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BFH 20.07.2022 - IX B 9/21
BFH 20.07.2022 - IX B 9/21 - Nichtzulassungsbeschwerde: Greifbare Gesetzwidrigkeit; Verfahrensfehler
Normen
§ 76 Abs 1 S 1 FGO, § 76 Abs 1 S 5 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 119 Nr 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 7. Dezember 2020, Az: 9 K 1011/19, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Greifbare Gesetzwidrigkeit ist anzunehmen, wenn das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht.
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2. NV: Das FG kann auf eine beantragte Beweiserhebung im Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann oder das Beweismittel unerreichbar, unzulässig oder untauglich ist.
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3. NV: Der Anspruch auf rechtliches Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 und § 119 Nr. 3 FGO verpflichtet das Gericht u.a., die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens auseinanderzusetzen. Dabei ist das Gericht naturgemäß nicht verpflichtet, der tatsächlichen Würdigung oder der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen.
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 07.12.2020 - 9 K 1011/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat der Kläger zu tragen.
Gründe
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht gegeben. Die Revision ist weder wegen einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO, dazu unter 1.) noch aufgrund der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, dazu unter 2. und 3.) zuzulassen.
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1. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO wegen einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung des Finanzgerichts (FG) zuzulassen.
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a) Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Rechtsfehler des FG zu einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung geführt hat. Die Entscheidung des FG muss dabei in einem solchen Maße fehlerhaft sein, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte. Greifbare Gesetzwidrigkeit ist anzunehmen, wenn das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht. Eine Entscheidung ist dann (objektiv) willkürlich, wenn die fehlerhafte Rechtsanwendung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Von Willkür kann dagegen nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--, z.B. Senatsbeschluss vom 03.08.2017 - IX B 54/17, BFH/NV 2017, 1449, Rz 4, m.w.N.). Unterhalb dieser Schwelle liegende (auch erhebliche) Rechtsfehler reichen dagegen nicht aus, um eine greifbare Gesetzwidrigkeit bzw. eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung anzunehmen. Fehler in der Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen für sich genommen nicht die Zulassung der Revision (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2017, 1449, Rz 4; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 115 Rz 220 f., m.w.N.).
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b) Im Streitfall liegt kein zu einer greifbaren Gesetzwidrigkeit bzw. Willkürlichkeit der Entscheidung führender Rechtsfehler vor. Das FG hat sich mit der Sach- und Rechtslage eingehend befasst und sein Ergebnis nachvollziehbar begründet, wonach die Zahlungen an den Beigeladenen in Höhe von insgesamt … € nicht den laufenden steuerbaren Einkünften des Feststellungszeitraums 2016 zuzurechnen sind. Hergeleitet hat das FG sein Ergebnis anhand der vorliegenden Unterlagen, mittels der Auslegung der einschlägigen Regelungen des Gesellschaftsvertrags, anhand des Vorbringens der Beteiligten sowie der Würdigung der Zeugenaussage in der mündlichen Verhandlung vom 22.10.2020. Das (zumindest teilweise) Einordnen der Auszahlung in Höhe von … € als steuerbare laufende Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung hat das FG abgelehnt. Der Kläger benennt hierzu keine steuerliche Norm, gegen die das FG greifbar verstoßen habe. Die vom FG vertretene Zuordnung der Zahlung zum nicht steuerbaren Veräußerungsgewinn und damit nicht als steuerbare Einkünfte des Feststellungszeitraums 2016 ist schlüssig begründet und rechtlich nachvollziehbar. Das von ihm gefundene Ergebnis ist vertretbar und damit weder willkürlich, von sachfremden Erwägungen geprägt oder greifbar gesetzwidrig.
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2. Die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor.
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a) Der gerügte Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) ist nicht gegeben.
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Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO ist das FG verpflichtet, von Amts wegen den Sachverhalt zu erforschen und ihn unter allen ernstlich in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Diese Pflicht beinhaltet zwar nicht, jeder fernliegenden Erwägung nachgehen zu müssen. Wohl aber muss das FG die sich im Einzelfall aufdrängenden Überlegungen auch ohne entsprechenden Hinweis der Beteiligten anstellen und entsprechende Aufklärungsmaßnahmen treffen. Das FG ist allerdings an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO).
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Die in § 76 Abs. 1 Satz 5 FGO erwähnte fehlende Bindung des FG an Beweisanträge der Beteiligten bedeutet jedoch nicht, dass das FG frei entscheiden kann, ob es beantragte Beweise erhebt oder nicht. Denn das FG kann auf eine beantragte Beweiserhebung im Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann oder das Beweismittel unerreichbar, unzulässig oder untauglich ist (vgl. BFH-Beschluss vom 16.12.2016 - X B 41/16, BFH/NV 2017, 310, Rz 16; Gräber/Herbert, a.a.O., § 76 Rz 31, m.w.N.).
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b) Daran gemessen liegt in der unterlassenen Vernehmung der Zeugin … zum Stand des Kapitalkontos des Beigeladenen kein Sachaufklärungsmangel. Die Höhe des Kapitalkontos war für das FG im Rahmen seiner Würdigung nicht entscheidungserheblich. Für die im erstinstanzlichen Verfahren streitige Frage, ob es sich bei dem streitigen Geldbetrag um steuerbare Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des Feststellungszeitraums 2016, um die Auszahlung bereits versteuerter Rücklagen aus früheren Feststellungszeiträumen oder um die Abfindungszahlung in der Folge des Ausscheidens der Gesellschaft handelte, gibt der Stand des Kapitalkontos keine Auskunft.
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Weitere Sachaufklärungsmängel liegen nicht vor. Vielmehr hat sich das FG in den beiden Terminen zur mündlichen Verhandlung u.a. durch Vernehmung des Zeugen … um umfassende Aufklärung des Sachverhalts bemüht. Die Zeugenaussage hat es in der angefochtenen Entscheidung ebenso wie die streitigen Regelungen des Gesellschaftsvertrags umfassend gewürdigt. Soweit der Kläger vorbringt, das FG habe die das Kapitalkonto des Beigeladenen übersteigende Zahlung fehlerhaft als (nicht steuerbaren) Veräußerungsgewinn und nicht als festzustellende (steuerbare) laufende Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gewürdigt, wendet sich der Kläger gegen die rechtliche Würdigung des Sachverhalts durch das FG. Damit kann die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers nicht erreicht werden.
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3. Der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) in Gestalt einer Gehörsverletzung durch eine Überraschungsentscheidung liegt ebenso wenig vor.
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a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), § 96 Abs. 2 und § 119 Nr. 3 FGO verpflichtet das Gericht u.a., die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens auseinanderzusetzen. Dabei ist das Gericht naturgemäß nicht verpflichtet, der tatsächlichen Würdigung oder der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 11.06.2008 - 2 BvR 2062/07, Deutsches Verwaltungsblatt 2008, 1056; BFH-Beschluss vom 11.05.2011 - V B 113/10, BFH/NV 2011, 1523, Rz 6). Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO sind erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 10.09.2014 - IX S 10/14, BFH/NV 2015, 47, Rz 2, und vom 23.03.2016 - IX B 22/16, BFH/NV 2016, 1013, Rz 7).
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Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und --gegebenenfalls-- Beweisergebnissen zu äußern, sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten. Darüber hinaus gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, für die Prozessbeteiligten überraschende Entscheidungen zu unterlassen. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn ein entscheidungserheblicher Umstand vom FG erst mit dem Endurteil in das Verfahren eingebracht wird (z.B. Senatsbeschluss vom 23.02.2017 - IX B 2/17, BFH/NV 2017, 746, Rz 15).
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b) Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör berufen.
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Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das FG Vorbringen des Klägers nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat. Das FG hat sich sowohl in den beiden Terminen zur mündlichen Verhandlung als auch in der angefochtenen Entscheidung umfangreich mit dem Vorbringen des Klägers befasst. Es hat in beiden Terminen das Rechtsgespräch mit den Beteiligten gesucht und sich mit den vorgebrachten Gesichtspunkten zur Einordnung der streitigen Zahlung ausführlich auseinandergesetzt.
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Eine Überraschungsentscheidung liegt ebenso wenig vor. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das FG nicht verpflichtet ist, den Beteiligten die einzelnen für seine Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten (BFH-Urteil vom 24.04.1990 - VIII R 170/83, BFHE 160, 256, BStBl II 1990, 539, unter 1.). Ebenso wenig muss es einen Hinweis auf seine Rechtsauffassung geben (BFH-Beschluss vom 09.11.2011 - II B 105/10, BFH/NV 2012, 254, Rz 13).
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Selbst wenn der Kläger etwaige Äußerungen des erkennenden Senats des FG in der mündlichen Verhandlung als Hinweis auf einen möglicherweise positiven Prozessausgang verstehen konnte, führt das Unterlassen weiteren Vorbringens nicht zu einem Gehörsverstoß. Da das Gericht grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist, muss ein --zumal durch einen Rechtsanwalt und Steuerberater sachkundig vertretener-- Verfahrensbeteiligter, auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen (BVerfG-Beschluss vom 19.05.1992 - 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133, unter C.III.1.a; Gräber/Ratschow, a.a.O., § 119 Rz 15, m.w.N.).
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4. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2, § 139 Abs. 4 FGO. Die Beigeladenen haben Anträge gestellt und es sind ihnen Kosten entstanden. Es entspricht daher der Billigkeit, den Beigeladenen Kostenerstattung zuzubilligen (vgl. Gräber/Ratschow, a.a.O., § 139 Rz 157).
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