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BSG 09.03.2010 - B 12 SF 1/10 S
BSG 09.03.2010 - B 12 SF 1/10 S - Sozialgerichtliches Verfahren - örtliche Zuständigkeit - kein Entfallen der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses bei offensichtlichem Irrtum eines Gerichts
Normen
§ 57 Abs 1 S 1 SGG, § 58 Abs 1 Nr 4 SGG, § 98 S 1 SGG, § 17a Abs 1 GVG, § 17a Abs 2 GVG, Art 3 Abs 1 GG, § 21 ZPO
Vorinstanz
vorgehend SG Nürnberg, 22. Januar 2010, Az: S 3 R 45/10 ZVW, Beschluss
Tatbestand
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Der im Zuständigkeitsbereich des Sozialgerichts (SG) Nürnberg wohnende Kläger hat vor dem SG Nürnberg Klage erhoben gegen an ihn gerichtete Bescheide des beklagten Rentenversicherungsträgers, mit dem von ihm als Inhaber der Firma R. e.K. mit Betriebsstätten in N., F. und G. Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 1.12.2002 bis 2.4.2004 nachgefordert wurden. Im Handelsregister des Amtsgerichts G. war am 27.5.2002 die Firma R. e.K., G., mit Hinweis auf Geschäftsräume in G. eingetragen worden. Im Rahmen der Anhörung zu einer beabsichtigten Verweisung an das SG Gießen führte der Kläger aus, tatsächlich habe die Firma R. e.K. ihren Geschäftssitz mittlerweile in G. Der beklagte Rentenversicherungsträger verwies darauf, dass eine Einzelfirma unter der Adresse des Klägers in Nürnberg existiere und von dort sowohl Verträge geschlossen als auch Dispositionen getroffen worden seien sowie dort eine weitere Betriebsprüfung stattgefunden habe.
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Mit Beschluss vom 26.11.2009 hat sich das SG Nürnberg für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Gießen verwiesen. Das SG Gießen hat sich mit Beschluss vom 12.1.2010 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Nürnberg zurückverwiesen. Es hat zur Begründung ua ausgeführt, zuständig sei das SG Nürnberg, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz gehabt habe. Der Beschluss des SG Gießen binde nicht. Die Auffassung, die Eintragung im Handelsregister sei für die Zuständigkeit entscheidend, erweise sich als offensichtlich unhaltbar und objektiv nicht mehr zu rechtfertigen. Der eindeutige Wille der Beteiligten und die Wahl des Klägers, nicht unter der Firma nach § 17 Abs 2 Handelsgesetzbuch zu klagen, werde durch den Verweisungsbeschluss des SG Nürnberg missachtet.
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Das SG Nürnberg hat mit Beschluss vom 22.1.2010 das Bundessozialgericht (BSG) zur Bestimmung des örtlich zuständigen SG angerufen.
Entscheidungsgründe
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Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG durch das BSG liegen vor. Es ist als gemeinsam nächsthöheres Gericht im Sinne dieser Vorschrift zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem SG Nürnberg und dem SG Gießen berufen, nachdem das SG Nürnberg seine örtliche Zuständigkeit verneint und den Rechtsstreit an das SG Gießen verwiesen hat, dieses Gericht sich jedoch ebenfalls nicht für örtlich zuständig hält, sondern das SG Nürnberg mangels Bindungswirkung als zuständig ansieht und den Rechtsstreit an das SG Nürnberg zurückverwiesen hat.
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Zum zuständigen Gericht ist das SG Gießen zu bestimmen, weil dieses an den Verweisungsbeschluss des SG Nürnberg vom 26.11.2009 gebunden war.
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Gemäß § 98 Satz 1 SGG iVm § 17a Abs 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ist ein Verweisungsbeschluss wegen örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit für das Gericht, an das verwiesen wurde, bindend. Dies gilt im Interesse des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) und einer möglichst zügigen sachlichen Entscheidung grundsätzlich unabhängig von der Verletzung prozessualer oder materieller Vorschriften. Den Streit der beteiligten Gerichte über den Anwendungsbereich von Regelungen über die örtliche Zuständigkeit zu entscheiden oder in jedem Einzelfall die Richtigkeit des dem Verweisungsbeschluss zugrunde liegenden Subsumtionsvorgangs zu überprüfen, ist gerade nicht Aufgabe des gemeinsam übergeordneten Gerichts im Verfahren nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG.
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Ausnahmsweise kommt dem Verweisungsbeschluss dann keine Bindungswirkung zu, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder einem willkürlichen Verhalten beruht (vgl BSG, Beschlüsse vom 25.2.1999, B 1 SF 9/98 S, SozR 3-1720 § 17a Nr 11 S 19 ff, vom 27.5.2004, B 7 SF 6/04 S, SozR 4-1500 § 57a Nr 2 RdNr 11, vom 1.6.2005, B 13 SF 4/05 S, SozR 4-1500 § 58 Nr 6 RdNr 15, und vom 8.5.2007, B 12 SF 3/07 S, SozR 4-1500 § 57 Nr 2 RdNr 4, sowie Bundesverfassungsgericht vom 19.12.2001, 1 BvR 814/01, NJW-RR 2002, 389). Willkürlich ist eine gerichtliche Entscheidung dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, sodass sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und deshalb auch Art 3 Abs 1 GG verletzt. Allein ein offensichtlicher Irrtum eines Gerichts lässt die Bindungswirkung nicht entfallen. Danach ist für eine vom Verweisungsbeschluss des SG Nürnberg an das SG Gießen abweichende Bestimmung des örtlich zuständigen SG kein Raum.
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Das SG Gießen ist schon deshalb für die Entscheidung örtlich zuständig, weil der Verweisungsbeschluss des SG Nürnberg vom 26.11.2009 nach § 98 Satz 1 SGG, § 17a Abs 2 GVG unanfechtbar (§ 98 Satz 2 SGG) und für das SG Gießen bindend ist (§ 17a Abs 1 GVG). Es ist nicht ersichtlich, dass der Beschluss des SG Nürnberg auf einer Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze beruht haben könnte. Die Entscheidung des SG Nürnberg ist auch nicht willkürlich. Das SG Nürnberg hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass der Sitz der Firma R. e.K. in Gießen und unter Sitz iS von § 57 SGG auch der Sitz der Firma eines Einzelkaufmanns zu verstehen und die Vorschrift über den besonderen Gerichtsstand der Niederlassung nach § 21 ZPO nicht anzuwenden sei. Selbst wenn das SG Nürnberg möglicherweise die Vorschrift des § 57 Abs 1 Satz 1 SGG fehlerhaft angewandt haben sollte, weil es nicht auf den Wohnsitz des in der Klageschrift und in den angefochtenen Bescheiden benannten Klägers als Privatperson abgestellt hat, war seine Rechtsauffassung nicht unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt unvertretbar. So war es - wenn möglicherweise auch fehlerhaft und entgegen der Auffassung der Beteiligten - davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unter seinem Namen, sondern unter seiner Firma die Klage erhoben hatte. Darüber hinaus hat es entsprechend seiner Rechtsauffassung auf den im Handelsregister des Amtsgerichts G. eingetragenen Ort des Gewerbes des Klägers abgestellt. Diese aus der Auslegung des § 57 Abs 1 Satz 1 SGG gewonnene Rechtsauffassung, die die Rechtslage bei juristischen Personen des Privatrechts überträgt auf einen eingetragenen Kaufmann, der unter seiner Firma klagt, mag zwar unzutreffend sein, die darauf sowie auf der Auslegung der Klageschrift beruhende Verweisungsentscheidung war jedoch unter diesen Gesichtspunkten nicht derart unvertretbar, dass sie den Schluss auf der Entscheidung zugrunde liegende sachfremde Erwägungen zulässt. Auch andere Umstände sind nicht ersichtlich, die darauf schließen lassen können, dass die Entscheidung des SG Bayreuth auf sachfremden Erwägungen beruht haben könnte.
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