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BFH 15.03.2017 - III R 12/16
BFH 15.03.2017 - III R 12/16 - Veranlagungswahlrecht: Einspruchsbefugnis des Insolvenzverwalters gegen einen für die Zeit nach Insolvenzeröffnung ergangenen Zusammenveranlagungsbescheid
Normen
§ 26 EStG 2009, § 26a EStG 2009, § 26b EStG 2009, § 34 Abs 1 AO, § 34 Abs 3 AO, § 37 Abs 2 AO, § 46 Abs 1 AO, § 350 AO, § 35 Abs 1 InsO, § 36 Abs 1 InsO, § 80 Abs 1 InsO, § 313 InsO, § 44 Abs 1 FGO, § 105 Abs 2 Nr 3 FGO, EStG VZ 2012
Vorinstanz
vorgehend FG Münster, 21. April 2016, Az: 2 K 2410/14 E, Urteil
Leitsatz
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1. Der Antrag auf getrennte Veranlagung kann auch zusammen mit einem gegen den nicht bestandskräftigen Zusammenveranlagungsbescheid eingelegten Einspruch gestellt werden .
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2. Erzielt der Insolvenzschuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die nach § 35 InsO i.V.m. § 36 Abs. 1 InsO als Neuerwerb zur Insolvenzmasse gehören, ist auch ein sich insoweit ergebender, nach § 46 Abs. 1 AO pfändbarer Lohn- oder Einkommensteuererstattungsanspruch der Insolvenzmasse zuzurechnen .
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3. Fällt nach Insolvenzeröffnung erzieltes Arbeitseinkommen und ein insoweit in Betracht kommender Lohn- oder Einkommensteuererstattungsanspruch als Neuerwerb in die Insolvenzmasse, steht dem Insolvenzverwalter und im vereinfachten Insolvenzverfahren dem Treuhänder für den betreffenden Besteuerungszeitraum auch die Ausübung des Veranlagungswahlrechts nach § 26 Abs. 2 EStG als Verwaltungsrecht mit vermögensrechtlichem Bezug zu (Anschluss an die BGH-Urteile vom 24. Mai 2007 IX ZR 8/06, HFR 2007, 1246, und vom 18. Mai 2011 XII ZR 67/09, HFR 2011, 1248) .
Tenor
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Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 21. April 2016 2 K 2410/14 E wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
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Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.
Tatbestand
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I.
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Das Amtsgericht (AG) E eröffnete am ... 2012 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beigeladenen zu 1. und ernannte die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) zur Treuhänderin (§ 313 der Insolvenzordnung --InsO-- a.F.). Am ... 2012 eröffnete das AG E das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Ehemannes der Beigeladenen zu 1., des Beigeladenen zu 2., und ernannte die Klägerin auch hier zur Treuhänderin. Am ... 2014 wurde das Insolvenzverfahren des Beigeladenen zu 2. aufgehoben.
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Am 6. September 2013 gaben die Beigeladenen ihre persönlich unterzeichnete Einkommensteuererklärung für 2012 ab, erklärten darin ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und beantragten die Zusammenveranlagung. Die Klägerin wurde als Empfangsbevollmächtigte benannt.
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Am 7. November 2013 erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) für die Zeiträume ab Eröffnung der jeweiligen Insolvenzverfahren erklärungsgemäße Einkommensteuerbescheide für 2012 und gab sie den Beigeladenen getrennt bekannt. Diese leiteten die Bescheide an die Klägerin weiter. Die Summe der im gesamten Veranlagungszeitraum erzielten Einkünfte der Beigeladenen zu 1. betrug 17.009 €, die des Beigeladenen zu 2. 36.203 €. Aus dem Abrechnungsteil der Bescheide ergaben sich für die Zeit nach Eröffnung des jeweiligen Insolvenzverfahrens Nachzahlungsverpflichtungen der Beigeladenen zu 1. in Höhe von 24,89 € und des Beigeladenen zu 2. in Höhe von 12,61 €.
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Am 4. Dezember 2013 legte die Klägerin als Treuhänderin der Beigeladenen zu 1. Einspruch gegen die Bescheide ein und beantragte getrennte Veranlagung. Dem Einspruch waren von den Beigeladenen nicht unterschriebene getrennte Einkommensteuererklärungen beigefügt.
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Das FA verwarf den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2014 als unzulässig. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Klägerin keine Einspruchsbefugnis zustehe, da sich die Bescheide ausschließlich gegen das nicht der Verfügungsbefugnis der Klägerin unterliegende insolvenzfreie Vermögen der Beigeladenen richteten.
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Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten, von der Klägerin als Treuhänderin der Beigeladenen zu 1. erhobenen Klage statt. Es hob den Einkommensteuerbescheid vom 7. November 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2014 auf und verpflichtete das FA, die Beigeladene zu 1. getrennt vom Beigeladenen zu 2. zu veranlagen (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2016, 1177).
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Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
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Das FA beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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1. Zu Recht ging das FG davon aus, dass das Veranlagungswahlrecht im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen den nicht bestandskräftigen Zusammenveranlagungsbescheid ausgeübt werden konnte.
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Nach der Rechtsprechung des Senats kann das Veranlagungswahlrecht bis zur Unanfechtbarkeit eines Einkommensteuerbescheides ausgeübt und eine einmal getroffene Wahl der Veranlagungsart --vorbehaltlich rechtsmissbräuchlicher oder willkürlicher Antragstellung-- widerrufen werden (Senatsurteil vom 3. März 2005 III R 60/03, BFHE 209, 308, BStBl II 2005, 564, Rz 13). Zwar hat der Senat in dem Urteil in BFHE 209, 308, BStBl II 2005, 564, Rz 15 ausgeführt, dass der Antrag auf Änderung der Veranlagungsart weder einen Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid noch einen Änderungsantrag, sondern einen --erstmaligen-- Antrag auf Durchführung der nun gewählten Veranlagungsart beinhaltet. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass ein Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid unzulässig ist. Ein Ehegatte kann daher nicht nur innerhalb der Einspruchsfrist sein Veranlagungswahlrecht abweichend ausüben, sondern zugleich auch Einspruch gegen den bisherigen Bescheid einlegen.
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So liegt der Fall hier. Die Klägerin hat durch Schreiben vom 4. März 2013 ausdrücklich Einspruch gegen den Zusammenveranlagungsbescheid eingelegt und innerhalb des Einspruchsverfahrens das Veranlagungswahlrecht abweichend ausgeübt.
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2. Zu Recht ging das FG weiter davon aus, dass die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Treuhänderin der Beigeladenen zu 1. be-fugt war, Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 7. November 2013 einzulegen.
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a) Der Insolvenzverwalter hat nach § 34 Abs. 1 und 3 der Abgabenordnung (AO) die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen, soweit seine Verwaltung reicht. Nach § 80 Abs. 1 InsO geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Im vereinfachten Insolvenzverfahren werden die Aufgaben des Insolvenzverwalters von dem Treuhänder (§ 313 Abs. 1 Satz 1 InsO a.F.) wahrgenommen. Nach § 35 Abs. 1 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Zur Masse gehört daher als Neuerwerb das Arbeitseinkommen des Insolvenzschuldners, soweit es gemäß § 36 Abs. 1 InsO der Pfändung unterliegt. Ferner gehört auch der nach § 46 Abs. 1 AO pfändbare Lohn- oder Einkommensteuererstattungsanspruch zur Masse, und zwar unabhängig davon, ob er sich auf Veranlagungszeiträume vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder auf die Zeit des noch laufenden Insolvenzverfahrens bezieht (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 24. Mai 2007 IX ZR 8/06, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2007, 1246, unter II.1.).
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Eine fehlende Massezugehörigkeit des Einkommensteuererstattungsanspruchs lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass dieser, wenn er auf überzahlter Lohnsteuer beruht, als Arbeitseinkommen i.S. des § 850 der Zivilprozessordnung anzusehen ist und insofern nur in eingeschränktem Umfang der Pfändung unterliegt. Denn der BGH hat bereits mehrfach entschieden, dass der Anspruch auf Erstattung überzahlter Lohnsteuer zwar seinen materiellen Ursprung insofern in dem Arbeitsverhältnis hat, als zum Arbeitslohn auch die Lohnsteuer gehört, die der Arbeitgeber gemäß § 38 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen hat. Im Fall einer Rückerstattung wird aus dem Steueranspruch des Fiskus der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen (§ 37 Abs. 2 AO), der nicht wieder Einkommen wird, das dem Berechtigten aufgrund einer Arbeits- oder Dienstleistung zusteht (vgl. u.a. BGH-Urteil vom 21. Juli 2005 IX ZR 115/04, Neue Juristische Wochenschrift 2005, 2988; Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. Januar 2007 VII B 45/06, BFH/NV 2007, 855, und vom 29. Januar 2010 VII B 188/09, BFH/NV 2010, 1243).
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Da das Veranlagungswahlrecht nach § 26 Abs. 2 EStG kein höchstpersönliches Recht darstellt (z.B. Senatsbeschluss vom 21. Juni 2007 III R 59/06, BFHE 218, 281, BStBl II 2007, 770, m.w.N.), ist es in der Insolvenz eines Ehegatten als Verwaltungsrecht mit vermögensrechtlichem Bezug anzusehen und daher nach § 80 Abs. 1 InsO vom Insolvenzverwalter auszuüben (BGH-Urteile in HFR 2007, 1246, unter II.1., und vom 18. Mai 2011 XII ZR 67/09, HFR 2011, 1248, unter II.3.a; in diesem Sinne auch bereits Senatsbeschluss vom 22. März 2011 III B 114/09, BFH/NV 2011, 1142).
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b) Nichts anderes ergibt sich aus der Rechtsprechung des VI. Senats des BFH, wonach die auf das Arbeitseinkommen des Insolvenzschuldners als Neuerwerb anfallende Einkommensteuerverbindlichkeit keine Masseschuld darstellt, sondern sich gegen das insolvenzfreie Vermögen des Insolvenzschuldners richtet (BFH-Urteile vom 24. Februar 2011 VI R 21/10, BFHE 232, 318, BStBl II 2011, 520, und vom 27. Juli 2011 VI R 9/11, BFH/NV 2011, 2111). Diese Rechtsprechung betrifft nur den Fall, dass die Veranlagung eine Einkommensteuernachzahlung, d.h. eine Verbindlichkeit gegenüber dem Finanzamt zur Folge hat. Sie bezieht sich dagegen nicht auf Fälle, in denen es zu einem Erstattungsanspruch gegenüber dem Finanzamt kommt. Aus der Zugehörigkeit einer Forderung zur Masse folgt nicht, dass die mit dieser Forderung zusammenhängenden Verbindlichkeiten stets Masseverbindlichkeiten sind (BFH-Urteil in BFHE 232, 318, BStBl II 2011, 520, Rz 15). Dies gilt auch mit Blick auf das insolvenzfreie Vermögen. Aus der Zugehörigkeit der Einkommensteuerverbindlichkeit zum insolvenzfreien Vermögen folgt nicht, dass auch ein damit zusammenhängender Einkommensteuererstattungsanspruch dem insolvenzfreien Vermögen zugeordnet werden müsste.
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c) Ebenso betrifft die vom FA zitierte Rechtsprechung des II. Senats des BFH nur die Frage, ob Steuerforderungen wegen Kraftfahrzeugsteuer sich gegen die Masse oder gegen das insolvenzfreie Vermögen richten (BFH-Urteile vom 13. April 2011 II R 49/09, BFHE 234, 97, BStBl II 2011, 944, und vom 8. September 2011 II R 54/10, BFHE 235, 1, BStBl II 2012, 149). Sie lässt sich daher nicht auf die Frage der Zuordnung eines Einkommensteuererstattungsanspruchs übertragen. Ungeachtet dessen ist die aus dem Halten eines Fahrzeugs resultieren-de Kraftfahrzeugsteuer (§ 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes) nicht mit der Einkommensteuer aufgrund einer nichtselbständigen Tätigkeit vergleichbar (vgl. hierzu bereits Senatsurteil vom 16. April 2015 III R 21/11, BFHE 250, 7, BStBl II 2016, 29, Rz 25 zur selbständigen Tätigkeit).
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d) Bei Anwendung der vorgenannten Rechtsgrundsätze war die Klägerin befugt, das Veranlagungswahlrecht für die Beigeladene zu 1. auszuüben. Die Klägerin war Treuhänderin im vereinfachten Insolvenzverfahren der Beigeladenen zu 1. Das nach Insolvenzeröffnung erzielte Arbeitseinkommen gehörte in den Pfändungsgrenzen als Neuerwerb zur Masse. Ebenso gehörte der Einkommensteuererstattungsanspruch, auch soweit er sich auf die nach Insolvenzeröffnung erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezog, zur Masse. Die Klägerin durfte deshalb auch das Veranlagungswahlrecht als Verwaltungsrecht mit vermögensrechtlichem Bezug ausüben.
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e) Der Befugnis der Klägerin, gegen den Zusammenveranlagungsbescheid Einspruch einzulegen, steht nicht entgegen, dass der Bescheid laut seinem Erläuterungsteil nur gegen das insolvenzfreie Vermögen der Beigeladenen zu 1. gerichtet war. Denn hinsichtlich des Veranlagungswahlrechts betraf er inhaltlich nicht nur das insolvenzfreie Vermögen, sondern auch die Insolvenzmasse. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann das in § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG normierte Wahlrecht zwischen getrennter Veranlagung (§ 26a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung --a.F.--) und Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) nur bis zum Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung ausgeübt werden (Senatsurteil vom 25. September 2014 III R 5/13, BFH/NV 2015, 811, Rz 15, m.w.N.). Wird der Einkommensteuerbescheid für beide Ehegatten bestandskräftig, kann eine abweichende Wahlrechtsausübung weder über § 173 Abs. 1 AO noch über § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu einer Änderung des bestandskräftigen Bescheides führen (Senatsurteil in BFH/NV 2015, 811, Rz 20 ff., m.w.N.). Die Klägerin war daher auch befugt, den Eintritt der Bestandskraft des Zusammenveranlagungsbescheides zu verhindern, um ihr Veranlagungswahlrecht wirksam ausüben zu können.
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f) Die Klägerin kann --entgegen der Auffassung des FA-- nicht darauf verwiesen werden, das Veranlagungswahlrecht außerhalb eines Einspruchsverfahrens gegen den Zusammenveranlagungsbescheid auszuüben. Zwar steht ihr hinsichtlich des Zusammenveranlagungsbescheides innerhalb der Einspruchsfrist auch die Möglichkeit offen, einen Antrag auf schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu stellen. Weder verhindert ein solcher Antrag aber den Eintritt der Bestandskraft (v. Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 172 AO Rz 104) noch schließt die Möglichkeit eines solchen Antrags die Befugnis aus, einen in seinen Wirkungen und Rechtsschutzmöglichkeiten weiterreichenden Einspruch einzulegen (s. dazu v. Groll in HHSp, § 172 AO Rz 101 ff.).
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3. Die Beigeladene zu 1. war auch einspruchsbefugt, denn sie war materiell beschwert.
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a) Nach § 350 AO ist nur einspruchsbefugt, wer geltend macht, durch einen Verwaltungsakt oder dessen Unterlassung beschwert zu sein. Gegenstand der Beschwer kann danach sowohl ein ergangener als auch ein unterlassener Verwaltungsakt sein (Siegers in HHSp, § 350 AO Rz 71, 75). Für die Beschwer ist die Schlüssigkeit des Vortrags des Einspruchsführers oder --bei fehlender Begründung-- die verständige Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts (Steuerbescheides) bestimmend. Erscheint danach eine Beschwer als möglich, ist die Rechtsbehelfsbefugnis zu bejahen (BFH-Urteil vom 9. August 2007 VI R 7/04, BFH/NV 2008, 9). Dabei ist grundsätzlich auf den Tenor des Bescheides, d.h. bei einem Steuerbescheid auf die Höhe der festgesetzten Steuer abzustellen (Siegers in HHSp, § 350 AO Rz 85).
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b) Im Streitfall kann dahinstehen, ob die Änderung des Veranlagungswahlrechts bereits wegen der Wesensverschiedenheit der Veranlagungsverfahren (s. dazu Senatsurteil in BFHE 209, 308, BStBl II 2005, 564, unter II.2.a) eine Beschwer hinsichtlich des aufgrund der früheren Wahlrechtsausübung ergangenen Steuerbescheides bewirkt. Denn jedenfalls ergab sich eine Beschwer daraus, dass die Beigeladene zu 1. deutlich niedrigere Einkünfte als der Beigeladene zu 2. erklärt hatte und sie deshalb bei einer getrennten Veranlagung (§ 26a EStG a.F.) mit einer niedrigeren festgesetzten Steuer rechnen konnte.
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4. Zu Recht nimmt das FA an, dass die Klägerin den Zusammenveranlagungsbescheid mit ihrem Einspruch nur insoweit anfechten konnte, als eine Steuerfestsetzung für die Zeit ab Insolvenzeröffnung erfolgt ist. Denn nur insoweit enthält der Zusammenveranlagungsbescheid in seinem Tenor eine Regelung (s. dazu Söhn in HHSp, § 118 AO Rz 116), durch die eine Beschwer ausgelöst werden kann. Dennoch können entgegen der Auffassung des FA dagegen Einwendungen erhoben werden, die über den Regelungsbereich des Steuerbescheides hinausgreifen. Solche Einwendungen sind zulässig, aber nur insoweit zu berücksichtigen, als der Regelungsbereich des Verwaltungsakts berührt ist. Dementsprechend kann die Klägerin auch einwenden, dass das Veranlagungsrecht (für den gesamten Veranlagungszeitraum 2012) abweichend ausgeübt wurde, wenn der Zusammenveranlagungsbescheid nur einen Teil des Veranlagungszeitraums 2012 betrifft.
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5. Nicht zu beanstanden ist die Annahme des FG, die geänderte Wahlrechtsausübung durch die Klägerin sei nicht wegen Willkür oder Rechtsmissbrauchs unwirksam.
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a) Die Rechtsprechung hat das Veranlagungswahlrecht bislang vornehmlich --bezogen auf das Verhältnis zwischen den Ehegatten und nicht auf das davon zu unterscheidende öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnis zwischen den Steuerpflichtigen und dem FA-- insoweit eingeschränkt, als sich ein Ehegatte nicht einseitig von der bisherigen Zusammenveranlagung lösen darf, sofern dafür keine wirtschaftlich verständlichen und vernünftigen Gründe vorliegen, sondern der Antrag als willkürlich motiviert erscheint (vgl. hierzu Senatsurteile vom 30. August 2012 III R 40/10, BFH/NV 2013, 193, und vom 19. Mai 2004 III R 18/02, BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980). So kann die Ausübung des Veranlagungswahlrechts rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam sein, wenn der die getrennte Veranlagung wählende Ehegatte keine eigenen Einkünfte hat oder wenn diese so gering sind, dass sie weder einem Steuerabzug unterlegen haben noch zur Einkommensteuerveranlagung führen können (Senatsurteile vom 3. März 2005 III R 22/02, BFHE 209, 454, BStBl II 2005, 690, und vom 10. Januar 1992 III R 103/87, BFHE 166, 295, BStBl II 1992, 297).
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b) Im Streitfall hatte die Beigeladene zu 1. jedoch eigene Einkünfte, die einem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterlagen und deutlich geringer waren als die des Beigeladenen zu 2. Sie konnte daher bei geänderter Ausübung des Veranlagungswahlrechts mit einer Erstattung zu ihren Gunsten an die Insolvenzmasse rechnen. Dies stellt aus Sicht der Klägerin einen wirtschaftlich verständlichen und vernünftigen Grund dar. Damit scheidet ein missbräuchliches Verhalten der Klägerin aus.
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Zu Recht verwies das FG in diesem Zusammenhang auch auf das Senatsurteil in BFH/NV 2013, 193, Rz 30. Danach lässt sich ein Rechtsmissbrauch auch nicht daraus ableiten, dass die Klägerin die vom Arbeitslohn der Beigeladenen zu 1. einbehaltene und ihre Einkommensteuer übersteigende Lohnsteuer aufgrund der nachträglich ausgeübten Wahl zur getrennten Veranlagung ganz oder teilweise in die Insolvenzmasse erstattet bekommt, während die sich für den Beigeladenen zu 2. nach Anrechnung der Vorauszahlungen ergebenden Zahllasten möglicherweise nicht mehr beigetrieben werden können.
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c) Nichts anderes ergibt sich aus dem vom FA zitierten BFH-Urteil vom 16. Mai 2013 IV R 23/11 (BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759, Rz 30). Dieses zog den Umfang der Verpflichtungsbefugnis des Insolvenzverwalters nur zur Beantwortung der Frage heran, ob das Verhalten des Insolvenzverwalters die Insolvenzmasse oder das insolvenzfreie Vermögen verpflichtet. Eine Unwirksamkeit der Ausübung des Veranlagungswahlrechts lässt sich daraus nicht ableiten.
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d) Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Klägerin in ihrer Funktion als Treuhänderin über das Vermögen des Beigeladenen zu 2. durch die geänderte Wahlrechtsausübung etwaige insolvenz- oder berufsrechtliche Pflichten verletzt hat. Die Überwachung der Erfüllung solcher Pflichten ist anderen Gerichtszweigen und Organen zugewiesen (s. etwa § 58, § 69 InsO; §§ 113 ff. der Bundesrechtsanwaltsordnung) und nicht Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Ausübung des Veranlagungswahlrechts.
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6. Die Entscheidung des FG ist auch nicht wegen der vom FA gerügten Verfahrensfehler zu beanstanden.
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a) Es fehlt nicht an der erforderlichen Durchführung eines behördlichen Vorverfahrens (§ 44 Abs. 1 FGO, § 347 ff. AO), weil die Durchführung der getrennten Veranlagung für die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht Gegenstand des Klageverfahrens war.
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Nach § 44 Abs. 1 FGO ist in den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, die Klage --vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO-- nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist. Die Prüfung der Frage, ob das Vorverfahren ganz oder teilweise erfolglos geblieben ist, setzt voraus, dass der Verfahrensgegenstand des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens und der Streitgegenstand des Klageverfahrens in objektiver und subjektiver Hinsicht übereinstimmen (Senatsurteil vom 25. September 2014 III R 56/13, BFH/NV 2015, 206, m.w.N.).
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Soweit das FA rügt, die Klägerin habe für die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein Einspruchsverfahren durchgeführt, geht sie zu Unrecht davon aus, dass eine Steuerfestsetzung für diese Zeit (in objektiver Hinsicht) Gegenstand der Klage war. Insoweit ist bereits aus dem im Tatbestand des Urteils wiedergegebenen Einspruchsbegehren zu entnehmen, dass es der Klägerin nur um eine auf Basis der getrennten Veranlagung durchgeführte Steuerfestsetzung für die Beigeladene zu 1. ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens ging. Es ist aus dem Klageantrag und den Entscheidungsgründen auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin im Klageverfahren Einwendungen bezüglich der Steuerberechnung geltend gemacht hat, die für die Zeit vor Insolvenzeröffnung erstellt wurde. Solche Einwendungen wären im Übrigen im Rahmen des Prüfungs- und Feststellungsverfahrens nach §§ 174 ff. InsO zu erheben und zu behandeln. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass das FG von sich aus und aus anderen Gründen über den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entscheiden wollte.
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Im Übrigen wird durch die vorstehende Beschränkung des Klagegegenstands nicht ausgeschlossen, dass die geänderte Ausübung des Veranlagungswahlrechts auch Auswirkungen auf die Zeit vor Insolvenzeröffnung hat. Diese Frage ist jedoch außerhalb dieses Klageverfahrens zu beantworten.
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b) Die vom FG gewählte Urteilsformel ist nicht zu beanstanden.
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aa) Soweit das FA rügt, der Urteilstenor (§ 105 Abs. 2 Nr. 3 FGO) sei unklar, da er nicht erkennen lasse, ob sich die Verpflichtung des FA zur Durchführung einer getrennten Veranlagung auf den gesamten Veranlagungszeitraum 2012 oder nur auf die Zeit ab Insolvenzeröffnung beziehe, berücksichtigt es nicht, dass die Urteilsformel der Auslegung zugänglich ist. Hierzu ist erforderlichenfalls auf die übrigen Urteilsinhalte (Tatbestand, Entscheidungsgründe, Antrag des Klägers) zurückzugreifen (Senatsurteil in BFH/NV 2015, 206). Diese ergeben im Streitfall, dass sich der Urteilstenor entsprechend dem beschränkten Klagebegehren nur auf die Steuerfestsetzung für die Beigeladene zu 1. für den Teil des Veranlagungszeitraums 2012 beschränkt, der die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens umfasst.
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bb) Zur Frage, an wen der Steuerbescheid zu richten ist, braucht der Urteilstenor keinen Ausspruch zu enthalten. Soweit der Klage --wie im Streitfall-- stattgegeben wird, richtet sich der Urteilstenor nach dem jeweiligen Klageantrag (Lange in HHSp, § 105 FGO Rz 25). Dieser zielte --wie bereits unter II.6.a ausgeführt wurde-- auf die Aufhebung des Zusammenveranlagungsbescheides vom 7. November 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2014 und die Neufestsetzung der Einkommensteuer für die Beigeladene zu 1. für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens unter Zugrundelegung einer getrennten Veranlagung. Diesen Klageantrag erfasste das FG in seinem Tenor vollumfänglich.
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Im Übrigen sieht § 122 Abs. 1 Satz 1 AO vor, dass ein Verwaltungsakt demjenigen bekannt zu geben ist, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen ist. Danach ist der Insolvenzverwalter Bekanntgabeadressat, soweit die Insolvenzmasse betroffen ist (Tz. 4.3.2 zu § 251 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung, BStBl I 2014, 290). Dies gilt insbesondere für zur Insolvenzmasse gehörende Steuererstattungsansprüche (Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 251 AO Rz 40).
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7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO. Es war weder geboten, den Beigeladenen Kosten aufzuerlegen (§ 135 Abs. 3 FGO), noch die Erstattung außergerichtlicher Aufwendungen der Beigeladenen anzuordnen (§ 139 Abs. 4 FGO). Da die Beigeladenen keine Rechtsmittel eingelegt und keine Anträge gestellt haben, sind sie weder an den Gerichtskosten zu beteiligen noch steht ihnen ein Kostenerstattungsanspruch zu (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 135 FGO Rz 19, m.w.N.).
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