheid vom 9.2.2011, Widerspruchsbescheid vom 27.10.2011). Die sofortige Einziehung der Rückforderung stelle keine erhebliche Härte dar; zudem werde durch eine Stundung der Anspruch gefährdet.
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Das Sozialgericht (SG) hat nach mündlicher Verhandlung die auf Aufhebung der Bescheide der Beklagten sowie auf Neubescheidung des Stundungsantrags gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 7.12.2012). Die ursprünglich erlassene Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers ist im Termin aufgehoben worden, weil der Kläger am Verhandlungstag arbeitsunfähig erkrankt gewesen ist. Das SG ist davon ausgegangen, der Kläger werde auch nach einer Stundung nicht eher in der Lage sein, die Forderung der Beklagten zu erfüllen.
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Gegen dieses Urteil hat der Kläger fristgerecht Berufung eingelegt, diese jedoch zunächst nicht innerhalb der hierfür vom Landessozialgericht (LSG) gesetzten Frist begründet. Daraufhin hat das LSG die Beteiligten zu einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört. Innerhalb der zugleich gesetzten Frist zur Stellungnahme hat der Kläger die Berufung begründet und ua vorgetragen, durch eine Stundung werde der Anspruch der Beklagten nicht gefährdet. Zwar blieben seine Einnahmen tatsächlich voraussichtlich konstant; seine Belastungen würden aber stetig geringer. Die Restschuld des Wohnungsbeschaffungsdarlehens schwinde durch stetige Tilgung, die Unterhaltspflicht gegenüber seinem Sohn ende in absehbarer Zeit und seine Ehefrau könne in Kürze die Rückzahlung eines Sparbriefs erwarten.
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Mit Beschluss vom 21.5.2013 hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG durch Entscheidung der Berufsrichter nach § 153 Abs 4 SGG zurückgewiesen. Eine mündliche Verhandlung sei auch unter Berücksichtigung der Berufungsbegründung des Klägers nicht erforderlich. Dessen Hinweis auf die stetige Darlehenstilgung zeige, dass er bereits gegenwärtig leistungsfähig sei. Unerheblich sei der Verweis auf Vermögenswerte seiner Ehefrau, weil diese offenbar nicht gewillt sei, sich an der Tilgung der Erstattungsforderung der Beklagten zu beteiligen. Auch auf den bevorstehenden Wegfall der Unterhaltspflicht gegenüber seinem Sohn komme es nicht an.
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Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger als Verfahrensmangel eine Verletzung des § 153 Abs 4 SGG mit der Folge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts und eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs. Mit der Vorgehensweise, durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 SGG zu entscheiden, habe das LSG ihm die Möglichkeit der Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung genommen, in der er die - aus Sicht des LSG entscheidungserheblichen, aber nicht vollständig geklärten - Tatsachenfragen hätte beantworten können. Der Auffassung des LSG, es könne ohne mündliche Verhandlung entscheiden, liege eine grobe Fehleinschätzung zugrunde. Es fehle zumindest an einer erneuten Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs 4 S 2 SGG, die erforderlich geworden sei, nachdem sich die Prozesssituation seit der erfolgten Anhörung durch die Vorlage der Berufungsbegründung wesentlich geändert habe.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und begründet. Der Beschwerdeführer hat einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG schlüssig bezeichnet (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Dieser Verfahrensmangel liegt auch tatsächlich vor.
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Der angefochtene Beschluss des LSG ist unter Verletzung des § 153 Abs 4 SGG ergangen. Damit ist auch der Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
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Nach § 153 Abs 4 S 1 SGG kann das LSG, außer in den Fällen des § 105 Abs 2 S 1 SGG, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Formale Voraussetzung für eine solche Vorgehensweise des LSG ist die vorherige Anhörung der Beteiligten (§ 153 Abs 4 S 2 SGG). Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an einer ordnungsgemäßen Anhörung.
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Die Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 S 2 SGG ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots des rechtlichen Gehörs, das auch bei Anwendung des vereinfachten Verfahrens im Berufungsrechtszug nicht verletzt werden darf (BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 5 RdNr 5 mwN). Dies beinhaltet nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass eine neue Anhörungsmitteilung erfolgen muss, wenn sich gegenüber der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesssituation entscheidungserheblich geändert hat (zuletzt BSG vom 28.2.2013 - B 8 SO 33/12 B - Juris RdNr 8; vgl auch ua BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 15 RdNr 10 mwN). Dies ist etwa der Fall, wenn nach Zugang der Anhörungsmitteilung von einem Beteiligten neue entscheidungserhebliche Tatsachen vorgetragen werden (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 14 RdNr 14 f) oder wenn die Berufung erst dann (substantiiert) begründet wird (Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 153 RdNr 20a unter Hinweis auf BVerwG Buchholz 312 EntlG Nr 32, 50).
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Im Berufungsverfahren hat sich mit der Vorlage der Berufungsbegründung durch den Kläger eine wesentliche Änderung der prozessualen Situation ergeben. Zum Zeitpunkt der Anhörung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG durch das LSG war nicht erkennbar, warum der Kläger das Urteil des SG für unzutreffend hält. Dagegen enthält die Berufungsbegründung substantiierte Angriffe auf die das erstinstanzliche Urteil tragende Erwägung, der Anspruch der Beklagten werde durch eine Stundung gefährdet. Dazu hat der Kläger (nach der Anhörungsmitteilung des LSG) auch neuen Tatsachenvortrag in das Verfahren eingeführt, der - ausgehend von der Rechtsauffassung des LSG - entscheidungserheblich war. Dies gilt insbesondere für die vom Kläger behauptete Verbesserung seiner Zahlungsfähigkeit in naher Zukunft.
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Unter diesen Umständen durfte der Kläger davon ausgehen, dass das LSG ihm entweder Gelegenheit geben würde, seinen Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung zu vertiefen, oder ihm durch eine erneute Anhörungsmitteilung bekanntgeben würde, dass der LSG-Senat sein Rechtsmittel auch unter Berücksichtigung der Berufungsbegründung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Dies hätte dem Kläger etwa Gelegenheit gegeben, vor der Entscheidung des LSG konkrete Beweisanträge zu stellen, um eine weitere Sachverhaltsaufklärung in seinem Sinne zu erreichen (siehe zu dieser Funktion der Anhörungsmitteilung BSG vom 6.6.2001 - B 2 U 117/01 B - Juris RdNr 2). Indem das LSG dies unterlassen und am 21.5.2013 die Berufung des Klägers im Beschlusswege nach § 153 Abs 4 S 1 SGG zurückgewiesen hat, hat es die Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 S 2 SGG und den Anspruch des Klägers auf ein faires Verfahren und auf rechtliches Gehör verletzt.
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Die angefochtene Entscheidung kann auf dem festgestellten Verfahrensmangel beruhen. Es ist nicht auszuschließen ist, dass das LSG infolge des nach einer weiteren Anhörungsmitteilung zu erwartenden vertieften Sachvortrags des Klägers zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
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Bei dem derzeitigen Verfahrensstand erscheint es dem Senat untunlich, sich zu den Voraussetzungen der begehrten Stundung zu äußern. Hingewiesen sei nur darauf, dass zunächst das Vorliegen oder Fehlen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 76 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB IV zu beurteilen ist, ehe es auf eine eventuelle Ermessensentscheidung der Beklagten ankommen kann.
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Da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 160a Abs 5 SGG).
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Die Entscheidung über die Kosten unter Einbeziehung der Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.
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