Warum ist es wichtig, die Verordnungsgrundsätze im Blick zu behalten?
Wir erläutern es am Beispiel der Diagnose unspezifischer Rückenschmerz, anhand der Grundsätze a), f), g), o), s) und t) aus der Heilmittelvereinbarung 2025.
Insbesondere akute unspezifische Rückenschmerzen sind bekanntlich ein häufiger Grund für Arztbesuche. Nicht jede Patientin und nicht jeder Patient mit Rückenschmerzen braucht dabei automatisch eine Verordnung über Physiotherapie. Vielmehr stellt sich die Frage, ob andere Maßnahmen wie an die Beschwerden angepasste körperliche Aktivität, lokale Wärme (z. B. Körnerkissen) und/oder Medikamentengabe angebracht und ausreichend sind. Zusätzlich sollte mittel- und langfristig auf Aspekte der Prävention und Gesundheitsförderung hingewiesen werden.
- KV Niedersachsen Heilmittelvereinbarung 2025
Auszug aus der Heilmittelvereinbarung 2025
Verordnungsgrundsätze aus der Heilmittelvereinbarung 2025
Heilmittelvereinbarung 2025:
a) Vor jeder Heilmittelverordnung ist zu prüfen, ob deren medizinische Notwendigkeit gegeben ist oder ob nicht andere geeignete Maßnahmen wie Prävention und Gesundheitsförderung, Medikamentengabe oder Hilfsmittel angebracht sind.
Nicht jede Patientin und nicht jeder Patient mit Rückenschmerzen braucht dabei automatisch eine Verordnung über Physiotherapie. Vielmehr stellt sich die Frage, ob andere Maßnahmen wie an die Beschwerden angepasste körperliche Aktivität, lokale Wärme (z. B. Körnerkissen) und/oder Medikamentengabe angebracht und ausreichend sind. Im Verordnungsgrundsatz „s“ finden Sie noch alternative Aspekte der Prävention und Gesundheitsförderung.
Heilmittelvereinbarung 2025:
f) Verordnungen über die orientierende Behandlungsmenge hinaus sind als Ausnahme zu verstehen.
Die orientierende Behandlungsmenge (OBM) ist ein Richtwert. Er ergibt sich indikationsbezogen aus dem Heilmittelkatalog und legt die empfohlene Anzahl von Behandlungen für bestimmte Diagnosen oder Krankheitsbilder fest (§7 Absatz 2 HMR). Die OBM soll sicherstellen, dass Patienten eine angemessene und effektive Therapie erhalten, die auf ihren individuellen Bedürfnissen basiert, ohne dass unnötige oder übermäßige Behandlungen verordnet werden.
Überschreitet eine Verordnung das Richtgrößenvolumen, gilt dies als Ausnahme. In solchen Fällen muss der behandelnde Arzt die zusätzliche Behandlung begründen. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der Patient besondere Bedürfnisse hat, die eine intensivere Therapie erfordern, oder wenn der Heilungsverlauf nicht wie erwartet verläuft.
Die Regelung dient dazu, die Qualität der medizinischen Versorgung zu sichern, Ressourcen effizient einzusetzen und Überversorgung zu vermeiden. Sie fördert zudem eine verantwortungsvolle und zielgerichtete Therapie, die sich am individuellen Verlauf und den spezifischen Bedürfnissen des Patienten orientiert.
Heilmittelvereinbarung 2025:
g) Das Therapieziel ist mit dem Patienten zu besprechen und für den Therapeuten auf der Verordnung verständlich darzustellen. Die Erreichung des Therapieziels sollte möglichst mit dem Therapeuten vor Erstellung einer Verordnung außerhalb der orientierenden Behandlungsmenge besprochen werden.
Nur durch realistische, terminierte und auf die Patienten angepasste Therapieziele wird das Heilmittel spezifisch, messbar und für den Patienten verständlich umsetzbar. Der Behandlungsauftrag des Verordnenden wird durch ein Therapieziel für den Patienten und den Leistungserbringer klar definiert und signalisiert und damit auch ein Therapieende. Grundsätzlich soll es den Patienten ermöglicht werden, während der Therapie Funktionen und Strategien zu erlernen, um nach der Therapie selbstwirksam handeln zu können.
Beispiele für ein Therapieziel:
- Verlängerung der Gehstrecke mit dem Rollator auf 300m
- Lockerung der Spastik um die Selbstversorgung im Alltag zu erleichtern.
Therapieziele als Schlüssel (Handout zun Therapiemanagement)
Heilmittelvereinbarung 2025:
o) Es sollte geprüft werden, ob bei reversiblen Störungen des Bewegungsapparates eine Kombination aus manueller Therapie (MT) und Krankengymnastik (KG) möglicherweise zu einer verkürzten Behandlungszeit führt.In der Physio-, Ergo- und Stimm-, Sprech-, Sprach- und Schlucktherapie können seit der Einführung der neuen Heilmittel-Richtlinie (2021) bis zu drei unterschiedliche „vorrangige“ Heilmittel auf einem Verordnungsblatt verordnet werden.
Dies ermöglicht es, die Heilmitteltherapie individuell auf die Beschwerden und Bedürfnisse des Patienten anzupassen, denn jeder Verlauf ist anders. Es können sowohl aktive Übungen (KG) oder auch passive Techniken (MT) Abhilfe schaffen. In manchen Fällen ist aber auch gerade eine Kombination aus beiden Behandlungsformen sinnvoll.
Insbesondere bei Gelenk-, Muskel- und Rückenschmerzen, sowie Wirbelsäulenbeschwerden, rheumatischen Erkrankungen und beispielsweise Gelenkarthrose.
Der Schwerpunkt der MT liegt dabei auf passiven Übungen, um die Funktionsstörungen von Muskeln, Gelenken und Spannungspunkten, durch verschiedene Handgriffe und Mobilisationstechniken zu behandeln und die Gelenke zu mobilisieren.
Bei der KG stehen wiederum aktive Übungen im Vordergrund, die der Patient selbstständig durchführt. Durch gezielte Kräftigung und Dehnung soll die Bewegungsfähigkeit wieder vollständig hergestellt bzw. auf lange Sicht verbessert und erhalten werden.
Verordnungsbeispiel für die kombinierte Behandlung mit Manueller Therapie und Krankengymnastik
Heilmittelvereinbarung 2025:
s) Leistungen der Primärprävention nach § 20 SGB V – insb. bei Wirbelsäulenerkrankungen – können als Alternative zu Heilmittelverordnungen in Betracht gezogen werden. Auch die Inanspruchnahme von Sportangeboten kann im Rahmen der gesundheitlichen Eigenkompetenz und Eigenverantwortung als Alternative empfohlen werden. Insb. bei unspezifischem Rückenschmerz ist der Patient vorrangig auf Eigenübung (Selbstverantwortung) und alternative Behandlungsmethoden (z. B. Reha Sport und Funktionstraining) hinzuweisen. Maßnahmen der Physiotherapie sollten unter Beachtung der nationalen Versorgungsleitlinie zum unspezifischen Rückenschmerz nur in Ausnahmefällen verordnet werden.Auch die Inanspruchnahme von Sportangeboten kann im Rahmen der gesundheitlichen Eigenkompetenz und Eigenverantwortung als Alternative empfohlen werden. Insb. bei unspezifischem Rückenschmerz ist der Patient vorrangig auf Eigenübung (Selbstverantwortung) und alternative Behandlungsmethoden (z. B. Reha Sport und Funktionstraining) hinzuweisen. Maßnahmen der Physiotherapie sollten unter Beachtung der nationalen Versorgungsleitlinie zum unspezifischen Rückenschmerz nur in Ausnahmefällen verordnet werden.
Es geht hier darum, dass bei unspezifischen Wirbelsäulen- oder Rückenschmerzen nicht immer gleich eine Heilmittelverordnung, also z. B. Physiotherapie, ausgestellt werden soll. Stattdessen wird auf präventive Maßnahmen gesetzt – also vorbeugende Angebote und Eigeninitiative des Patienten.
Die gesetzliche Grundlage
Der § 20 SGB V regelt die Leistungen zur Primärprävention und zur Gesundheitsförderung. Das bedeutet, die Krankenkassen unterstützen Maßnahmen, die helfen sollen, Krankheiten zu vermeiden oder deren Verlauf positiv zu beeinflussen.
Was heißt das konkret bei Rückenschmerzen?
- Unspezifische Rückenschmerzen haben keine klar erkennbare organische Ursache (also kein Bandscheibenvorfall o. Ä.).
- In solchen Fällen soll der Fokus auf Eigenaktivität des Patienten gelegt werden: Bewegung, Training und eigene Verantwortung für die Gesundheit.
- Reha-Sport, Funktionstraining oder gesundheitsorientierte Sportangebote (z. B. Rückenschulkurse, Wirbelsäulengymnastik) werden als Alternativen zu einer Heilmittelverordnung empfohlen.
- Diese Angebote zielen darauf ab, die Muskulatur zu stärken, die Beweglichkeit zu fördern und Schmerzen zu lindern, ohne dass sofort passive Therapieformen wie Physiotherapie eingesetzt werden müssen.
Das bedeutet konkret:
- Die Leitlinie empfiehlt, dass Physiotherapie nur in Ausnahmefällen verordnet werden sollte – etwa, wenn der Schmerz chronisch wird oder die Eigenaktivität alleine nicht hilft.
- Sie setzt auf aktive Therapieformen und Verhaltensänderungen, um Patienten zu befähigen, selbst etwas für ihre Gesundheit zu tun.
- die Selbstverantwortung steht im Vordergrund.
- Die Krankenkassen fördern präventive Maßnahmen (z. B. Bezuschussung von Gesundheitskursen)
Information für Versicherte:
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Broschüren der AOK Niedersachsen für Versicherte zum Download:
Heilmittelvereinbarung 2025:
t) Patienten sollten konsequent zur Durchführung von Eigenübungen angehalten werden, um ihre aktive Mitwirkung einzufordern.
Nur durch konsequentes Üben, (viele Wiederholungen, Anpassung der Schwierigkeitsstufe) kann eine Verbesserung von Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer erreicht werden. Ziel ist eine Automatisierung und Ökonomisierung der Bewegungsabläufe um dadurch die kognitive Kontrolle und den Energieaufwand zu verringern.
Wiedererlangte Alltagskompetenzen sollen eine selbstbestimmte Lebensführung ermöglichen, unabhängig von therapeutischer Intervention.
Tipp:
Setzen Sie Standardmäßig den Hinweis auf „Erlernen von Eigenübungen“ auf der Heilmittelverordnung ein.
Weiterführende Informationen
Heilmittel-Richtlinie
- Gemeinsamer Bundesausschuss Richtlinie über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung – HeilM-RL